VG Sigmaringen

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Zitieren als:
VG Sigmaringen, Urteil vom 15.03.2023 - 8 K 3197/21 - asyl.net: M31706
https://www.asyl.net/rsdb/m31706
Leitsatz:

Verpflichtungserklärung "bis Beendigung des Aufenthalts" umfasst nicht Zeitraum nach Wiedereinreise:

Die auf einem Formularvordruck verwendete Formulierung, die Verpflichtungserklärung nach § 68 AufenthG gelte bis zur Beendigung des Aufenthalts, ist unklar. Aus ihr ergibt sich nicht zweifelsfrei, dass sich die übernommene Verpflichtung auch auf den Fall einer Ausreise und einer erneuten Einreise mit demselben Visum, d.h. auf mehrere Aufenthalte erstrecken soll. Diese Unklarheit geht zu Lasten der den Formularvordruck verwendenden Behörde.

(Leitsätze der Redaktion, unter Bezug auf VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 12.07.2017 - 11 S 2338/16 - asyl.net: M25280 und Urteil vom 27.02.2006 - 11 S 1857/05 - asyl.net: M8781, OVG Niedersachsen, Urteil vom 03.05.2018 - 13 LB 2/17 - asyl.net: M26269)

Schlagwörter: Verpflichtungserklärung, Auslegung,
Normen: AufenthG § 68 Abs. 1 S.1, BGB § 133, BGB § 157, BGB § 305c Abs. 2
Auszüge:

[...]

1 Die Klägerin wendet sich gegen ihre Heranziehung zur Erstattung der Kosten für den Lebensunterhalt einer Ausländerin aus einer aufenthaltsrechtlichen Verpflichtungserklärung. [...]

20 I. Die zulässige Klage ist begründet. [...]

22 1. Der Bescheid des Beklagten ist hinsichtlich seiner Ziff. 2 rechtswidrig. Rechtsgrundlage für die Inanspruchnahme aus einer Verpflichtungserklärung ist § 68 Abs. 1 Satz 1 AufenthG. Danach hat, wer sich der Ausländerbehörde oder einer Auslandsvertretung gegenüber verpflichtet hat, die Kosten für den Lebensunterhalt eines Ausländers zu tragen, für einen Zeitraum von fünf Jahren sämtliche öffentlichen Mittel zu erstatten, die für den Lebensunterhalt des Ausländers einschließlich der Versorgung mit Wohnraum sowie der Versorgung im Krankheitsfalle und bei Pflegebedürftigkeit aufgewendet werden, auch soweit die Aufwendungen auf einem gesetzlichen Anspruch des Ausländers beruhen. [...]

24 Die Verpflichtungserklärung kann nicht so verstanden werden, dass sie den Zeitraum während der Unterbringung von Frau ... in den Erstaufnahmeeinrichtungen des Regierungspräsidiums Tübingen vom 16. Oktober 2018 bis zum 28. Februar 2019, für den der Beklagte Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erbracht hat, erfasst. Vielmehr ist im zu entscheidenden Fall davon auszugehen, dass sich die Verpflichtungserklärung lediglich auf den Zeitraum von der erstmaligen Einreise der Frau ... am ... 2018 bis zu deren zwischenzeitlicher Ausreise am ... Juli 2018 erstreckt. Aus diesem Grund war die Klägerin auch nur verpflichtet, die Kosten für den Lebensunterhalt von Frau ... in dem soeben genannten Zeitraum zu tragen. Zur Erstattung der Kosten, die nach der erneuten Einreise von Frau ... in das Bundesgebiet am 12. September 2018 entstanden sind, kann die Klägerin dagegen nicht herangezogen werden.

25 Als einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung bedarf die abgegebene Verpflichtungserklärung, insbesondere was ihren zeitlichen Umfang betrifft, der Auslegung in entsprechender Anwendung der §§ 133, 157 BGB unter Würdigung der der Abgabe der Erklärung zugrundeliegenden Umstände des Einzelfalls [...]. Hierbei ist grundsätzlich auf den objektiven Empfängerhorizont abzustellen, wie also der Empfänger der Erklärung den erklärten Willen bei objektiver Würdigung verstehen musste. Dies wäre hier die Ausländerbehörde. Ausnahmsweise sind abweichende Auslegungsgrundsätze und ein veränderter Auslegungshorizont jedoch dann zugrunde zu legen, wenn die Erklärung auf einem von der die Erklärung entgegennehmenden Behörde verwendeten vorformulierten Vordruck abgegeben wird oder - entsprechend der bindenden Vorgabe in Ziffer 68.2.1.1.1 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz - AVwV-AufenthG - sogar abgegeben werden muss. In diesem Fall ist weniger auf den Empfänger, sondern vielmehr auch darauf abzustellen, wie der Erklärende die Eintragungen in dem Formular bei objektiver Würdigung hat verstehen dürfen. Verbleiben insoweit Zweifel oder Unklarheiten, gehen diese entsprechend § 305c Abs. 2 BGB zu Lasten des Formularverwenders [...].

26 Ausgehend hiervon erstreckt sich die von der Klägerin abgegebene Verpflichtungserklärung nicht auf den Zeitraum, in dem die im angefochtenen Bescheid geltend gemachten Aufwendungen entstanden sind. Die in dem bundeseinheitlichen Formular unterschriebene Verpflichtungserklärung lässt nicht auf einen eindeutigen Verpflichtungszeitraum schließen. Unter dem Punkt "Dauer der Verpflichtung" ist aufgeführt, dass diese Verpflichtung vom Tag der voraussichtlichen Einreise am 1. Juni 2018 bis zur Beendigung des Aufenthalts des Ausländers oder bis zur Erteilung eines Aufenthaltstitels zu einem anderen Aufenthaltszweck andauert. Auf der Rückseite des Formulars findet sich unter dem Punkt Behördenvermerke noch die Formulierung "Es wird ein Touristenvisum beantragt".

27 Aus diesen Formulierungen ergibt sich für die Kammer nicht mit der notwendigen Zweifelsfreiheit, dass sich die von der Klägerin übernommene Verpflichtung auch auf den Fall einer Ausreise und einer erneuten Einreise mit demselben Visum, d.h. auf mehrere Aufenthalte erstrecken sollte. [...].

28 Eine andere Einschätzung ergibt sich auch nicht daraus, dass sich auf der Rückseite der Verpflichtungserklärung unter der Rubrik Behördenvermerke die Formulierung "Es wird ein Touristenvisum beantragt" findet. Hieraus lässt sich nämlich nicht erkennen, dass sich die Verpflichtung auf die gesamte Gültigkeitsdauer eines Visums und damit auch auf den hier vorliegenden Fall einer erneuten Einreise erstrecken soll. Auch lässt sich mit dieser Formulierung weder die Gültigkeitsdauer des Visums abschätzen noch das Recht auf mehrfache Einreise in den Schengen-Raum erkennen. Vielmehr liest sich dieser Vermerk bei objektiver Betrachtung informatorisch. [...]