VG Hamburg

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Zitieren als:
VG Hamburg, Urteil vom 23.02.2023 - 5 K 6543/18 - asyl.net: M31378
https://www.asyl.net/rsdb/m31378
Leitsatz:

Maßgeblicher Zeitpunkt des Vorliegens der Voraussetzungen für den Familiennachzug zu deutschem Kind und humanitäre Situation in Guinea-Bissau:

1. Der maßgebliche Zeitpunkt, dass die Voraussetzungen zum Familiennachzug eines ausländischen Elternteils zum deutschen Kind vorliegen, ist grundsätzlich der Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung.

2. Aufgrund der politischen Instabilität und der Nahrungsmittelkrise in Guinea-Bissau könnte für vulnerable Personengruppen - insbesondere Kinder - eine drohende, Art. 3 EMRK widersprechende Verelendung bei Rückkehr in Betracht kommen. Ein erwachsener, gesunder junger Mann wird in Guinea-Bissau jedoch zumindest mit einer Rückkehrhilfe ein menschenwürdiges Auskommen finden.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Guinea-Bissau, Achtung des Familienlebens, deutsches Kind, junger gesunder Mann, Abschiebungsverbot, Beurteilungszeitpunkt,
Normen: AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 2, AufenthG § 25 Abs. 5, AufenthG § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, AufenthG § 28 Abs. 1 S. 4, AufenthG § 60 Abs. 5, AufenthG § 60 Abs. 7, GG Art. 6 Abs. 2, EMRK Art. 3, EMRK Art. 8 Abs. 2
Auszüge:

[...]

34 aa) Maßgeblich dafür, dass die Voraussetzungen zum Familiennachzug eines ausländischen Elternteils zu einem deutschen Kind nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und Satz 4 AufenthG vorliegen, ist grundsätzlich der Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung. [...]

98 Die politische Instabilität im Zusammenhang mit dem gescheiterten Putschversuch von 2022 und die Nahrungsmittelkrise wegen des russischen Überfalls auf die Ukraine könnte für vulnerable Personengruppen - insbesondere Kinder - eine drohende Verelendung bei Rückkehr nach Guinea-Bissau in Betracht ziehen lassen. Eine allgemeine Hungersnot – die insbesondere junge, erwachsene, gesunde, mit den Verhältnissen in Guinea-Bissau vertraute Männer beeinträchtigt - ist nicht festzustellen. Insbesondere steht einer Abschiebung des Klägers nach Guinea-Bissau nicht gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG entgegen, dass ihm unter Verstoß des Abschiebestaats gegen Art. 3 EMRK im Zielstaat mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche Behandlung drohte. Mangels besonderer Umstände verdichtet sich das aus den herausfordernden Grundbedingungen bei Rückkehr nach Guinea-Bissau folgende allgemeine Risiko im Einzelfall des Klägers nicht zu einer sich alsbald verwirklichenden beachtlichen Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung. Dies folgt bereits daraus, dass er voraussichtlich bei Rückkehr vorerst auf ein vorfindliches Netzwerk wird zurückgreifen können. Nach seinen eigenen Angaben gegenüber der Beklagten lebt im Herkunftsland seine Schwester mit Familie. Zuletzt hielt er sich in den Jahren 2014 bis 2015 für 18 Monate in verschiedenen afrikanischen Ländern, darunter in Guinea-Bissau auf. Weshalb nicht auch der Kläger als erwachsener, gesunder, junger Mann zumindest mit einer Rückkehrhilfe erneut sein Auskommen finden, sondern alsbald einer Verelendung anheimfallen würde, ist nicht ersichtlich. [...]