KG Berlin

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Zitieren als:
KG Berlin, Urteil vom 19.04.2023 - 4 ORs 9/23, 4 ORs 9/23 - 161 Ss 1/23 - asyl.net: M31610
https://www.asyl.net/rsdb/m31610
Leitsatz:

Keine Strafbarkeit wegen falscher Angaben zur Beschaffung eines Aufenthaltstitels nach Vaterschaftsanerkennung:

1. Wurde die notarielle Beurkundung der Vaterschaftsanerkennung durch einen Mann, der tatsächlich nicht der leibliche Vater ist, durchgeführt, so ist diese unabhängig von der Absicht, sich so einen Aufenthaltstitel zu erschleichen, rechtswirksam. Die durch Anerkennung erworbene Vaterschaft ist rechtlich vollwertig und erstreckt sich umfassend auf die gesamte deutsche Rechtsordnung.

2. Bei Anhaltspunkten für die Absicht einer missbräuchlichen Vaterschaftsanerkennung hat die beurkundende Behörde oder die Urkundsperson dies zwar gemäß § 1597a Abs. 2 BGB der nach dem Aufenthaltsgesetz zuständigen Behörde und der Mutter mitzuteilen und die Beurkundung auszusetzen. Ist die Beurkundung aber bereits durchgeführt worden, steht die Absicht der missbräuchliche Vaterschaftsanerkennung der Rechtswirksamkeit nicht mehr entgegen.

3. Wird anschließend an eine solche Anerkennung der Vaterschaft aufgrund dieser ein Aufenthaltstitel beantragt, so scheidet eine Strafbarkeit gemäß § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG aus. Denn die Angaben zur Vaterschaft sind richtig.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Vaterschaftsanerkennung, Scheinvaterschaft, Wirksamkeit, Strafbarkeit, mittelbare Falschbeurkundung, Erschleichen einer Aufenthaltserlaubnis,
Normen: AufenthG § 95 Abs. 2 Nr. 2, BGB § 1597a Abs. 1, AufenthG § 28 Abs. 1. S. 1 Nr. 3,
Auszüge:

[...]

4 1. Entgegen der Rechtsansicht der Revision hat das Landgericht insbesondere zutreffend bereits den objektiven Tatbestand des § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG verneint.

5 Nach dieser Vorschrift wird bestraft, wer unrichtige oder unvollständige Angaben macht oder benutzt, um für sich oder einen anderen einen Aufenthaltstitel oder eine Duldung zu beschaffen. Diese tatbestandlichen Voraussetzungen hat die Angeklagte weder durch ihre Erklärungen vor dem Notarvertreter Rechtsanwalt M, noch durch die Angaben in dem Schreiben vom 10. Dezember 2019 verwirklicht.

6 a) Die Erklärungen der Angeklagten gegenüber dem Notarvertreter erfüllen bereits deshalb nicht den Tatbestand des § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG, weil diese Vorschrift nur Angaben erfasst, die gegenüber der nach § 71 AufenthG zuständigen Behörde in einem verwaltungsrechtlichen Verfahren zur Erlangung eines Aufenthaltstitels oder einer Duldung gemacht werden [...] und der Notarvertreter weder als nach § 71 AufenthG zuständige Behörde, noch im Rahmen eines verwaltungsrechtlichen Verfahrens tätig geworden war.

7 b) Aber auch der Antrag der Angeklagten gegenüber der Ausländerbehörde führt nicht zu einer Strafbarkeit nach § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG, denn sowohl die darin enthaltene Angabe zur Staatsangehörigkeit der Tochter C. (nachfolgend aa)), als auch jene zur Vaterschaft von B. (nachfolgend bb)) waren richtig.

8 aa) Die Angeklagte hat zutreffend angegeben, dass ihre Tochter deutsche Staatsangehörige sei. [...]

9 (1) Der vietnamesische Staatsangehörige B. ist durch die notariell beurkundete Anerkennung der Vaterschaft und die insoweit erklärte Zustimmung der Angeklagten gemäß §§ 1592 Nr. 2, 1595 Abs. 1 BGB Vater der C. geworden. Der Rechtswirksamkeit der Anerkennung der Vaterschaft stand nicht entgegen, dass mit ihr nach den Feststellungen des Landgerichts das Ziel verfolgt wurde, der Angeklagten einen Aufenthaltstitel zu verschaffen. Anhaltspunkte für eine solche Absicht begründen gemäß § 1597a Abs. 2 Satz 1 BGB lediglich die Verpflichtung der beurkundenden Stelle, die Beurkundung auszusetzen und den Vorgang der Ausländerbehörde vorzulegen, die sodann in dem Verfahren nach § 85a AufenthG gegebenenfalls die Missbräuchlichkeit der beabsichtigten Anerkennung feststellt und dadurch sowohl die vorlegende Urkundsperson als auch jede andere beurkundende Stelle verpflichtet, die Beurkundung abzulehnen (§ 1597a Abs. 2 Satz 4, Abs. 3 Satz 2 BGB). Ist die Beurkundung hingegen - wie vorliegend - bereits durchgeführt worden, so steht der Umstand, dass mit der Anerkennung der Vaterschaft die Absicht verfolgt wurde, einen Aufenthaltstitel zu erschleichen, deren Rechtswirksamkeit nicht entgegen. Dies folgt aus § 1598 Abs. 1 BGB, der die Gründe für die Unwirksamkeit einer bereits beurkundeten Anerkennung der Vaterschaft abschließend regelt und die in § 1597a Abs. 1 BGB normierte Konstellation der Anerkennung der Vaterschaft mit dem Ziel, die rechtlichen Voraussetzungen für den erlaubten Aufenthalt der Mutter zu schaffen, nicht erwähnt. [...]

10 Soweit zum Teil - und so auch von der Revision - die Ansicht vertreten wird, die rechtswirksam, aber rechtsmissbräuchlich erfolgte Anerkennung der Vaterschaft könne Wirkungen nur im Bereich des Zivilrechts, nicht aber des Staatsangehörigkeitsrechts entfalten (vgl. LG Oldenburg, Beschluss vom 11. September 2017 – 1 Qs 313/17 –, juris Rn. 11; LG Verden, Beschluss vom 17. September 2004 - 1 Qs 188/04 -, juris Rn. 20), ist dem nicht zu folgen. [...]