EuGH

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Zitieren als:
EuGH, Urteil vom 25.05.2023 - C-364/22 J.B. u.a. gegen Bundesrepublik Deutschland - asyl.net: M31554
https://www.asyl.net/rsdb/m31554
Leitsatz:

Weiterer Asylantrag ist auch nach Rückkehr ins Herkunftsland Folgeantrag:

1. Ein Asylfolgeantrag kann auch dann als unzulässig abgelehnt werden, wenn die schutzsuchende Person zwischenzeitlich ausgereist und in ihr Herkunftsland zurückgekehrt ist, sei es freiwillig oder unter Zwang.

2. Ein Asylfolgeantrag kann auch dann als unzulässig abgelehnt werden, wenn im ersten Verfahren der Anspruch auf subsidiären Schutz nicht geprüft wurde, sofern das Vorliegen von Abschiebungsverboten anhand ähnlicher inhaltlicher Voraussetzungen geprüft wurde.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Asylfolgeantrag, Zulässigkeit, Rückkehr, Einreise, subsidiärer Schutz, Abschiebungsverbot,
Normen: AsylG § 71 Abs. 1 S. 1, VwVfG § 51 Abs. 1, RL 2013/32/EU Art. 33 Abs. 2 Bst. d, RL 2013/32/EU Art. 2 Bst. q
Auszüge:

[...]

23 Mit seinen ersten beiden Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob zum einen Art. 33 Abs. 2 Buchst. d der Richtlinie 2013/32 dahin auszulegen ist, dass er dem entgegensteht, dass ein Folgeantrag auf internationalen Schutz unabhängig davon, ob der Antragsteller nach der Ablehnung seines Antrags auf internationalen Schutz und vor der Stellung dieses Folgeantrags auf internationalen Schutz in sein Herkunftsland zurückgekehrt ist, als unzulässig abgelehnt wird, und zum anderen, ob es insoweit von Bedeutung ist, ob der Antragsteller in dieses Land abgeschoben wurde oder freiwillig dorthin zurückgekehrt ist. [...]

26 Der Begriff "Folgeantrag" bezeichnet gemäß der Definition in Art. 2 Buchst. q der Richtlinie 2013/32 einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz, der nach Erlass einer bestandskräftigen Entscheidung über einen früheren Antrag gestellt wird.[...]

32 Im Übrigen ist festzustellen, dass der Umstand, dass ein Asylbewerber nach der Ablehnung eines Antrags auf internationalen Schutz vorübergehend in sein Herkunftsland zurückgekehrt ist, keinen Einfluss darauf hat, ob ein weiterer Asylantrag als "Folgeantrag" im Sinne von Art. 2 Buchst. q der Richtlinie 2013/32 einzustufen ist.

33 Nach dem Wortlaut von Art. 33 Abs. 2 Buchst. d und Art. 2 Buchst. q dieser Richtlinie ist eine solche Rückkehr nämlich kein maßgebliches Kriterium für die Feststellung, ob ein weiterer Antrag auf internationalen Schutz einen Folgeantrag darstellt und dementsprechend als unzulässig abgelehnt werden kann.

34 Zwar ist eine erneute Sachprüfung vorzunehmen, wenn neue Umstände oder Erkenntnisse im Sinne von Art. 33 Abs. 2 Buchst. d und Art. 40 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 2013/32 in Bezug auf den Antrag auf internationalen Schutz zutage getreten oder vom Antragsteller vorgebracht worden sind. In diesem Sinne kann die Tatsache, dass sich der Antragsteller vor der Stellung dieses Folgeantrags in seinem Herkunftsland aufgehalten hat, einen Einfluss auf die gebotene Gefahrenbeurteilung und damit auf die Entscheidung über die Gewährung internationalen Schutzes haben, z. B. wenn für den Antragsteller in diesem Land eine Verfolgungsgefahr entstanden ist. Der bloße Umstand, dass eine Rückkehr ins Herkunftsland erfolgt ist, bedeutet jedoch noch nicht unbedingt, dass "neue Umstände oder Erkenntnisse" im Sinne der genannten Vorschriften vorliegen.

