VG Hamburg

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Zitieren als:
VG Hamburg, Urteil vom 15.02.2023 - 6 A 4041/21 (Asylmagazin 9/2023, S. 308 f.) - asyl.net: M31712
https://www.asyl.net/rsdb/m31712
Leitsatz:

Flüchtlingsanerkennung für homosexuellen Mann aus Ghana:

"Homosexuellen droht in Ghana mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit staatliche und nichtstaatliche Verfolgung (Rn. 17)."

(Amtlicher Leitsatz; siehe auch: VG Köln, Urteil vom 08.10.2020 - 19 K 522/18.A - asyl.net: M29257)

Schlagwörter: Ghana, homosexuell, Strafbarkeit, nichtstaatliche Verfolgung, staatliche Verfolgung, Schutzbereitschaft, interne Fluchtalternative, interner Schutz, LSBTI, schwul,
Normen: AsylG § 3 Abs. 1, AsylG § 3a Abs. 1, AsylG § 3b Abs. 1 Nr. 4, AsylG § 3c Nr. 1, AsylG § 3c Nr. 3, AsylG § 3d Abs. 1 Nr. 1, AsylG § 3e Abs. 1
Auszüge:

[...]

19 Dem Kläger droht zur Überzeugung des Gerichts im Falle seiner Rückkehr nach Ghana aufgrund seiner Homosexualität mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit staatliche und nichtstaatliche Verfolgung.

20 Dem Kläger droht nach den Erkenntnismitteln in Ghana staatliche Verfolgung. Männliche Homosexualität ist gemäß Section 104 ("Unnatural Carnal Knowledge") des ghanaischen Criminal Code, 1960 (Act 29), ein Vergehen, das gemäß Art. 296 Abs. 4 des Criminal Procedural Code mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bestraft wird. Zwar weist die Beklagte darauf hin, dass in den letzten Jahren keine diesbezüglichen Verurteilungen bekannt geworden sind, jedoch stellt sie auch selber in dem angegriffenen Bescheid (S. 4 f.) mit Verweis auf verschiedene Erkenntnismittel fest, dass homosexuelle Personen in Ghana mit polizeilichen Schikanen und Erpressungsversuchen konfrontiert sein können. Laut der Country Policy and Information Note des UK Home Office von Mai 2022 wurden gerade homosexuelle Männer willkürlich verhaftet (S. 8) und durch die Polizei erpresst, Bestechungsgelder zu zahlen (S. 26). Insbesondere wurden zuletzt laut dem am 20. September 2021 aktualisierten Bericht des Auswärtigen Amtes im Hinblick auf die Einstufung der Republik Ghana als sicheres Herkunftsland im Sinne des § 29a AsylG vom 13. Mai 2021 (S. 15) im Juni 2021 in einem Hotel in Ho (Volta-Region) 21 LGBTI-Aktivisten festgenommen, die dort ein Seminar zum Schutz der Menschenrechte sexueller Minderheiten abhielten. Diese wurden erst nach drei Wochen Haft nach internationalem Druck freigelassen.

21 Aus dem zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnismitteln ergibt sich darüber hinaus, dass homosexuelle Handlungen in Ghana so stark von der Gesellschaft und von der Politik missbilligt werden, dass es immer wieder zu gewalttätigen Angriffen auf Homosexuelle durch die Bevölkerung kommt und die ghanaischen Sicherheitskräfte nicht schutzwillig und aufgrund der Strafbarkeit männlicher Homosexualität in Ghana auch nicht schutzbereit sind.

22 Unabhängig davon, ob Freiheitsstrafen in Ghana tatsächlich verhängt werden, finden aufgrund der allgemeinen homophoben Grundstimmung in Politik und Bevölkerung in nicht unerheblichem Umfang Diskriminierungen und gewalttätige körperliche Angriffe auf Homosexuelle von Seiten der (nichtstaatlichen) Bevölkerung statt, die als Verfolgungshandlung im Sinne des § 3 a Abs. 2 Nr. 1 AsylG anzusehen sind (vgl. VG Düsseldorf, Urt. v. 8.3.2017, 23 K 9157/16.A juris).

23 Selbst laut dem bereits genannten Bericht des Auswärtigen Amtes (S. 15) deuten aktuelle Entwicklungen seit Beginn des Jahres 2021 auf eine Verschlechterung der Lage der LGBTI-Gemeinde in Ghana hin. Aber bereits zuvor waren laut Human Rights Watch Gewalt und Diskriminierung gegen LGBT-Personen in Ghana durch die Bevölkerung üblich (Human Rights Watch: "No Choice but to Deny Who I Am”. Violence and Discrimination against LGBT people in Ghana, S. 1 f., S. 29 f.). Laut dem Bericht des Auswärtigen Amtes werden gleichgeschlechtliche Beziehungen in Ghana nach wie vor durch breite Gesellschaftskreise und Religionsgemeinschaften nicht akzeptiert. Eine Verbesserung ihrer Rechte und Gleichstellung mit Heterosexuellen ist für die Regierung und in der Gesellschaft kein Thema (a.a.O.). Im Gegenteil verschlechtert sich die Lage aktuell für LGBT-Personen in Ghana auch laut dem Amnesty International Report 2021/2022 vom 29.3.2022 (S. 2). Dies hängt insbesondere mit einer zuletzt populistischen Politik gegen Toleranz zusammen [...].

24 Der ghanaische Staat ist nicht schutzbereit im Sinne der § 3c Nr. 3, § 3d Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 AsylG. Einerseits werden – vor dem Hintergrund, dass Homosexualität sowohl von Seiten der Bevölkerung als auch politisch unerwünscht ist – Übergriffe auf Homosexuelle staatlicherseits schon gar nicht angemessen aufgeklärt und verfolgt. Die Täter homophober Übergriffe werden somit regelmäßig nicht der Strafverfolgung zugeführt. Vielmehr werden Homosexuelle, die eine gegen sie verübte Straftat anzeigen, von den Sicherheitsbehörden ihrerseits gedemütigt, bedroht und erpresst. Die Verfolgung Homosexueller durch die Bevölkerung wird somit letztlich nicht nur staatlich gebilligt, sondern von der Politik teilweise auch forciert.

25 Zudem ist es homosexuellen Männern unzumutbar, sie auf staatliche/polizeiliche Hilfe zu verweisen, wenn sie dadurch Gefahr laufen, sich aufgrund der Strafbarkeit homosexueller Handlungen selbst der Strafverfolgung auszusetzen. Festzustellen ist damit, dass homosexuelle Männer in Ghana von keiner Seite her davor geschützt sind, Opfer von gegen sie begangenen, massiven Straftaten zu werden. Ob diese Gefahr dadurch verringert werden könnte, dass die Homosexualität nicht offen ausgelebt wird, ist hingegen unbeachtlich.

26 Der Kläger kann in Ghana auch keinen internen Schutz vor Verfolgung gemäß § 3 e AsylG finden. Der Kläger hat in keinem Teil Ghanas Schutz vor Verfolgung. [...]