Kostenübernahme für Passausstellungsgebühren bei Unterbringung in stationärer Einrichtung:
1. Die vom Herkunftsland erhobenen Gebühren für die Ausstellung eines Passes sind bei Hilfebedürftigen in Einrichtungen als im Einzelfall weiterer notwendiger Lebensunterhalt gemäß § 27b Abs. 2 SGB XII zu leisten.
2. Die Deckung solcher Bedarfe des Lebensunterhalts durch die Bewilligung eines Darlehens scheidet für Leistungsberechtigte in Einrichtungen grundsätzlich aus, denn sie können die notwendigen Mittel zur Bedarfsdeckung nicht eigenverantwortlich ausgleichen oder ansparen.
(Leitsätze der Redaktion; siehe auch: Bundessozialgericht, Urteil vom 29.05.2019 - B 8 SO 8/17 R - openjur.de)
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Der Kläger hat einen Anspruch auf Übernahme der Passbeschaffungskosten in Höhe von 211 Euro, die ihm als weiterer notwendiger Lebensunterhalt zuschussweise zustehen. [...]
13 Anspruchsgrundlage für die Übernahme der Passkosten ist § 19 Abs. 1, § 27b Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 SGB XII [...]. Der Kläger lebt auf Grundlage der bindenden Feststellungen des LSG dauerhaft im Bundesgebiet in einer stationären Einrichtung (vgl. § 13 Abs. 2 SGB XII); für ihn als Inhaber einer Niederlassungserlaubnis (§ 101 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz <AufenthG>) kommt damit das SGB XII uneingeschränkt zur Anwendung (vgl. § 23 Abs. 1 Satz 4 SGB XII). Der Anwendungsbereich des § 73 SGB XII ist nicht eröffnet, weil wegen der Kosten für die Passbeschaffung bei Ausländern keine atypische Bedarfslage gegeben ist. [...]
15 Die allgemein vom Heimatland erhobenen Gebühren für die Ausstellung eines neuen Passes sind nicht dem sog inkludierten Lebensunterhalt (§ 27b Abs. 1 Satz 1 SGB XII), sondern dem weiteren notwendigen Lebensunterhalt iS von § 27b Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 SGB XII zuzuordnen, weil die Einrichtung Kosten für den Pass nicht erbringt. Der Bedarf an notwendigem Lebensunterhalt als in die stationäre Leistung eingeschlossener Bedarf gemäß § 27b Abs. 1 Satz 1 SGB XII entspricht als Rechenposten insgesamt dem Umfang der Leistungen der Grundsicherung nach § 42 Nr. 1, 2 und 4 SGB XII [...] und fließen damit in den "Rechenposten" ein. Vom inkludierten Lebensunterhalt sind im Einzelfall aber nur solche Bedarfe für den Lebensunterhalt abgedeckt, die die Einrichtung tatsächlich erbringt. Dies gilt unabhängig davon, ob - was wegen der Passkosten allerdings ausscheidet - die Einrichtung zur Erbringung solcher Leistungen verpflichtet wäre [...].
16 Der vom inkludierten Lebensunterhalt zu unterscheidende weitere notwendige Lebensunterhalt in stationären Einrichtungen, der dem Leistungsberechtigten im Grundsatz als Geldleistung ausgezahlt wird, umfasst insbesondere Kleidung und einen angemessenen Barbetrag zur persönlichen Verfügung (§ 27b Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 SGB XII). Die Formulierung "insbesondere" in § 27b Abs. 2 Satz 1 SGB XII macht deutlich, dass es sich bei Bekleidung und angemessenem Barbetrag nicht um eine abschließende Aufzählung, sondern lediglich um Beispiele handelt (BSG vom 11.12.2007 - B 8/9b SO 22/06 R - SozR 43500 § 35 - 1 Rd 13). Mit dem weiteren notwendigen Lebensunterhalt im Rahmen der Hilfe zum Lebensunterhalt in stationären Einrichtungen ist grundsätzlich alles gemeint, was nicht bereits Teil des in der Einrichtung erbrachten notwendigen Lebensunterhalts nach § 27b Abs. 1 SGB XII und nicht vom Barbetrag (und den Kosten für Kleidung, jetzt Bekleidungspauschale) zu decken ist. Umfasst sind damit alle anderen aktuellen Bedarfe, die ohne die stationäre Unterbringung als Hilfe zum Lebensunterhalt zu leisten wären und von der Einrichtung selbst nicht erbracht werden [...].
