BGH

Merkliste
Zitieren als:
BGH, Beschluss vom 20.12.2022 - XIII ZB 40/20 - asyl.net: M31336
https://www.asyl.net/rsdb/m31336
Leitsatz:

Dublin-Haft mangels konkreter Ausführungen zur erforderlichen Haftdauer im Haftantrag rechtswidrig:

1. Ein zulässiger Haftantrag setzt voraus, dass konkrete Darlegungen zur notwendigen Haftdauer gemacht werden. Zwar dürfen diese Ausführungen knapp gehalten sein, sie müssen aber die für die richterliche Prüfung wesentlichen Punkte ansprechen und sich auf den jeweiligen Einzelfall beziehen.

2. Die Ausführungen, dass die Flugbuchung noch nicht habe erfolgen können und die Überstellung frühestens innerhalb von sechs Wochen möglich sei, sind unzureichend. Denn es wird nicht ersichtlich, warum für die Buchung eines Fluges nach Italien ohne Sicherheitsbegleitung ein Zeitraum von bis zu sechs Wochen benötigt wird. Es hätte einer auf den konkreten Fall bezogenen Begründung bedurft, die den für die Flugbuchung benötigten Zeitraum und die daraus notwendige Haftdauer erklärt, etwa durch Angaben zu Terminen und zur Frequenz nutzbarer Flugverbindungen sowie zur Buchungslage.

3. Kann die Behörde solche Angaben aufgrund einer Überlastung des verantwortlichen Reisebüros im Haftantrag nicht machen, darf sie Haft für einen derart langen Zeitraum nicht ohne Weiteres beantragen.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Haftantrag, Haftdauer, Abschiebungshaft, Überstellungshaft, Dublinverfahren
Normen: AufenthG § 62 Abs. 1 S. 2, FamFG § 417 Abs. 2 S. 2 Nr. 4, VO 604/2013 Art. 28
Auszüge:

[...]

3 Auf Antrag der beteiligten Behörde ordnete das Amtsgericht mit Beschluss vom 29. Oktober 2019 Rücküberstellungshaft bis zum 9. Dezember 2019 an. [...]

4 II. Die zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet. Die angefochtenen Beschlüsse haben den Betroffenen in seinen Rechten verletzt.

5 1. Das Beschwerdegericht hat angenommen, der Haftantrag sei zu lässig, der Haftgrund der erheblichen Fluchtgefahr nach Art. 2 Dublin-III-Verordnung gegeben.

6 2. Das hält rechtlicher Prüfung nicht in allen Punkten stand. Der Haftantrag war unzulässig.

7 a) Ein zulässiger Haftantrag der beteiligten Behörde ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Er liegt nur vor, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht. Erforderlich sind unter anderem Darlegungen zur notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 FamFG). Diese Darlegungen dürfen zwar knapp gehalten sein; sie müssen aber die für die richterliche Prüfung wesentlichen Punkte ansprechen [...]. Dazu müssen die Darlegungen auf den konkreten Fall bezogen sein und dürfen sich nicht in Leerformeln erschöpfen (st. Rspr. vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 27. Oktober 2011 - V ZB 311/10, FGPrax 2012, 82 Rn. 13; vom 20. April 2021 - XIII ZB 36/21, Juris Rn. 6 m.w.N.).

8 b) Diesen Anforderungen genügt der Antrag der beteiligten Behörde nicht.

9 aa) Darin wird ausgeführt, eine Überstellung sei frühestens in der 50. Kalenderwoche möglich, und zur Begründung auf die beigefügte Auskunft des Zentralen Rückkehrmanagements des Landes Sachsen-Anhalts verwiesen. Darin heißt es, dass die Kapazitäten des Reisebüros erschöpft seien und eine sofortige Bearbeitung nicht möglich sei. Gleichwohl werde versichert, den frühestmöglichen Flugtermin innerhalb von sechs Wochen zu organisieren. Sobald ein Reiseplan für den Betroffenen vorliege, werde die beteiligte Behörde diesen erhalten. Es sei zu berücksichtigen, dass für eine Rücküberstellung nach Italien nur der Zielflughafen Rom in Betracht komme und nur wenige Flugverbindungen zu den von Italien vorgegebenen Rahmenbedingungen zur Verfügung stünden. So seien Überstellungen grundsätzlich an den letzten fünf Werktagen eines jeden Monats in Rom nicht möglich, auch stünden nur beschränkte Kontingente der Fluggesellschaften zur Verfügung. Des weiteren habe das Bundesamt eine Überstellung den italienischen Behörden mit einer Frist von 14 Tagen anzukündigen.

10 bb) Zwar hat die beteiligte Behörde dargelegt, dass eine Überstellung frühestens in der 50. Kalenderwoche, und damit nicht vor dem 9. Dezember 2019 erfolgen könne. Das entbehrte angesichts der beigefügten Auskunft des Zentralen Rückkehrmanagements jedoch einer nachvollziehbaren Grundlage. In der Auskunft wird lediglich mitgeteilt, dass die Buchung eines Fluges noch nicht habe erfolgen können, die frühestmögliche Überstellung aber innerhalb von sechs Wochen organisiert werde. Diese Ausführungen zur Realisierbarkeit eines Fluges innerhalb von sechs Wochen sind vor dem Hintergrund, dass die Haft auf die kürzest mögliche Dauer zu beschränken ist, unzureichend (§ 62 Abs. 1 Satz 2 AufenthG). Daraus wird nicht ersichtlich, warum für die Buchung eines Fluges nach Italien ohne Sicherheitsbegleitung ein Zeitraum von bis zu sechs Wochen benötigt wird. Es bedurfte vielmehr einer auf den konkreten Fall bezogenen Begründung, die den für die Flugbuchung benötigten Zeitraum und die daraus notwendige Haftdauer erklärte, etwa durch Angaben zu Terminen und zur Frequenz nutzbarer Flugverbindungen und zur Buchungslage [...]. Kann die beteiligte Behörde aufgrund einer Überlastung des für die Flugbuchung verantwortlichen Reisebüros diese Angaben im Haftantrag nicht machen, was angesichts der oftmals nur sehr kurzen Bearbeitungsfristen nachvollziehbar ist, darf sie Haft für einen derart langen Zeitraum nicht ohne Weiteres beantragen.

11 Die Haftdauer von sechs Wochen ist bei einer unbegleiteten Überstellung, zumal in ein nahegelegenes EU-Nachbarland, auch nicht so kurz, dass sich ihre Notwendigkeit von selbst verstünde. Die Darlegungen im Haftantrag zu den Maßnahmen, die vor der Flugbuchung erforderlich sind, enthalten darüber hinaus nur allgemeine, nicht auf den konkreten Fall bezogene Angaben. Sie sind zudem nicht geeignet, den beantragten Haftzeitraum von sechs Wochen zu erklären. [...]