Ausweisung trotz Abhängigkeitsverhältnis zu minderjährigen EU-Staatsangehörigen rechtmäßig:
"1. Kümmert sich ein Drittstaatsangehöriger fast täglich mehrere Stunden um seine minderjährigen Kinder, die Unionsbürger sind, und besitzt er zusammen mit dem anderen Elternteil das gemeinsame Sorgerecht, spricht viel für ein Abhängigkeitsverhältnis i.S.d. Art. 20 AEUV.
2. Zur ausweisungsrechtlichen Gefahrenprognose bei einem Erstverbüßer nach Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung.
3. Zur Verhältnismäßigkeit der Ausweisung eines im Heimatland aufgewachsenen Ausländers nach 30-jährigem Aufenthalt in Deutschland, mit wechselnder Erwerbsbiographie sowie voll- und minderjährigen deutschen Kindern, die teilweise psychisch stark belastet sind, nach der Begehung von erpresserischem Menschenraub und Wohnungseinbruchsdiebstahl. Zu den Reintegrationsmöglichkeiten für albanische Volkszugehörige in Nordmazedonien.
4. Das Absehen von einer Ausreisefrist nach § 59 Abs 1 Satz 2 Nr 2 AufenthG erfordert eine besondere Dringlichkeit der Gefahr neuer Straftaten des Ausgewiesenen.
5. Wurde dem Ausländer zu Unrecht keine oder eine zu kurze Ausreisefrist gesetzt, ist nicht die Abschiebungsandrohung insgesamt, sondern nur die Fristsetzung bzw. das Absehen von einer Fristsetzung aufzuheben. Daran ist auch unter Geltung der Rückführungsrichtlinie festzuhalten."
(Amtliche Leitsätze)
[...]
Die vom Senat zugelassene und auch im Übrigen zulässige Berufung der Beklagten ist überwiegend begründet. [...]
I. Die Ausweisung des Klägers ist rechtmäßig.
Nach § 53 Abs. 1 AufenthG wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.
1. Der Senat unterstellt zugunsten des Klägers, dass der anzuwendende Maßstab im vorliegenden Fall durch Art. 20 AEUV verschärft wird.
Ein Aufenthaltsrecht aus Art. 20 AEUV besteht für den drittstaatsangehörigen Familienangehörigen eines Unionsbürgers in ganz besonderen Sachverhalten, in denen zwischen ihm und dem Unionsbürger ein Abhängigkeitsverhältnis besteht, das dazu führen würde, dass der Unionsbürger gezwungen wäre, den betreffenden Drittstaatsangehörigen im Falle der Aufenthaltsbeendigung zu begleiten und das Gebiet der Union als Ganzes zu verlassen (vgl. EuGH, Urt. v. 08.05.2018 – C-82/16, K.A. u.a., juris Rn. 51 f. m.w.N.). [...]
Zwar leben die beiden minderjährigen Kinder nicht mehr dauerhaft mit dem Kläger in häuslicher Gemeinschaft, seit er im Juli 2021 aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen ist. Nach den übereinstimmenden Angaben des Klägers und seiner Ex-Ehefrau in der mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren hält sich der Kläger aber nahezu (werk-)täglich für mehrere Stunden mit den beiden minderjährigen Töchtern gemeinsam in der Wohnung der Ex-Ehefrau und der Töchter auf, fährt diese häufig zur Schule und teilt sich auch am Wochenende die Erziehung und Betreuung der Kinder mit seiner Ex-Ehefrau. Das Sorgerecht steht beiden gemeinsam zu. [...]
Ein Aufenthaltsrecht aus Art. 20 AEUV hat zur Folge, dass eine Ausweisung nur rechtmäßig ist, wenn von dem Drittstaatsangehörigen eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit ausgeht und die Aufenthaltsbeendigung unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls, des Kindeswohls und der Grundrechte verhältnismäßig ist (vgl. EuGH, Urt. v. 08.05.2018 – C 82/16, K.A. u.a., juris Rn. 92 f.). Dies ist beim Kläger der Fall (s. sogleich unter Ziff. 2. und 3.)