17 Die Passbeschaffungskosten sind nicht dem Barbetrag zuzuordnen. Die jeweiligen Zwecke des Barbetrages und des Regelsatzes sind verschieden. Der Barbetrag dient (nur) der Erfüllung persönlicher Bedürfnisse neben den in der Einrichtung selbst erbrachten Leistungen und ist als "kleines Spiegelbild" derjenigen Bedarfsteile, die überhaupt in den Deckungsbereich der stationären Einrichtung fallen, kein Auffangbecken für alle weiteren Bedarfe des Lebensunterhalts [...].
18 Da der geltend gemachte Bedarf "Passbeschaffung" in den Bereich des sozialhilferechtlich relevanten Regelbedarfs fällt (vgl. BSG vom 29.5.2019 - B 8 SO 8/17 R - SozR 44200 § 24 - 8 Rd 14; BSG vom 29.5.2019 - B 8 SO 14/17 R - FEVS 71, 221), vom Barbetrag jedoch nicht erfasst wird, ist er für Hilfebedürftige in Einrichtungen als im Einzelfall weiterer notwendiger Lebensunterhalt im Rahmen des § 27b Abs. 2 SGB XII zu leisten (vgl. BSG vom 23.3.2021 - B 8 SO 16/19 R - BSGE 132, 41 = SozR 43500 § 27b - 2, Rd 31). Dies ist Ausfluss des Bedarfsdeckungsprinzips, wonach auch in stationären Einrichtungen ein Anspruch darauf besteht, dass der individuell notwendige Bedarf zum Lebensunterhalt umfassend sichergestellt wird. Dabei handelt es sich nicht nur um laufende Bedarfe, wie der Hinweis auf § 31 SGB XII zeigt [...].
19 Die Deckung von aktuellen Bedarfen des Lebensunterhalts durch die Bewilligung eines Darlehen scheidet für Leistungsberechtigte in Einrichtungen - von dem in § 38 SGB XII gesetzlich geregelten Ausnahmefall abgesehen - dabei aus. Im Barbetrag als laufende Geldleistung an den Leistungsberechtigten in Einrichtungen sind keine Ansparbeträge eingestellt, über die er einerseits Beträge für die Deckung einmalig anfallender Bedarfe ansparen müsste und aus denen er andererseits durch Einbehalt von der Regelleistung Rückzahlungen für ein Darlehen bestreiten könnte (vgl. bereits BSG vom 23.3.2021 - B 8 SO 16/19 R - BSGE 132, 41 = SozR 43500 § 27b - 2, Rd 33 f). Die gesetzgeberische Konzeption, wonach bei vorübergehenden Spitzen eines vom Regelbedarf umfassten Bedarfs (nur) die Gewährung eines Darlehens nach § 37 Abs. 1 SGB XII in Betracht kommt, trägt aber nur dort, wo Leistungsberechtigte die Mittel, die auf der statistischen Ermittlung des Regelbedarfs beruhen, zur Bedarfsdeckung eigenverantwortlich ausgleichen und ansparen können [...]. Deckt der Barbetrag, dessen Höhe nicht auf einer nachvollziehbaren Bedarfsermittlungsmethode beruht (vgl. BSG vom 23.3.2021 - B 8 SO 16/19 R - BSGE 132, 41 = SozR 43500 § 27b - 2, Rd 25), aber statistisch keine Ansparmöglichkeiten ab, darf der Leistungsberechtigte nicht auf ein Darlehen verwiesen werden.
20 Der mit der Fälligkeit der Rechnung im April 2013 angefallene Bedarf ist im Fälligkeitsmonat zu berücksichtigen. Es handelt sich auch um einen notwendigen, unabweisbaren Bedarf. Der Kläger hätte der Ausweispflicht insbesondere nicht durch einen Ausweisersatz iS des § 48 Abs. 2 AufenthG genügen können. Es lag im Hinblick auf die Tragung der allgemeinen Gebühren des passausstellenden Staates keine Unzumutbarkeit der Passerlangung iS von § 48 Abs. 2 AufenthG vor. [...]