OVG Sachsen-Anhalt

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Zitieren als:
OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 08.03.2023 - 2 L 102/20 - asyl.net: M31632
https://www.asyl.net/rsdb/m31632
Leitsatz:

Aufenthaltserlaubnis für gut integrierte Jugendliche

1. Die Soll-Regelung des § 25a Abs. 1 Satz 1 AufenthG (juris: AufenthG 2004) bedeutet, dass die Aufenthaltserlaubnis in der Regel erteilt werden muss und nur bei Vorliegen von atypischen Umständen nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden ist. Straftaten von in häuslicher Gemeinschaft lebenden Familienangehörigen spielen im Rahmen des § 25a AufenthG (juris: AufenthG 2004) keine Rolle und begründen keinen atypischen Sachverhalt (Rn. 53).

2. Angesichts der Absicht des Gesetzgebers, Jugendlichen und jungen Volljährigen eine Chance zu eröffnen, sich dem ansonsten aussichtslosen "Spurwechsel" durch eigene Integrationsleistungen zu erarbeiten, ist bei der nach § 25a Abs. 4 AufenthG (juris: AufenthG 2004) zu treffenden Ermessensentscheidung grundsätzlich eine großzügige Ermessensausübung angezeigt. Bei geringem Alter des Ausländers bei der Täuschung seiner Eltern über ihre Identität und Staatsangehörigkeit im Asylverfahren kommt als ermessensfehlerfreie Entscheidung nur das Absehen von der Titelerteilungssperre des § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG (juris: AufenthG 2004) in Betracht (Rn. 55).

3. Die Klärung der Identität setzt die Gewissheit voraus, dass der den Aufenthaltstitel begehrende Ausländer die Person ist, für die er sich ausgibt, mithin eine Verwechslungsgefahr nicht besteht. Zuordnungskriterien sind in erster Linie der Name und Vorname sowie der Tag und Ort der Geburt; nur wenn mit einer Person stets diese Zuordnungskriterien verbunden sind, kann sie zuverlässig von anderen Personen unterschieden werden  (Rn. 59).

4. Bei der Entscheidung über eine Aufenthaltsgewährung nach § 25a Abs. 1 AufenthG (juris: AufenthG 2004) dürfen bei der Ermessensentscheidung nach § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG (juris: AufenthG 2004), ob von den allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 1a und Nr. 4 AufenthG (juris: AufenthG 2004) abgesehen wird, dem Ausländer wegen der gesetzgeberischen Wertung in § 25a Abs. 1 Satz 3 AufenthG (juris:  AufenthG 2004) etwaige Falschangaben und Täuschungen seiner Eltern und/oder Dritter nicht zugerechnet werden (Rn. 75).

5. In den Fällen des § 25a Abs. 1 AufenthG (juris: AufenthG 2004) ist das nach § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG (juris: AufenthG 2004) eingeräumte Ermessen dahingehend auszuüben, dass von einer Nachholung des Visumverfahrens abgesehen wird, sofern keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass das Visumverfahren bewusst umgangen wurde (Rn. 79).

6. Ein Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Abs. 1 AufenthG (juris: AufenthG 2004) erfasst bei sachdienlicher Auslegung alle in Betracht kommenden Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes. Damit erstreckt er sich nicht nur auf § 25a Abs. 1 AufenthG (juris: AufenthG 2004), sondern auch auf während des gerichtlichen Verfahrens in Kraft getretene Regelungen des Abschnitts 5 des Kapitels 2 des AufenthG (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Dezember 2019 - 1 C 34.18 -, a.a.O., Rn. 20, m.w.N.). Dies gilt auch für die am 31. Dezember 2022 in Kraft getretenen Regelungen in § 104c AufenthG (juris: AufenthG 2004) (Rn. 86).

7. § 104c Abs. 1 AufenthG (juris: AufenthG 2004) ist auch auf minderjährige Ausländer anwendbar (Rn.89).

8. § 104c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG (juris: AufenthG 2004) ist dahingehend auszulegen, dass ein positives (schriftliches) Bekenntnis nur in den Fällen zu fordern ist, in denen eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG (juris: AufenthG 2004) angestrebt wird, die ein solches positives Bekenntnis voraussetzt, nicht aber wenn es um die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Abs. 1 AufenthG (juris: AufenthG 2004) geht (Rn. 97).

9. Bei der nach § 104c Abs. 3 AufenthG (juris: AufenthG 2004) zu treffenden Ermessensentscheidung, ob von § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG (juris: AufenthG 2004) abgewichen wird, gelten die gleichen Grundsätze wie bei der Ermessensentscheidung nach § 25a Abs. 4 AufenthG (juris: AufenthG 2004) (Rn. 102).