2. Es besteht die tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr, dass der Kläger erneut schwere Straftaten, insbesondere qualifizierte Eigentums- und Raubdelikte, begeht.
Bei der tatrichterlichen Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten wie derjenigen, die Anlass der Ausweisung war bzw. waren, mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind alle Umstände des Einzelfalls gegeneinander abzuwägen, die geeignet sind, Auskunft über die gegenwärtig (noch) von dem Betroffenen ausgehende Gefährdung zu geben. [...]
An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (vgl. BVerwG. Urt. v. 04.10.2012 – 1 C 13.11, juris Rn. 18; OVG Bremen, Beschl. v. 12.03.2020 – 2 B 19/20, juris Rn. 16; Beschl. v. 26.09.2019 – 2 B 214/19, juris Rn. 5). Bei schweren Gewalt-, Eigentums- und Vermögensdelikten sind keine hohen Anforderungen an die Wiederholungsgefahr zu stellen. [...]
Ausweisungsrechtlich ist dem Kläger nicht bereits deswegen eine positive Prognose zu stellen, weil die Strafvollstreckungskammer nach Einholung eines Sachverständigengutachtens die Vollstreckung des Strafrests zur Bewährung ausgesetzt hat (§ 57 Abs. 1 StGB). Ausländerbehörden und Gerichte sind in Ausweisungsverfahren an die Feststellungen und Beurteilungen der Strafgerichte zur Aussetzung der Vollstreckung der Strafe bzw. des Strafrests aufgrund der unterschiedlichen Maßstäbe rechtlich nicht gebunden. Entscheidungen der Strafvollstreckungskammern über die Aussetzung des Strafrests zur Bewährung kommt im Ausweisungsverfahren jedoch eine tatsächliche Bedeutung im Sinne einer Indizwirkung zu. Es ist allerdings nicht von vornherein ausgeschlossen, dass die gleichen gutachterlichen Feststellungen sowohl eine strafrechtlich positive als auch eine aufenthaltsrechtlich negative Prognose stützen können. [...]
Ausgehend hiervon ist der Senat überzeugt, dass trotz der Entscheidung der Strafvollstreckungskammer und des ihr zugrunde liegenden Sachverständigengutachtens nach ausweisungsrechtlichen Maßstäben vom Kläger die ernsthafte Gefahr der Begehung neuer qualifizierter Eigentums- oder Raubdelikte ausgeht.
a) Das Sachverständigengutachten fällt, auch wenn es im Ergebnis eine Strafrestaussetzung für verantwortbar hält, keineswegs vorbehaltlos zugunsten des Klägers aus. Die Prognose wurde als "günstig", aber ausdrücklich nicht als "sehr günstig" bewertet. Das Gutachten benennt zahlreiche Gesichtspunkte, die auch nach Auffassung des Gutachters gegen den Kläger sprechen. [...]
b) Entscheidend gegen den Kläger sprechen die außerordentliche kriminelle Energie, Planung und Professionalität bei der Begehung der Anlasstat, deren außergewöhnliche Schwere, die Begehung von zwei weiteren nicht unerheblichen Straftaten, wegen denen der Kläger ebenfalls zu Freiheitsstrafen verurteilt wurde, die Begehung von zwei der drei Straftaten unter laufender Bewährung, das Fehlen einer Sondersituation, deren Wiederholung fernliegt, als Auslöser bei allen drei Straftaten, das Verhalten des Klägers im Strafverfahren wegen der Anlasstat und seine Einstellung zu allen drei von ihm begangenen Straftaten. Dahinter müssen die zweifellos vorhandenen positiven Aspekte (v.a. die im Wesentlichen stabile familiäre Situation, seine Eigenschaft als Erstverbüßer, das gute Verhalten im Strafvollzug, die im Wesentlichen gute Zusammenarbeit mit der Bewährungshelferin, das derzeitige Arbeitsverhältnis und die seit der letzten Straftat vergangene Zeitspanne) bei einer wertenden Gesamtbetrachtung im Ergebnis zurücktreten.
