Flüchtlingsanerkennung für homosexuellen Mann aus Nigeria:
1. Homosexuelle Menschen können ihre sexuelle Orientierung in Nigeria nicht öffentlich ausleben und sind massiven Diskriminierungen und Übergriffen ausgesetzt. Das gesellschaftliche Klima ihnen gegenüber ist feindselig und es kommt vermehrt zu Mob-Angriffen und Polizeigewalt.
2. Der Kläger hat in Nigeria bereits nichtstaatliche Verfolgung erlitten, und es sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, die dagegen sprächen, dass er erneut wegen seiner Homosexualität bedroht würde (vgl. Art. 4 Abs. 4 Qualifikationsrichtlinie).
3. Es besteht auch keine Möglichkeit internen Schutzes gemäß § 3e Abs. 1 AsylG, da Homosexualität auch in den urbanen Zentren Nigerias nicht toleriert wird. Hierfür spricht schon, dass ein Übergriff auf den Kläger in der Haupt- und Millionenstadt Abuja stattgefunden hat.
(Leitsätze der Redaktion; siehe auch: VG Würzburg, Urteil vom 27.07.2022 - W 1 K 22.30060 - asyl.net: M31323)
[...]
Ausgehend von diesen rechtlichen Vorgaben hat der Kläger einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Er hat zur Überzeugung des Gerichts im Falle einer Rückkehr nach Nigeria aufgrund seiner Homosexualität Verfolgung wegen seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe zu befürchten.
Bei der insofern zu treffenden Prognoseentscheidung kommt dem Kläger die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 Qualifikationsrichtlinie zugute. Denn das Gericht ist aufgrund der eingehenden Befragung des Klägers in der mündlichen Verhandlung nicht nur davon überzeugt, dass er homosexuell ist, sondern auch davon, dass er aufgrund seiner Homosexualität in Nigeria bereits verfolgt worden ist. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung glaubhaft geschildert, wie ihm als Jugendlichem seine homosexuelle Orientierung im Zusammenhang mit wiederholten sexuellen Handlungen bewusst geworden ist, die ein Erwachsener an und mit ihm vorgenommen hat, von dem er aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Situation seiner, des Klägers, Familie abhängig war und der ihm seine Schulbildung (mit-)finanziert hat. Er hat ferner glaubhaft geschildert, wie er später von einer großen Gruppen von Männern brutal zusammengeschlagen wurde, nachdem er bei homosexuellen Handlungen mit seinem damaligen Partner von dessen Bruder erwischt worden war. Die Gruppe habe ihn und seinen Partner wegen ihrer homosexuellen Handlungen schreiend auf die Straße gezerrt, dort – auch mit Stöcken – verprügelt und von ihnen eine hohe Summe Geld (200.000 Naira) gefordert. Nachdem ihm die Flucht gelungen sei, sei er mehrere Tage in einem anderen Stadtteil, in dem man ihn nicht gekannt habe, untergetaucht und habe auf der Straße gelebt, bevor er sodann den Entschluss zur Flucht getroffen habe. Sein Partner sei im Polizeigewahrsam verstorben.
Die Schilderungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung waren anschaulich, detailreich, von gelegentlichem Ringen um eine präzise Erinnerung geprägt und in sich durchweg konsistent. Sie stimmen mit seinen Angaben gegenüber dem Bundesamt überein. Anlass, am Wahrheitsgehalt zu zweifeln, sind für das Gericht nicht zutage getreten.
Der vom Kläger geschilderte brutale Überfall einschließlich der sich anschließenden, von einer Angst des Entdecktwerdens geprägten Flucht ist aufgrund der Gesamtumstände als Verfolgung zu qualifizieren. Diese knüpft an die Homosexualität des Klägers und damit an seine Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe an. Denn Homosexuelle bilden in Nigeria eine soziale Gruppe im Sinne des § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG. [...]
Stichhaltige Gründe im Sinne von Art. 4 Abs. 4 Qualifikationsrichtlinie, die dagegen sprächen, dass der Kläger erneut von Verfolgung wegen seiner Homosexualität bedroht würde, bestehen nicht. Vielmehr können Homosexuelle nach der Auskunftslage ihre sexuelle Orientierung in Nigeria nicht öffentlich ausleben und sind massiven Diskriminierungen und Anfeindungen ausgesetzt. Das gesellschaftliche Klima ihnen gegenüber ist feindselig. Die Regierung beschreibt Homosexualität als "unnatürlich" und "unafrikanisch". Seit der Verabschiedung der "Same Sex Marriage Bill" sind Homosexuelle noch häufiger Opfer von Mob-Angriffen und Polizeigewalt (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Nigeria vom 22. Februar 2022, S. 13 f.). [...]
Die Möglichkeit, internen Schutz im Sinne des § 3e AsylG in Anspruch zu nehmen, kann dem Kläger ebenfalls nicht entgegengehalten werden. Es ist nichts Hinreichendes dafür erkennbar, dass Homosexualität in größeren Städten oder urbanen Zentren Nigerias toleriert würden und nicht mit Diskriminierungen zurechnen hätten [...].
Der Fall des Klägers bestätigt diese Einschätzung: Der Überfall auf seinen Partner und ihn fand in der nigerianischen Hauptstadt Abuja, einer Millionenmetropole, statt.
Ob Homosexuelle auch dann, wenn sie nicht vorverfolgt ausgereist sind, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit im Falle einer Rückkehr nach Nigeria von Verfolgung bedroht wären, bedarf danach keiner Entscheidung. [...]