OVG Mecklenburg-Vorpommern

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Zitieren als:
OVG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 07.12.2022 - 4 LB 648/21 OVG - asyl.net: M31544
https://www.asyl.net/rsdb/m31544
Leitsatz:

Keine Gruppenverfolgung von homosexuellen Männern in Mexiko:

1. Für ein staatliches Verfolgungsprogramm gegen homosexuelle Menschen bestehen keine Anhaltspunkte.

2. Die Lage von homosexuellen Menschen in Mexiko ist zwar problematisch, allerdings fehlt es an der erforderlichen Verfolgungsdichte durch nichtstaatliche Akteure, um von einer Gruppenverfolgung auszugehen.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Mexiko, homosexuell, Gruppenverfolgung,
Normen: AsylG § 3, AsylG § 4, AufenthG § 60 Abs. 5
Auszüge:

[...]

28 Der Kläger hat seinen Vortrag im Verlauf des Asylverfahrens erheblich gesteigert. Nachdem er sich in der Anhörung beim Bundesamt und im vorbereitenden Verfahren vor dem Verwaltungsgericht ausschließlich auf Diskriminierungshandlungen wegen seiner Homosexualität berufen hatte, trug er erstmals in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht vor, für eine kriminelle Organisation als homosexueller Escort gearbeitet zu haben und bei seinem Ausstieg bedroht worden zu sein. Eine überzeugende Begründung, warum er dies nicht schon gegenüber dem Bundesamt oder mit der Klagebegründung vorgetragen hat, konnte der Kläger auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nicht abgeben. Der Senat konnte nicht nachvollziehen, warum der Kläger beim Bundesamt versäumt hat, die Gründe für seine Verfolgungsfurcht vollständig zu schildern. Soweit der Kläger schließlich nach mehrfacher Nachfrage erklärt hat, er habe befürchtet, das Bundesamt würde Nachforschungen in Mexiko anstellen und damit seine Familie gefährden, überzeugt das nicht. Der Kläger war im Asylverfahren darüber belehrt worden, dass seine Angaben den Behörden des Herkunftslandes nicht mitgeteilt werden.

29 Doch selbst wenn man die Steigerung des Vorbringens nicht zu Lasten des Klägers berücksichtigen wollte, war sein Vortrag nicht glaubhaft. Der Kern des klägerischen Vorbringens bestand in der versuchten Entführung durch Mitglieder der Bande, für die der Kläger als Escort gearbeitet haben will. Aus diesem Geschehen leitet der Kläger seine Verfolgungsfurcht ab. Obwohl es sich dabei um einen dramatischen Vorfall gehandelt hat, bei dem zu erwarten wäre, dass er beim Kläger einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen hat, war der Kläger trotz mehrerer Fragen dazu nicht in der Lage, diesen Vorgang in der mündlichen Verhandlung zur Überzeugung des Gerichts zu schildern. Die kurzen Aussagen des Klägers hierzu waren ausgesprochen vage, farblos und ohne jedes Detail. Wenn der Kläger tatsächlich eine versuchte Entführung erlebt hätte, geht der Senat davon aus, dass er diese auch lebensnah und lebendig hätte schildern können. Das ist nicht geschehen. [...]

31 Dem Kläger droht in Mexiko auch nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Gruppenverfolgung wegen seiner Homosexualität. [...]

33 Für ein staatliches Verfolgungsprogramm gegen homosexuelle Menschen in Mexiko und in der Herkunftsregion des Klägers Mexiko-Stadt bestehen keine Anhaltspunkte. Die Diskriminierung von LGBT-Personen ist nach mexikanischem Bundesrecht verboten. Das Recht der Hauptstadt Mexiko-Stadt sieht eine Strafverschärfung für Hassverbrechen aufgrund der sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentität vor. Im Juli 2021 verabschiedete der Kongress von Mexiko-Stadt ein Gesetz zur Gewährleistung, Förderung und zum Schutz der LGBT-Menschenrechten. In 22 der 32 mexikanischen Bundesstaaten ist die gleichgeschlechtliche Ehe erlaubt [...]. Mexiko-Stadt gilt als fortschrittlichste Region in Mexiko in Bezug auf die Behandlung von LGBT-Personen [...].

34 Soweit homosexuelle Männer in Mexiko von nichtstaatlichen Akteuren verfolgt werden, fehlt es für die Feststellung einer gruppengerichteten Verfolgung an der erforderlichen Verfolgungsdichte. Die Lage von Homosexuellen in Mexiko ist allerdings problematisch. LGBT-Personen genießen in Mexiko zwar einen starken gesetzlichen Schutz, dieser wird aber nicht einheitlich durchgesetzt [...]. Die allgemeine Strafverfolgungsquote ist sehr niedrig. 97 Prozent der Verbrechen werden nicht geahndet. Es herrscht fast völlige Straffreiheit [...]. Es gibt Berichte darüber, dass die Regierung auch bei Verbrechen gegen LGBT-Personen die Täter nicht regelmäßig ermittelt und bestraft, vor allem außerhalb von Mexiko-Stadt. Nichtregierungsorganisationen erklären zudem, dass die Polizei LGBT-Personen während der Haft routinemäßig misshandelt. In einer Umfrage der National Human Rights Commission berichteten sechs von zehn Mitgliedern der LGBT-Community, in den letzten zwölf Monaten wegen ihrer sexuellen oder geschlechtlichen Orientierung diskriminiert worden zu sein. Über die Hälfte berichtete von Hassrede und körperlichen Angriffen [...]. Im Jahre 2021 wurden mindestens 72 Fälle von Tötungen und Verschwindenlassen von LGBT-Personen berichtet [...]. Der Senat kann jedoch auch unter Berücksichtigung dieser Erkenntnisquellen angesichts des Bevölkerungsanteils homosexueller Menschen nicht feststellen, dass dicht und eng gestreute Verfolgungsschläge jeden homosexuellen Mann in Mexiko ohne Weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit in flüchtlingsrechtlich geschützten Rechtsgütern vermitteln. Es sind nach den vorstehenden Tatsachenfeststellungen auch keine individuellen Besonderheiten zu erkennen, die diese Gefahr für den Kläger weiter erhöhen würden. Der Kläger hat in Mexiko insbesondere keine Haft zu erwarten, so dass es auf die Bedingungen im Gewahrsam und die Behandlung von Homosexuellen durch die Polizei nicht ankommt. [...]