35 Das vorlegende Gericht erläutert in seinem Vorabentscheidungsersuchen, dass die ersten beiden Fragen aufgrund der Erwägungen in den Nrn. 34 ff. der Schlussanträge des Generalanwalts Saugmandsgaard Øe in der Rechtssache L. R. (Von Norwegen abgelehnter Asylantrag) (C-8/20, EU:C:2021:221) gestellt
würden [...].

36 Hierzu ist festzustellen, dass diese Erwägungen hauptsächlich auf Art. 19 Abs. 3 Unterabs. 2 der Dublin-III-Verordnung gestützt waren, wie sich insbesondere aus den Nrn. 38 und 47 der fraglichen Schlussanträge ergibt. [...]

37 Die Frage, ob ein Asylantrag als "neuer Antrag" im Sinne der Dublin-III-Verordnung gilt, ist aber von der Frage zu unterscheiden, ob dieser Antrag als "Folgeantrag" im Sinne von Art. 2 Buchst. q und Art. 33 Abs. 2 Buchst. d der Richtlinie 2013/32 einzustufen ist. Im Fall der erneuten Einreise eines Antragstellers in das Gebiet der Europäischen Union ist die Einstufung eines Antrags als "neuer Antrag" im Sinne von Art. 19 Abs. 3 Unterabs. 2 der Dublin-III-Verordnung nämlich nur im Rahmen dieser Verordnung für das darin vorgesehene Verfahren relevant, mit dem der für die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz zuständige Mitgliedstaat bestimmt wird. [...]

40 Nach alledem ist auf die ersten beiden Fragen zu antworten, dass Art. 33 Abs. 2 Buchst. d der Richtlinie 2013/32 dahin auszulegen ist, dass er dem nicht entgegensteht, dass ein Folgeantrag auf internationalen Schutz unabhängig davon, ob der Antragsteller nach der Ablehnung seines Antrags auf internationalen Schutz und vor der Stellung dieses Folgeantrags auf internationalen Schutz in sein Herkunftsland zurückgekehrt ist, sowie unabhängig davon, ob eine etwaige Rückkehr freiwillig erfolgte oder erzwungen wurde, als unzulässig abgelehnt wird. [...]

41 Mit seiner dritten und seiner vierten Frage, die zusammen zu behandeln sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 33 Abs. 2 Buchst. d der Richtlinie 2013/32 dahin auszulegen ist, dass er es einem Mitgliedstaat verwehrt, einen Folgeantrag auf internationalen Schutz als unzulässig abzulehnen, wenn die Entscheidung über den früheren Antrag zwar nicht die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus betraf, aber nach einer Prüfung des Vorliegens von Abschiebungsverboten erlassen wurde und diese Prüfung im Wesentlichen derjenigen entspricht, die im Hinblick auf die Zuerkennung dieses Status vorgenommen wird. [...]

43 Insoweit ist erstens festzustellen, dass die Prüfung des Vorliegens von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2, Abs. 3 und Abs. 7 Satz 2 AufenthG, wie sie vom vorlegenden Gericht beschrieben wird, inhaltlich mit der in Art. 15 der Richtlinie 2004/83 vorgesehenen Prüfung vergleichbar erscheint und den Antragstellern offenbar ein gleichwertiges Schutzniveau gewährte. [...]

46 Auch wenn im vorliegenden Fall die Entscheidungen über die früheren Anträge der Kläger des Ausgangsverfahrens nicht die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus betrafen, wurden sie nach einer Prüfung des Vorliegens von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 2, Abs. 3 und Abs. 7 Satz 2 AufenthG erlassen, die nach den Ausführungen des vorlegenden Gerichts inhaltlich mit der im Hinblick auf die Zuerkennung dieses Status durchgeführten Prüfung vergleichbar ist.

47 Nach alledem ist auf die dritte und die vierte Frage zu antworten, dass Art. 33 Abs. 2 Buchst. d der Richtlinie 2013/32 dahin auszulegen ist, dass er es einem Mitgliedstaat nicht verwehrt, einen Folgeantrag auf internationalen Schutz als unzulässig abzulehnen, wenn die Entscheidung über den früheren Antrag zwar nicht die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus betraf, aber nach einer Prüfung des Vorliegens von Abschiebungsverboten erlassen wurde und diese Prüfung inhaltlich mit derjenigen vergleichbar ist, die im Hinblick auf die Zuerkennung dieses Status vorgenommen wird. [...]