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Bleiberecht, Integration, Chancen-Aufenthaltsrecht, Identitätstäuschung, Identitätsklärung, Visumspflicht, Mitwirkungspflichten, minderjährig,
Normen: AufenthG § 25a Abs. 1 S. 1, AufenthG § 25a Abs. 4, AufenthG § 10 Abs. 3 S. 2, AufenthG § 104c
Auszüge:

[...]

37 I. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Abs. 1 AufenthG, jedoch einen Anspruch auf Neubescheidung ihres darauf gerichteten Antrags. Die besonderen Erteilungsvoraussetzungen des § 25a Abs. 1 Satz 1 AufenthG liegen zwar vor (dazu 1.). Auch steht der Versagungsgrund des § 25a Abs. 1 Satz 3 AufenthG der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nicht entgegen (dazu 2.). Ferner liegt keine der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Abs. 1 AufenthG entgegenstehende atypische Fallkonstellation vor (dazu 3.). Auch hindert die Titelerteilungssperre des § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG nicht die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis, insoweit ist das der Beklagten nach § 25a Abs. 4 AufenthG eingeräumte Ermessen auf Null reduziert (dazu 4.). Die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 und 2 AufenthG sind nicht vollständig erfüllt; die von der Beklagte insoweit vorgenommene Entscheidung, von der Erfüllung dieser Erteilungsvoraussetzungen nicht abzusehen, erweist sich als ermessensfehlerhaft, eine Ermessensreduzierung auf Null besteht insoweit aber nicht (dazu 5.). [...]

53 Liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 25a Abs. 1 Satz 1 AufenthG vor, soll nach dieser Vorschrift die Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Die Soll-Regelung bedeutet, dass die Aufenthaltserlaubnis in der Regel erteilt werden muss und nur bei Vorliegen von atypischen Umständen nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden ist [...]. Dass hier ein atypischer Fall gegeben ist, ist nicht ersichtlich. Die Klägerin hat während der gesamten Dauer ihres Aufenthalts im Bundesgebiet anerkennenswerte Integrationsleistungen erbracht. Sie entspricht damit dem vom Gesetzgeber zugrunde gelegten Bild einer jugendlichen Ausländerin mit positiver Integrationsprognose. Ein etwaiges öffentliches Interesse an der Aufenthaltsbeendigung wird daher durch die schutzwürdigen privaten Belange an der Legalisierung des Aufenthalts überwogen. Auch ist das Verhalten der Eltern der Klägerin ohne Bedeutung. Denn die Regelung will gerade auch solche Fälle erfassen, in denen der langjährige geduldete Aufenthalt des Jugendlichen auf falschen Angaben der Eltern beruht. Auch die Straftaten des Vaters der Klägerin begründen keine atypische Fallgestaltung. Eine Verknüpfung mit Straftaten anderer Familienangehöriger ist lediglich in der - hier nicht in Betracht kommenden - Altfallregelung des § 104a Abs. 3 AufenthG vorgesehen. Danach führt der Umstand, dass ein in häuslicher Gemeinschaft lebendes Familienmitglied Straftaten im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 begangen hat, zur Versagung der Aufenthaltserlaubnis nach dieser Vorschrift für andere Familienmitglieder. Satz 1 gilt nicht für den Ehegatten eines Ausländers, der Straftaten im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 begangen hat, wenn der Ehegatte die Voraussetzungen des Absatzes 1 im Übrigen erfüllt und es zur Vermeidung einer besonderen Härte erforderlich ist, ihm den weiteren Aufenthalt zu ermöglichen. Sofern im Ausnahmefall Kinder von ihren Eltern getrennt werden, muss ihre Betreuung in Deutschland sichergestellt sein. Eine entsprechende Regelung oder eine Verweisung auf diese - umstrittene - Vorschrift enthält § 25a AufenthG nicht. Straftaten Dritter spielen im Rahmen des § 25a AufenthG keine Rolle [...].