aa) Die Anlasstat ist der Schwerstkriminalität zuzuordnen. Die Mindeststrafe für erpresserischen Menschenraub beträgt im (vom Landgericht hier auch angewandten) Regelstrafrahmen 5 Jahre Freiheitsstrafe (vgl. § 239a Abs. 1 StGB). Die konkret gegen den Kläger verhängte Einsatzstrafe lag mit sechs Jahren und vier Monaten bei mehr als dem Dreifachen des Strafmaßes, das nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG für ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse erforderlich ist. [...]
bb) Bei der Anlasstat wurde äußerst planvoll und zielstrebig vorgegangen. Sie war das Gegenteil von einem "Augenblicksversagen". Der Kläger war bereits einige Tage vor der Tat von einem der späteren Mittäter angesprochen worden und hatte sich zur Mitwirkung bereit erklärt. Er ist dann eigens zur Tatbegehung von ... nach ... (also ca. 220 km weit) gefahren. [...]
cc) Die Anlasstat ist weder die erste noch die letzte schwerwiegende Straftat des Klägers. Zwar hat er wegen der Anlasstat erstmals eine Freiheitsstrafe verbüßt. Zu Freiheitsstrafen verurteilt wurde er aber insgesamt drei Mal, wobei die zwei ersten Strafen zunächst zur Bewährung ausgesetzt wurden. [...]
dd) Alle drei Taten wurden nicht in außergewöhnlichen Sondersituationen begangen, deren Wiederholung fern liegt. [...]
ee) Gegen den Kläger sprechen ferner sein Verhalten im Strafverfahren wegen der Anlasstat sowie seine derzeitige Einstellung zu den Straftaten.
Der Kläger hat in der Untersuchungshaft mehrfach schriftlich und mündlich versucht, auf den in derselben Anstalt inhaftierten "Kronzeugen" einzuwirken, damit dieser seine Aussage widerruft. [...]
ff) Gegen die vorstehend aufgeführten negativen Aspekte können sich die gegen eine Wiederholungsgefahr sprechenden Umstände im Ergebnis nicht durchsetzen:. [...]
3. Das Interesse, neue schwere Straftaten des Klägers in Deutschland durch eine Beendigung seines Aufenthalts zu verhindern (Ausweisungsinteresse), überwiegt das Bleibeinteresse. Die Ausweisung ist unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls, des Kindeswohls und der Grundrechte verhältnismäßig.
a) Typisierend betrachtet stehen besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteressen (nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG wegen der Anlasstat und nach § 54 Abs. 1 Nr. 1a lit. d AufenthG wegen des versuchten Wohnungseinbruchdiebstahls) besonders schwerwiegende Bleibeinteressen (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 AufenthG) gegenüber.
b) Entscheidend ist die umfassende, einzelfallbezogene Interessenabwägung (§ 53 Abs. 2 AufenthG), die insbesondere unter Berücksichtigung der völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland aus Art. 8 EMRK zu erfolgen hat (vgl. OVG Bremen, Beschl. v. 15.11.2019 – 2 B 243/19, juris Rn. 21).
aa) Die Ausweisung des Klägers greift in den Schutzbereich des Art. 8 EMRK ein. Der Begriff des "Privatlebens” i.S.v. Art. 8 EMRK umfasst die Gesamtheit der sozialen Beziehungen zwischen ansässigen Zuwanderern und der Gesellschaft, in der sie leben (EGMR, Urt. v. 18.10.2006 – 46410/99, Üner ./. NL, juris Rn. 59). Der Kläger lebt seit 30 Jahren in Deutschland. Selbstverständlich unterhält er hier soziale Beziehungen. So geht er einer Arbeit nach, besucht häufig seinen Bruder und dessen Familie, lebt mit seinem volljährigen Sohn zusammen und auch zu seiner Ex-Ehefrau scheint trotz der Trennung noch eine gewisse Verbindung zu bestehen. Zudem verbringt er nahezu täglich Zeit mit seinen beiden minderjährigen Töchtern. Insoweit ist neben dem "Privatleben" auch der Schutzbereich des "Familienlebens" aus Art. 8 EMRK betroffen (vgl. Pätzold, in: Karpenstein/ Mayer, EMRK, 3. Aufl 2022, Art. 8 Rn. 41 m.w.N.).
bb) Die Ausweisung des Klägers ist von der Schranke des Art. 8 Abs. 2 EMRK gedeckt. Sie ist in § 53 Abs. 1 AufenthG gesetzlich vorgesehen und dient einem der in Art. 8 Abs. 2 EMRK aufgezählten Ziele, nämlich der "Verhütung von Straftaten". Sie ist ferner "in einer demokratischen Gesellschaft notwendig", d.h. verhältnismäßig. [...]
