VG Magdeburg

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Zitieren als:
VG Magdeburg, Urteil vom 12.07.2022 - 5 A 253/20 MD - asyl.net: M31536
https://www.asyl.net/rsdb/m31536
Leitsatz:

Haftbedingungen für Dublin-Rückkehrende in Malta:

Dublin-Rückkehrenden droht in Verbindung mit der hohen Wahrscheinlichkeit einer Inhaftierung unmenschliche und erniedrigende Behandlung, weil die Haftbedingungen prekär und schwierig sind.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Malta, Dublinverfahren, Haft, besonders schutzbedürftig, Aufnahmebedingungen, Abschiebungsverbot, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung,
Normen: EMRK Art. 3, GR-Charta Art. 4, AufenthG § 60 Abs. 5, AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1a, VO 604/2013 Art. 18 Abs. 1b
Auszüge:

[...]

25 Gemessen hieran ist die Beklagte für die Prüfung der Asylanträge der Kläger zuständig. In Hinblick auf Malta liegen derzeit wesentliche Gründe für die Annahme vor, dass die Aufnahmebedingungen für Schutzsuchende in der Situation der Kläger systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 der EU-Grundrechtecharta mit sich bringen. [...]

31 Bei einer auf der Grundlage dieses Maßstabs durchgeführten Gesamtwürdigung der Berichte und Stellungnahmen sowie der Anwendungspraxis des nach § 173 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 293 ZPO ermittelten Rechts der Republik Malta für die hier maßgebliche Gruppe der sogenannten Dublin-Rückkehrer besteht für den Kläger in dem Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung eine beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass er dort einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung ausgesetzt sein wird. Zwar lässt sich aus dem Asylverfahren (a)) und der Versorgungssituation von sogenannten Dublin-Rückkehrer (b)) in Malta nicht auf die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung des Klägers schließen. Allerdings droht dem Kläger im Hinblick auf die Umstände einer – ihm mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohenden – Inhaftierung eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung zu erfahren (c)). [...]

40 c) Indes droht dem Kläger im Hinblick auf die Umstände einer – ihm mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohenden – Inhaftierung eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung zu erfahren.

41 Sogenannte Dublin-Rückkehrer werden in den weit überwiegenden Fällen nach ihrer Ankunft in Haft genommen (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Malta, Gesamtaktualisierung am 7. Juni 2021, S. 7). Sie werden normalerweise auf Grundlage der Reception Conditions Directive inhaftiert, da die Behörden davon ausgehen, dass die Anträge der Asylbewerber sonst aufgrund des Risikos erneuten Untertauchens nicht vollständig erfasst werden könnten (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Anfragebeantwortung der Staatendokumentation, Malta, Dublin Rückkehrer, 23. Februar 2021, S. 2). Dies entspricht der Behandlung von regulären Asylbewerbern. Auch diese können gemäß Reg. 6 (7) Reception of Asylum Seekers Regulations, Legal Notice 320 of 2005, amended by: Reception of Asylum Seekers Regulations, Legal Notice 417 of 2015, amended by: Legal Notice 487 of 2021 (im Folgenden nur Reception of Asylum Seekers Regulations) für bis zu neun Monate inhaftiert werden. Hierfür bedarf es gemäß Reg. 6 (1) lit. (a) - (f) Reception of Asylum Seekers Regulations einen der folgenden Haftgründe: zur Feststellung der Identität oder Staatsangehörigkeit des Asylbewerbers, zur Feststellung der dem Antrag zugrunde liegenden Tatsachen, die ohne Haft nicht erlangt werden können, insbesondere bei Fluchtgefahr des Asylbewerbers, zur Entscheidung über das Recht des Asylbewerbers zur Einreise, zur Vereinfachung des Rückführungsverfahrens, zum Schutz der nationalen Sicherheit oder der öffentlichen Ordnung und in Übereinstimmung mit der Dublin III-Verordnung (vgl. dazu auch aida, Country Report: Malta, 2021 Update, Stand: 31. Dezember 2021, S. 95 f.).

42 Zwar begründet die Inhaftierung für sich genommen noch keinen begründeten Anhaltspunkt für das Vorliegen systemischer Mängel des Asylsystems. Art. 3 EMRK verpflichtet die Mitgliedstaaten gleichwohl, sich zu vergewissern, dass die Bedingungen der Haft mit der Achtung der Menschenwürde vereinbar sind und dass Art und Methode des Vollzugs der Maßnahme den Gefangenen nicht Leid oder Härten unterwirft, die das mit einer Haft unvermeidbar verbundene Maß an Leiden übersteigt, und dass seine Gesundheit und sein Wohlbefinden unter Berücksichtigung der praktischen Bedürfnisse der Haft angemessen sichergestellt sind (EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 – M.S. S./Belgien u. Griechenland, juris, Rn. 221; Urteil vom 10. Januar 2012 – 42525/07 und 60800/08 – Ananyev u.a./Russland, juris, Rn. 141). [...]

43 Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ergibt sich, dass die konkreten Haftbedingungen in den maltesischen Asylhaftanstalten eine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung des Klägers begründen.

44 Obwohl das maltesische Aufnahmesystem im Jahr 2015 reformiert worden ist, bleiben die Haftbedingungen sehr schwierig und prekär und haben sich – aufgrund der Covid 19-Pandemie und der ansteigenden Zahl in Malta ankommender Asylbewerber – insbesondere im Jahr 2020 nochmals stark verschlechtert. Diese Zustände haben sich auch nicht im Jahr 2021 verbessert. Asylbewerber werden ohne Beschäftigung oder Gelegenheit zur Bewegung im Freien und mit minimalem Kontakt zur Außenwelt in überfüllten Einheiten festgehalten. [...] Die Unterbringungseinheiten verfügen über unzureichende sanitäre und hygienische Einrichtungen und bieten den Häftlingen keine Privatsphäre. Darüber hinaus gibt es wenig bis keine Heizung oder Belüftung, wodurch Migranten extremer Kälte und Hitze ausgesetzt sind. Auch Inhaftierte berichten regelmäßig von unzumutbaren Haftbedingungen mit starker Überbelegung und unhygienischen Bedingungen, die durch die begrenzte Verfügbarkeit von Gemeinschaftstoiletten und -duschen verursacht werden. [...] An den Wänden und Decken befindet sich Schimmel. Die meisten Asylbewerber berichten über das Fehlen geeigneter Kleidung oder Schuhe, aber auch über das Fehlen von Laken und Decken. Sie besitzen nur einen Satz Kleidung (in der Regel die, in der sie angekommen sind), sodass sie sich beim Waschen Kleidung von anderen Migranten ausleihen müssen. Anwälte, die Inhaftierte unterstützen, berichten, dass ihre Mandanten selbst im Winter nur Unterhosen und offene Sandalen trugen. Die Dauer der Inhaftierung beträgt zwischen 7 bis 9 Monaten [...]. Die ausgeführten Haftbedingungen gelten für sämtliche Asylhaftanstalten in Malta [...].

45 Diese Haftbedingungen führen mit einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit zu einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung des Klägers. Dies ergibt sich vor dem Hintergrund der teilweise monatelangen Haftdauer bereits aus den in den maltesischen Asylhaftanstalten herrschenden räumlichen Verhältnissen. Hinzu kommen der fehlende Zugang zu Bewegung im Freien, die teilweise fehlende Verfügbarkeit von Belüftung sowie den desolaten sanitären und hygienischen Zuständen. [...]