55 Das der Beklagten insoweit gesetzlich eingeräumte Ermessen ist hier auf Null reduziert. In Fällen falscher Angaben bzw. der gröblichen Verletzung von Mitwirkungspflichten (§ 30 Abs. 3 Nr. 2 und 5 AsylG) ist zu prüfen, inwieweit persönliche Falschangaben bzw. Mitwirkungspflichtverletzungen auf Verhalten der Eltern zurückgeführt werden können bzw. inwieweit dem minderjährigen Ausländer in Ansehung seines Alters und der persönlichen Beziehung zu seinen Eltern vorgehalten werden kann, eine missbräuchliche Antragstellung seiner Eltern unterstützt zu haben. Angesichts der Absicht des Gesetzgebers, Jugendlichen eine Chance zu eröffnen, sich den ansonsten aussichtslosen "Spurwechsel" durch eigene Integrationsleistungen zu erarbeiten, ist hier grundsätzlich eine großzügige Ermessensausübung angezeigt. Die Anwendung der Titelerteilungssperre steht im Spannungsverhältnis zu der gesetzlichen Konzeption, gut integrierten geduldeten Jugendlichen eine eigene gesicherte Aufenthaltsperspektive zu eröffnen, da das Asylverfahren nach § 14a AsylG an ihre Eltern gebunden und von ihnen nicht beeinflussbar war [...]. Angesichts des geringen Alters der Klägerin bei der Täuschung der Eltern über ihre Identität und Staatsangehörigkeit im Asylverfahren - die Klägerin war im Zeitpunkt der Anhörung ihrer Eltern vor dem Bundesamt am 22. Januar 2009 noch nicht einmal zwei Jahre alt - kommt als ermessensfehlerfreie Entscheidung nur das Absehen von der Titelerteilungssperre des § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG in Betracht. [...]

58 b) Die Identität der Klägerin ist nicht geklärt. Die Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG gilt auch bei der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Abs. 1 AufenthG [...].

59 aa) Die Identität einer Person (im rechtlichen Sinne) wird durch tatsächliche und rechtliche Daten, wie Name, Vorname, Geburtsdatum, Geburtsort usw., bestimmt, die der betreffenden Person zuzuordnen sind. "Identität" bedeutet die Übereinstimmung dieser personenbezogenen Daten mit einer natürlichen Person. Die Klärung der Identität setzt die Gewissheit voraus, dass der den Aufenthaltstitel begehrende Ausländer die Person ist, für die er sich ausgibt, mithin eine Verwechselungsgefahr nicht besteht [...]. Zuordnungskriterien sind in erster Linie der Name und Vorname sowie der Tag und Ort der Geburt; nur wenn mit einer Person stets diese Zuordnungskriterien verbunden sind, kann sie zuverlässig von anderen Personen unterschieden werden [...]. Nach Nr. 49.2.4 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zu § 49 AufenthG sind Identitätsmerkmale Name, Vornamen, Geburtsname, Geburtsdatum, Geburtsort und Wohnort. Die Feststellung der Identität bedingt die Klärung der zur Durchführung des AufenthG notwendigen Personalien; dies sind insbesondere Namen, Vornamen, Geburtstag und -ort sowie Familienstand [...]. Identität und Staatsangehörigkeit sind im Regelfall durch die Vorlage eines gültigen Passes oder Passersatzes nachgewiesen. Sofern ein solches Dokument nicht vorliegt, sind die Identität und Staatsangehörigkeit durch andere geeignete Mittel nachzuweisen (z. B. Geburtsurkunde, andere amtliche Dokumente [vgl. Nr. 5.1.1a der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zu § 5 AufenthG]). Die Identität des Ausländers ist so lange ungeklärt, bis ein gültiges Ausweispapier oder doch gleich beweiskräftige Unterlagen als Nachweis der Identität vorgelegt werden kann [...]. Von der Identitätsklärung nach § 5 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG zu trennen ist die Passpflicht, die nicht allein der Identitätsfeststellung dient, sondern auch gewährleistet, dass der Ausländer durch den Staat, der den Pass oder Passersatz ausgestellt hat, zurückgenommen wird [...].

68 (2) Ob und inwieweit dieses für das Staatsangehörigkeitsrecht entwickelte Stufenmodell zur Klärung der Identität eines Ausländers auf das Ausländerrecht zu übertragen ist, ist noch nicht höchstrichterlich geklärt (vgl. Fleuß, ZAR 2021, 156). Aber auch bei Anwendung dieses "Stufenmodells" ist die Identität der Klägerin nicht als geklärt anzusehen.

69 Der auf der ersten Stufe geforderte Nachweis durch Urkunden ist der Klägerin - wie oben bereits dargelegt - bis zur mündlichen Verhandlung nicht gelungen. Andere Beweismittel in Form von nichtamtlichen Urkunden oder Dokumenten, die geeignet sein könnten, die Angaben zur Person der Klägerin zu belegen, liegen nicht vor. Die von deutschen Behörden auf den Namen der Klägerin ausgestellten Urkunden, insbesondere auch die von der Beklagten ausgestellten Duldungsbescheinigungen, beruhen auf den Angaben der Klägerin bzw. ihrer Eltern und bieten daher keine hinreichende Gewähr für die inhaltliche Richtigkeit der Identitätsangaben [...]. Vor diesem Hintergrund kann sich die Klägerin auch nicht mit Erfolg darauf berufen, sie sei mehrfach persönlich, visuell und biometrisch in der Bundesrepublik Deutschland erfasst worden. [...]

