OVG Thüringen

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Zitieren als:
OVG Thüringen, Beschluss vom 18.01.2023 - 2 ZKO 283/22 - asyl.net: M31367
https://www.asyl.net/rsdb/m31367
Leitsatz:

Keine unmenschliche Behandlung anerkannt Schutzberechtigter in Spanien:

"Anerkannten Schutzberechtigten droht in Spanien grundsätzlich nicht die ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK. Dies gilt auch für vulnerable Personengruppen wie - hier - einer siebenköpfigen Familie mit Kindern im Alter von 7, 10, 12, 16 und 17 Jahren."

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Spanien, internationaler Schutz in EU-Staat, Anerkannte, besonders schutzbedürftig, Kindeswohl, minderjährig, Obdachlosigkeit, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung, Sozialhilfebezug, Existenzgrundlage,
Normen: AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 2, AufenthG § 60 Abs. 5, EMRK Art 3, GR-Charta Art 4
Auszüge:

[...]

Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) hat keinen Erfolg. [...]

Der Zulassungsantrag hält für grundsätzlich bedeutsam,

ob vulnerablen Personen(gruppen), denen in Spanien ein internationaler Schutzstatus zuerkannt wurde, nach der zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt bestehenden Lageberichterstattung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine wesentliche unmenschliche Behandlung nach Art. 3 EMRK bzw. Art 4 GRC droht, die die besondere Erheblichkeitsschwelle der Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 19.03.2019 - I., C-297/17; Beschluss vom 13.11.2019 - H., O., C-540/17, C-541/17) erreicht;

ob dies zumindest derart wahrscheinlich ist, dass die zuständigen deutschen Behörden eine sog. individuelle Garantieerklärung Spaniens einholen müssen.

Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ergibt sich weder aus der vom Verwaltungsgericht zugrunde gelegten Erkenntnisquelle des österreichischen Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BfA), Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Spanien, Gesamtaktualisierung vom 3. Februar 2021 (1.) noch aus den von den Klägern weiter angeführten Erkenntnisquellen (2.) noch aus der von den Klägern angeführten Rechtsprechung (3. und 4.).

1. Entgegen der Begründung des Zulassungsantrages (dort insbesondere unter d.) ergibt sich aus der dem Urteil des Verwaltungsgerichts zugrundeliegenden Erkenntnisquelle des BfA vom 3. Februar 2021 schon nicht, dass den Klägern bei einer Rückkehr nach Spanien Obdachlosigkeit droht:

Die Kläger haben Spanien vor Abschluss ihres dortigen Asylverfahrens verlassen. [...] Das bedeutet, dass die Kläger den in den Urteilsgründen beschriebenen mehrstufigen Integrationsprozess, welcher grundsätzlich 18 Monate - bei vulnerablen Personen ggf. bis zu 24 Monate - beträgt, noch nicht durchlaufen haben: Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichtes (Urteilsumdruck S. 8 mit Verweis auf BfA, S. 13 und S. 16) verläuft der Unterbringungs- und Integrationsprozess in Spanien wie folgt:

"Zuerst erfolgt die Bewertungs- und Zuweisungsphase, die im Idealfall nur 30 Tage (tatsächlich bisweilen auch länger) andauert und daher eigentlich gar nicht mitgezählt wird. Danach kommt als Phase 1 die sog. "Unterbringungsphase". Neben Unterbringung in CAR bzw. NGO-betriebenen Zentren und sozialer Hilfe wird den Asylbewerbern in dieser ersten Versorgungsphase ein Taschengeld in Höhe von 51,60 € im Monat, plus 19,06 € für jeden abhängigen Minderjährigen gewährt. Daneben werden auch noch andere persönliche Ausgaben abgedeckt. Die Phase 2 ist als Vorbereitungsphase für die Autonomie konzipiert. Während dieser Phase werden die Nutznießer in private Unterbringungen entlassen. Sie bekommen dann kein Taschengeld mehr, aber ihre Ausgaben werden übernommen und sie können zusätzliche Mittel zur Deckung der Grundbedürfnisse erhalten."