Kein sehr großes Gewicht kommt bei dieser Abwägung den Beziehungen des Klägers zu seiner Ex-Ehefrau, seinen erwachsenen Kindern, seinen in Deutschland lebenden Geschwistern sowie zu seinen Nichten bzw. Neffen zu. [...]
Für den Kläger spricht die Länge seines Aufenthalts in Deutschland und sein Aufenthaltsstatus bis zur Ausweisung. Der Kläger lebt seit etwas mehr als 30 Jahren in Deutschland, also ca. 60 % seines bisherigen Lebens, davon knapp zwei Drittel (die letzten 19 Jahre vor der Ausweisung) rechtmäßig. [...]
Der bei Weitem wichtigste Belang, der für einen Verbleib des Klägers in Deutschland spricht, ist die Beziehung zu seinen beiden minderjährigen Töchtern. Auch wenn der Kläger nicht mehr mit ihnen in einer gemeinsamen Wohnung wohnt, hat er nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme engen Kontakt zu ihnen, der praktisch täglich mehrere Stunden umfasst. Jedoch sind die beiden Töchter mit zwölf und fünfzehn Jahren nicht mehr klein. Sie sollten von ihrem Alter her in der Lage sein, auch eine mehrjährige Trennung als vorübergehend zu begreifen und über längere Zeit eine Beziehung durch Fernkommunikation und Besuche in den Ferien aufrechtzuerhalten. Dies gilt umso mehr, als Nordmazedonien in Europa liegt, von mehreren norddeutschen Flughäfen (einschließlich Bremen) gut zu erreichen ist (Flugdauer ca. 2 ½ Stunden) und deutsche Staatsangehörige dort visumsfrei einreisen können. [...]
Allerdings hat die Beweisaufnahme ergeben, dass die fünfzehnjährige Tochter A. psychisch stark belastet ist. Die Ex-Ehefrau des Klägers hat ausgesagt, dass es A. zur Zeit nicht gut gehe. Unter anderem habe sie in der Schule eine heftige Panikattacke gehabt, weine heimlich und habe gegenüber ihrer Schwester auch einmal geäußert, nicht mehr leben zu wollen. Die Probleme hätten mit der Inhaftierung des Klägers begonnen; A. habe das Gefühl, dass sie von ihrem Vater alleine gelassen wurde [...] Der Senat unterstellt vor diesem Hintergrund, dass eine Ausreise oder Abschiebung des Vaters A. erheblich härter treffen wird als eine durchschnittliche Fünfzehnjährige. Würden vom Kläger "nur" Taten der leichten oder mittelschweren Kriminalität drohen, wäre ein Überwiegen des Bleibeinteresses anzunehmen. Wohnungseinbruchsdiebstähle und Raubdelikte stellen aber Verbrechen dar. Akut suizidales Verhalten wurde weder von der Kindsmutter in ihrer Vernehmung noch von den vorgelegten Attesten berichtet. Zwar soll der Kinderarzt eine stationäre psychiatrische Behandlung empfohlen haben, die Kindsmutter selbst hielt dies nach eigener Aussage indes nicht für notwendig und ist der Empfehlung nicht gefolgt. Den gleichwohl schwerwiegenden negativen Auswirkungen, die die Ausweisung des Klägers auf die psychische Verfassung seiner Tochter A. haben kann, ist durch deren Behandlung in Deutschland entgegenzuwirken, und nicht dadurch, dass man von der Ausweisung absieht und damit die ernsthafte Möglichkeit neuer Wohnungseinbruchsdiebstähle oder Raubdelikte des Klägers in Kauf nimmt. Dem Kindeswohl kommt zwar ein ganz erhebliches Gewicht, aber weder nach Völkerrecht noch nach Europäischen Grund- und Menschenrechten oder nach Verfassungsrecht ein unbedingter Vorrang vor entgegenstehenden öffentlichen Sicherheitsinteressen zu [...].