72 d) Neben der ungeklärten Identität erfüllt die Klägerin auch nicht die Passpflicht nach § 3 Abs. 1 AufenthG. [...]

73 e) Ein Ausnahmefall hinsichtlich der Regelerteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 1a und 4 AufenthG ist nicht ersichtlich. Bei den Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 AufenthG können atypische Umständen des Einzelfalls, die so bedeutsam sind, dass sie das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regelung beseitigen, sowie verfassungs-, unions- oder völkerrechtliche Gewährleistungen eine Ausnahme vom Regelfall rechtfertigen. Ob ein solcher Ausnahmefall vorliegt, unterliegt keinem Einschätzungsspielraum der Behörde, sondern ist gerichtlich in vollem Umfang überprüfbar [...]. Im Hinblick auf die Erfüllung der Passpflicht - und damit zusammenhängend auch im Hinblick auf die Klärung der Identität - kann ein Ausnahmefall gegeben sein, wenn der Ausländer sich um einen Pass bemüht hat und ihn in zumutbarer Weise nicht erlangen kann [...]. Ein solcher Ausnahmefall liegt hier nicht vor. Wie sich aus den von der Beklagten in Bezug genommenen Informationen des ukrainischen Generalkonsulats in Düsseldorf ergibt, ist es grundsätzlich möglich, dort (oder ggf. in einer anderen Auslandsvertretung in Deutschland) einen Reisepass ausgestellt zu bekommen. Die Klägerin hat nicht dargetan, dass es ihr unmöglich ist, sich die dafür einzureichenden Unterlagen zu verschaffen. Im Übrigen macht sie nunmehr selbst nicht mehr geltend, einen ukrainischen Reisepass nicht erhalten zu können. Vielmehr hat sie zuletzt vorgetragen, dass im Fall einer fortdauernden Duldung in der ukrainischen Auslandsvertretung in Warschau "zeitnah" die Ausstellung eines Reisepasses erfolgen könne. [...]

