Kein Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit eines Kindes nach Anfechtung der Vaterschaft:
Gemäß § 4 Abs. 1 S. 1 StAG erhält ein Kind die deutsche Staatsangehörigkeit, wenn zum Zeitpunkt der Geburt ein deutscher Staatsangehöriger gemäß § 1592 Nr. 1 BGB als Vater gilt. Entfällt die Vaterschaft auch rückwirkend aufgrund einer erfolgreichen Vaterschaftsanfechtung, bedeutet das nicht, dass auch die Staatsangehörigkeit des Kindes entfällt, denn es fehlt insofern an einer gemäß Art. 16 Abs. 1 S. 2 GG erforderlichen gesetzlichen Grundlage für den Verlust der Staatsangehörigkeit.
(Leitsätze der Redaktion; in Abkehr von: OVG Niedersachsen, Urteil vom 07.07.2016 - 13 LC 21/15 - openjur.de)
[...]
a. Die Klägerin hat die deutsche Staatsangehörigkeit durch die Geburt erworben. Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 StAG erwirbt ein Kind durch die Geburt die deutsche Staatsangehörigkeit, wenn ein Elternteil die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt. [...]
(2) Im Zeitpunkt der Geburt der Klägerin galt aber gemäß § 1592 Nr. 1 BGB der deutsche Staatsangehörige G. als Vater der Klägerin, da er zu diesem Zeitpunkt mit der Mutter der Klägerin verheiratet war.
b. Die Klägerin hat ihre deutsche Staatsangehörigkeit nicht durch die negative Vaterschaftsfeststellung des Amtsgerichts - Familiengericht - A-Stadt vom 13. November 2020 verloren.
(1) Die Vaterschaft des deutschen Staatsangehörigen G. ist zwar durch die negative Vaterschaftsfeststellung durch das Amtsgericht - Familiengericht - A-Stadt mit rechtskräftigem Beschluss vom 13. November 2020 (Blatt 14 f. der Beiakte 1) gemäß § 1599 Abs. 1 BGB rückwirkend mit Wirkung für und gegen jeden (§ 184 Abs. 2 FamFG) entfallen (vgl. BGH, Beschl. v. 22.3.2017 - XII ZB 56/16 -, juris Rn. 14; Urt. v. 11.1.2012 - XII ZR 194/09 -, juris Rn. 17). Denn gemäß § 1599 Abs. 1 BGB gilt § 1592 Nr. 1 BGB nicht, wenn auf Grund einer Anfechtung rechtskräftig festgestellt ist, dass der Mann nicht der Vater des Kindes ist.
(2) Die erfolgreiche Vaterschaftsanfechtung führt jedoch nicht dazu, dass auch die deutsche Staatsangehörigkeit der Klägerin rückwirkend gemäß § 1599 Abs. 1 BGB in Verbindung mit § 4 Abs. 1 Satz 1 sowie § 17 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 1 Var. 3 StAG entfallen ist (anders zur geltenden Rechtslage vor 2009 noch Senatsurt. v. 7.7.2016 - 13 LC 21/15 -, juris). Denn die genannten Regelungen stellen keine ausreichende gesetzliche Grundlage für den Verlust der Staatsangehörigkeit dar, da sie den Umstand, dass die Staatsangehörigkeit infolge der Feststellung des Nichtbestehens der Vaterschaft wegfällt, nicht ausdrücklich regeln. [...]
(c) Ein Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit der Klägerin ist daher an den Anforderungen des Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG zu messen. [...]
Gemessen daran fehlt es vorliegend an einer gesetzlichen Grundlage für den Verlust der Staatsangehörigkeit infolge der Anfechtung der Vaterschaft. Sie folgt weder aus § 1599 Abs. 1 BGB, § 4 Abs. 1 Satz 1 StAG oder § 17 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 1 Var. 3 StAG als Einzelvorschriften noch aus dem Zusammenwirken dieser Vorschriften, weil der Umstand, dass die Staatsangehörigkeit infolge der Feststellung des Nichtbestehens der Vaterschaft wegfällt, nicht ausdrücklich gesetzlich geregelt ist. [...]