Weitgehend unproblematisch wird sich die Reintegration des Klägers in Nordmazedonien gestalten. Der Kläger ist dort geboren und aufgewachsen. Er hat in Nordmazedonien (damals noch jugoslawische Republik Mazedonien) die Schule bis zur 8. Klasse besucht. Danach hat er eine Berufsausbildung im Kosovo, das damals ebenfalls Teil Jugoslawiens war, begonnen und in Jugoslawien geheiratet. Erst als junger Erwachsener ist er mit seiner Ehefrau nach Deutschland gezogen. Obwohl der Kläger zur albanischen Volksgruppe gehört, trägt er nicht vor, keine ausreichenden Kenntnisse der mazedonischen Sprache zu haben. Eine solche Behauptung wäre angesichts der langen Zeit, die er dort gelebt und die Schule besucht hat, auch nicht ohne Weiteres glaubhaft. Zudem ist Albanisch die zweithäufigste Sprache in Nordmazedonien. Rund 25 % der Bevölkerung sprechen sie als Muttersprache; in 13 von 81 Opštini (kommunalen Verwaltungsbezirken) stellen albanische Muttersprachler die Bevölkerungsmehrheit [...] Das Haus wird derzeit von seinem Bruder bewohnt. Darüber hinaus leben mehrere andere Verwandte (wie Onkel und Cousins) des Klägers in Nordmazedonien. Der Kläger hat zu diesen Verwandten offenbar noch eine Beziehung, denn er hat gegenüber seiner Bewährungshelferin geäußert, dass er gerne "Familie" in Nordmazedonien besuchen möchte und dies auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bestätigt. [...]
III. Die Abschiebungsandrohungen in Ziff. 3 und 4 des angefochtenen Bescheides sind rechtmäßig. Jedoch ist es rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, dass ihm in Ziff. 4 des angefochtenen Bescheides keine Frist zur freiwilligen Ausreise eingeräumt wird. [...]
5. Nr. 4 des angefochtenen Bescheides, die die Androhung der Abschiebung des Klägers in Freiheit betrifft, ist insoweit rechtswidrig, als dem Kläger keine Frist zur freiwilligen Ausreise eingeräumt wird.
Die Abschiebung ist unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen (§ 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG). Die Voraussetzungen, unter denen ausnahmsweise von der Setzung einer Ausreisefrist abgesehen werden kann (§ 59 Abs. 1 Satz 2 AufenthG), liegen nicht vor. Insbesondere kann der Verzicht auf eine Fristsetzung entgegen der Auffassung der Beklagten nicht auf § 59 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AufenthG gestützt werden. Nach dieser Vorschrift kann von einer Fristsetzung abgesehen werden, wenn von dem Ausländer eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht. Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn konkrete Anhaltspunkte für die Bereitschaft zur Begehung zukünftiger Straftaten bestehen (OVG Bremen, Beschl. v. 04.01.2022 – 2 LB 383/21, juris Rn. 38). Zu beachten ist allerdings, dass es bei § 59 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AufenthG – anders als bei der Ausweisung – nicht um die Frage geht, ob der Betroffene zum Schutz der öffentlichen Sicherheit Deutschland verlassen muss, sondern darum, wie schnell dies geschehen muss. Eine Anwendung von § 59 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AufenthG setzt daher voraus, dass die Verwirklichung der Gefahr so kurzfristig zu befürchten ist, dass die Setzung einer Ausreisefrist von sieben bis 30 Tagen nicht zu verantworten wäre. [...]
Das rechtswidrige Absehen von der Einräumung einer Ausreisefrist macht die Abschiebungsandrohung in Nr. 4 des angefochtenen Bescheides nicht insgesamt rechtswidrig und führt nicht dazu, dass diese Abschiebungsandrohung insgesamt aufzuheben ist. Die Abschiebungsandrohung einerseits und die Entscheidung über die Setzung einer Ausreisefrist und deren Länge andererseits sind voneinander trennbar. Aufzuheben ist daher nur die Entscheidung der Beklagten, dem Kläger keine Ausreisefrist einzuräumen. [...]