75 Bei Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Abs. 1 AufenthG kann von den allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 und 2 AufenthG gemäß § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG im Ermessenswege abgesehen werden. Die grundsätzliche Anwendung der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen hat bei der Aufenthaltsgewährung nach § 25a Abs. 1 AufenthG nicht zur Folge, dass bei ungeklärter Identität eine Legalisierung des Aufenthalts automatisch ausscheidet. Denn von den Regelerteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 AufenthG ist - abgesehen von der Privilegierung in § 25a Abs. 1 Satz 2 AufenthG hinsichtlich der Sicherung des Lebensunterhalts - bei der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Abs. 1 AufenthG nicht nur in Ausnahmefällen abzusehen. Vielmehr bedarf es auch in Regelfällen über § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG stets einer Ermessensentscheidung der Ausländerbehörde und damit einer Würdigung der konkreten Umstände des Einzelfalls. Dies gibt der Ausländerbehörde hinreichend Gelegenheit zur angemessenen Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls. Dabei hat sie insbesondere die Gründe, auf denen das Nichtvorliegen der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen beruht, aber auch das private Interesse des Ausländers und das öffentliche Interesse an der Legalisierung des Aufenthalts gut integrierter Jugendlicher und Heranwachsender zu gewichten und gegeneinander abzuwägen [...]. Bei der Entscheidung nach § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG sind alle für und gegen eine Aufenthaltslegalisierung sprechenden Umstände umfassend zu würdigen. Gerade bei der Entscheidung über eine Aufenthaltsgewährung nach § 25a Abs. 1 AufenthG sind die bisherigen Integrationsleistungen des Ausländers und alle weiteren für eine Aufenthaltslegalisierung sprechenden Umstände zu berücksichtigen und zu gewichten. Bei der Ermessensentscheidung nach § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG sind von der Ausländerbehörde in die Abwägung auch die Gründe einzustellen, aufgrund derer die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nicht vorliegen. Dabei dürfen dem Ausländer wegen der gesetzgeberischen Wertung in § 25a Abs. 1 Satz 3 AufenthG etwaige Falschangaben und Täuschungen seiner Eltern und/oder Dritter nicht zugerechnet werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Mai 2013, a.a.O. Rn. 31). Bei einer Ermessensentscheidung nach § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG über das Absehen von den Regelerteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 und 2 AufenthG, insbesondere der Erfüllung der Passpflicht (§ 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG), kann das Verhalten der Eltern einem minderjährigen Ausländer - jedenfalls im Rahmen einer Entscheidung über die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Abs. 1 AufenthG - nicht zugerechnet werden [...]. Eigene Verstöße gegen seine gesetzlichen Mitwirkungspflichten sind aber beachtlich und entsprechend zu gewichten [...]. In den Fällen des § 25a Abs. 1 AufenthG sind Sinn und Zweck der Vorschrift von besonderem Gewicht. Die Vorschrift soll geduldeten Jugendlichen und jungen Volljährigen eine eigene gesicherte Aufenthaltsperspektive eröffnen, wenn sie sich in Deutschland gut integriert haben. Sie soll die Rechtsstellung derjenigen stärken, die auch ohne rechtmäßigen Aufenthalt anerkennenswerte Integrationsleistungen erbracht haben. Diese sollen durch die Erteilung eines gesicherten Aufenthaltsstatus honoriert werden. Das Aufenthaltsrecht kann bereits vor Erreichen der Volljährigkeit geltend gemacht werden und hängt nicht von der aufenthaltsrechtlichen Stellung der Eltern ab. Es ist eine isolierte Betrachtung allein des Integrationsgrades des ganz oder teilweise in Deutschland aufgewachsenen Kindes ohne Rücksicht auf das Verhalten der übrigen Familienangehörigen vorzunehmen [...]. Auf der anderen Seite besteht grundsätzlich ein gewichtiges öffentliches Interesse an der Identifizierung des Ausländers vor der Legalisierung seines Aufenthalts und an der Erfüllung diesbezüglicher Mitwirkungspflichten (BVerwG, Urteil vom 14. Mai 2013, a.a.O., Rn. 30). Wurden bereits alle notwendigen und zumutbaren Schritte zur Passbeschaffung unternommen und hängt der Zeitpunkt der Ausstellung des Passes nur noch von der Dauer des Verfahrens bei der Botschaft ab, ist der Nichterfüllung der Passpflicht im Rahmen des § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG nur noch geringes Gewicht beizumessen; das gilt in besonderem Maße, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Ausstellung des Passes unmittelbar bevorsteht [...].

79 [...] In den Fällen des § 25a Abs. 1 AufenthG ist das Ermessen deshalb dahingehend auszuüben, dass von einer Nachholung des Visumverfahrens abgesehen wird, sofern keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass das Visumverfahren bewusst umgangen wurde [...].

81 II. Die Klägerin hat ferner den mit dem Hilfsantrag u.a. geltend gemachten Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104c Abs. 1 AufenthG. [...]

89 aa) Die Vorschrift ist entgegen der Auffassung der Beklagten auch auf minderjährige Ausländer anwendbar. [...]

97 [...] Strebt der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Abs. 1 AufenthG an, genügt es auch für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104c Abs. 1 AufenthG, wenn keine konkreten Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Ausländer sich nicht zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland bekennt. [...]

102 d) Einem Anspruch der Klägerin auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104c Abs. 1 AufenthG steht die Titelerteilungssperre des § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG nicht entgegen. Nach § 104c Abs. 3 AufenthG kann die Aufenthaltserlaubnis abweichend von § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG erteilt werden. Die Vorschrift räumt der Ausländerbehörde zwar einen Ermessensspielraum ein; dieses ist hier aber auf Null reduziert. Zutreffend geht die Beklagte davon aus, dass insoweit die gleichen Grundsätze wie bei § 25a Abs. 4 AufenthG gelten. Angesichts der Absicht des Gesetzgebers, Jugendlichen eine Chance zu eröffnen, sich den ansonsten aussichtslosen "Spurwechsel" durch eigene Integrationsleistungen zu erarbeiten, ist grundsätzlich eine großzügige Ermessensausübung angezeigt. Die Anwendung der Titelerteilungssperre liefe der gesetzlichen Konzeption, gut integrierten geduldeten Jugendlichen eine eigene gesicherte Aufenthaltsperspektive zu eröffnen, zuwider, da das Asylverfahren nach § 14a AsylG an ihre Eltern gebunden und von ihnen nicht beeinflussbar war [...]. Auch insoweit kommt hier angesichts des geringen Alters der Klägerin während der Täuschung der Eltern über ihre Identität und Staatsangehörigkeit als ermessensfehlerfreie Entscheidung nur das Absehen von der Titelerteilungssperre des § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG in Betracht. [...]