Dieses Procedere gilt auch für anerkannt Schutzberechtigte [...].

Maßstab für die im Rahmen des Art. 3 EMRK anzustellende Gefahrenprognose ist außerdem grundsätzlich, ob der vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer nach seiner Rückkehr, gegebenenfalls durch ihm gewährte Rückkehrhilfen, in der Lage ist, seine elementarsten Bedürfnisse über einen absehbaren Zeitraum zu befriedigen. Nicht entscheidend ist hingegen, ob das Existenzminimum eines Ausländers in dessen Herkunftsland nachhaltig oder gar auf Dauer sichergestellt ist (BVerwG, Urteil vom 21. April 2022 - 1 C 10/21 - Juris, Rn. 25). Die Sicherstellung der elementarsten Bedürfnisse der Kläger wird durch den mindestens 18-monatigen Integrations- und Unterbringungsprozess hinreichend lang gewährleistet.

Soweit in der Antragsbegründung ausgeführt wird, dass die Ausreise aus Spanien einen Verzicht auf diese Leistungen darstelle (unter Punkt d), so findet dies in der Erkenntnisquelle keine Bestätigung. [...]

Danach wird von einem Verzicht ausgegangen, wenn Schutzberechtigte sich bewusst für ein Verlassen des beschriebenen Integrations- und Unterbringungsprozesses entscheiden. Dass hingegen bei einer Ausreise noch vor dem Abschluss des Asylverfahrens - so wie dies nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts bei den Klägern der Fall gewesen ist - seitens der spanischen Behörden von einem Verzicht auf den (noch nicht begonnenen) Unterbringungs-/Integrationsprozess ausgegangen wird, ergibt sich hieraus nicht und wird von den Klägern auch nicht näher dargelegt.

Gleiches gilt für die Begründung der Kläger, dass die finanzielle Unterstützung unzureichend sei, um selbst Miete zahlen zu können und dass die Diskriminierung von Migrantinnen und Migranten im Übrigen so hoch sei, dass es praktisch nicht möglich sei, einen Mietvertrag abzuschließen.

Dieses Vorbringen setzt sich nicht mit der Feststellung des Verwaltungsgerichts auseinander, dass NGOs bei Beendigung der "Unterbringungsphase" zwischen Flüchtlingen und Vermietern vermitteln und dass die Betroffenen nach wie vor finanzielle Unterstützung zur Deckung der Miete einer eigenen Wohnung erhalten (Urteilsumdruck S. 10, 17). Nichtstaatliche Hilfsmaßnahmen sind in die Beurteilung der Rückkehrbedingungen mit einzubeziehen [...].

Darüber hinaus setzt sich der Vortrag der Kläger zudem nicht mit den Ausführungen des Verwaltungsgerichts auseinander, wonach Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte gleichermaßen und unter denselben Bedingungen Zugang zu Sozialhilfe wie spanische Staatsbürger haben (Urteilsumdruck Seite 16).

Neben dieser bisherigen regional ausgestalteten Leistung hat die spanische Regierung außerdem im Jahr 2020 ein nationales Mindest- bzw. Grundeinkommen (IMV - Ingreso Mínimo Vital) eingeführt, was die Kläger selbst unter Punkt d. ihrer Zulassungsbegründung ausführen. Damit bestehen neben dem beschriebenen Integrations- und Unterbringungsprozess weitere soziale Sicherungssysteme, welche die Kläger in Anspruch nehmen könnten. [...]

2. Eine Klärungsbedürftigkeit folgt auch nicht aus den weiteren von den Klägern angeführten Erkenntnisquellen von

a. Amnesty International (Der Stand der Menschenrechte der Welt, Spanien 2021),

b. Human Rights Watch, Weltbericht: Spanien, sowie c. Asylum Information Database (aida), Länderbericht Spanien 2021. [...]

3. Aus den von den Klägern anführten gerichtlichen Entscheidungen (unter Punkt c.) folgt ebenfalls keine grundsätzliche Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Fragen: [...]