LG Frankfurt a.M.

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Zitieren als:
LG Frankfurt a.M., Beschluss vom 30.06.2023 - 2-21 T 123/21 - asyl.net: M31681
https://www.asyl.net/rsdb/m31681
Leitsatz:

Abschiebehaft wegen Erkrankung von Ehefrau rechtswidrig:

Ist die Ehepartnerin oder der Ehepartner einer ausreisepflichtigen Person psychisch erkrankt und verschlechtert sich ihr gesundheitlicher Zustand aufgrund der Abschiebehaft und der bevorstehenden Abschiebung der betroffenen Person wesentlich, ist von Abschiebungshaft abzusehen. Wird die Beistandsgemeinschaft der ausreisepflichtigen Person mit der erkrankten Ehepartnerin/dem erkrankten Ehepartner bei der Haftanordnung nicht berücksichtigt, liegt eine Verletzung des Rechts auf Schutz von Ehe und Familie aus Art. 6 Abs. 1 GG vor und der Haftbeschluss ist rechtswidrig. 

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Abschiebungshaft, Schutz von Ehe und Familie, psychische Erkrankung, Suizidgefahr, eheliche Lebensgemeinschaft,
Normen: GG Art. 6 Abs. 1, AufenthG § 62 Abs. 3, AufenthG § 62 Abs. 1, AufenthG § 60a Abs. 2 S. 1,
Auszüge:

[...]

Die Freiheitsentziehung des Beschwerdeführers war trotz Vorliegens eines Haftgrundes hier unter der Beachtung von Grundrechten rechtswidrig.

Der Gesetzgeber hat die in § 62 III AufenthG angeführten Haftgründe zwar als zwingende ("ist") ausgestaltet, dies entbindet die Gerichte aber nicht von der einzelfallbezogenen Prüfung und der Anwendung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit.

Die Anordnung der Abschiebungshaft bedarf vielmehr einer einzelfallbezogenen Prüfung [...].

Nach dieser Prüfung stand das Grundrecht des Art. 6 GG des Beschwerdeführers im vorliegenden Einzelfall der Abschiebehaft entgegen. [...]

Das Amtsgericht hat bei seiner Entscheidung verkannt, dass der Gesundheitszustand der Ehefrau des Beschwerdeführers sehr wohl mit der Abschiebung und damit auch der Abschiebungshaft des Beschwerdeführers zusammenhängt. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die Krankheit der Ehefrau bereits seit der Kindheit besteht. In der ärztlichen Stellungnahme ist dahingehend ausgeführt, dass die Krankheit sich durch die Abschiebungshaft des Beschwerdeführers wieder intensiviert hat und konkret durch die drohende Abschiebung eine posttraumatische Belastungsstörung besteht, die sogar in einer latenten Suizidalität gipfelt. In solchen Fällen führt auch eine bereits vorher bestehende Krankheit zu einer Verpflichtung, im Einzelfall von einer Abschiebung bzw. einer Abschiebungshaft abzusehen. [...]

Dem steht auch nicht entgegen, dass die Vorschrift des § 60a AufenthG die Frage der Rechtmäßigkeit der Abschiebehaft nicht unmittelbar berührt. Gleichwohl ist die besondere vorliegende Grundrechtsrelevanz, Erfordernis des weiteren Aufenthalts des Beschwerdeführers in der Beistandsgemeinschaft mit seiner deutschen Ehefrau (Art. 6 GG), bei der Haftentscheidung zu berücksichtigen. [...]