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OVG Sachsen-Anhalt

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Zitieren als:
OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 05.12.2022 - 2 M 71/22 - asyl.net: M31293
https://www.asyl.net/rsdb/m31293
Leitsatz:

Abschiebungsschutz wegen Umgang mit einem deutschen Kind:

Bei regelmäßigem Umgang des ausländischen Elternteils mit seinem deutschen Kind, der dem auch sonst Üblichen entspricht, ist in der Regel von einer durch Art. 6 GG geschützten familiären Gemeinschaft auszugehen. Die zusätzliche Übernahme von Betreuungs- und Erziehungsaufgaben durch den Kindesvater ist, gerade in Fällen, in denen lediglich ein Umgangsrecht besteht, nicht zu verlangen (Rn. 22) (Rn. 24).

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Eltern-Kind-Verhältnis, Aufenthaltserlaubnis, Duldung, Umgangsrecht, Abschiebung,
Normen: AufenthG § 60a, GG Art 6, EMRK Art. 8
Auszüge:

[...]

20 2. Der Antragsteller hat - jedenfalls im Beschwerdeverfahren - auch einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Er hat voraussichtlich einen im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO sicherungsfähigen Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG, da seine Abschiebung derzeit rechtlich unmöglich sein dürfte.

21 Die (derzeitige) rechtliche Unmöglichkeit der Abschiebung dürfte sich aus den familiären Bindungen des Antragstellers zu seiner Tochter ergeben. [...]

24 Nach summarischer Prüfung geht der Senat davon aus, dass eine tatsächliche Verbundenheit zwischen dem Antragsteller und seiner Tochter besteht. Im vorliegenden Fall besteht auf der Grundlage der am 22. März 2021 abgeschlossenen und am 19. Juli 2021 bis zum 3. Geburtstag von ... verlängerten Elternvereinbarung zwischen dem Antragsteller und der Kindesmutter, Frau ..., ein regelmäßiger Umgang des Antragstellers mit seiner Tochter ... alle zwei Wochen für eine Stunde. Zwar dürfte es sich bei diesem zeitlich äußerst beschränkten Umgang des Antragstellers mit seiner inzwischen 2 Jahre und 4 Monate alten Tochter um die untere Grenze dessen handeln, was in vergleichbaren Fällen noch üblich ist. Der Antragsteller hat dies aber in der Beschwerdebegründung plausibel damit erklärt, dass aus Sicht des Kindeswohls eine Erhöhung der Kontakte sicher wünschenswert wäre und von ihm auch gewünscht werde, aber nicht gegen den Wunsch der Kindesmutter verwirklicht werden könne. Selbst wenn gerichtlich eine weitergehende Umgangsregelung erstritten werden könnte, würde diese nicht zu einer Entspannung der Situation zwischen den Eltern führen und wäre damit im Ergebnis nicht zum Wohl des Kindes. Die derzeitige Umgangsregelung entspreche der familiären Situation am besten und ermögliche es allen Familienmitgliedern, eine vertrauensvolle Beziehung zueinander aufzubauen. Vor diesem Hintergrund ist angesichts des seit nunmehr fast zwei Jahre andauernden, mit erheblichem zeitlichen Aufwand für den weit entfernt wohnenden Antragsteller verbundenen und gleichwohl regelmäßigen Umgangs des Antragstellers mit seiner Tochter, der auch von der Antragsgegnerin nicht in Zweifel gezogen wird, grundsätzlich von einer familiären Gemeinschaft auszugehen, die unter dem Schutz des Art. 6 GG steht, auch wenn sie im Wesentlichen aus zeitlich sehr begrenzten Umgangskontakten besteht. Das Bestehen einer emotionalen Nähe zwischen dem Antragsteller und seiner Tochter wird durch die Stellungnahme der Frau Dipl.-Psych. ... von der AWO V. vom 24. Januar 2022 bestätigt, die über einen liebevollen Umgang des Antragstellers mit seiner Tochter und eine sich verfestigende Vertrautheit zwischen beiden berichtet. Zwar umfasst die Stellungnahme nur die Zeit bis zum 22. März 2021, jedoch liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass sich die von Frau ... geschilderte positive Entwicklung der Vater-Tochter-Beziehung in der Folgezeit nicht hat fortsetzen und vertiefen können. Auch die vom Antragsteller im Beschwerdeverfahren vorgelegten Fotos zeigen ein liebevolles Verhältnis zwischen ihm und seiner Tochter. [...]

26 Soweit die Antragsgegnerin darauf abstellt, dass es sich bei der Beziehung zwischen dem Antragsteller und seiner Tochter um eine (nicht von Art. 6 GG geschützte) Begegnungsgemeinschaft handele, richtet sie sich nach einem mittlerweile überholten Maßstab. Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht in seiner früheren Rechtsprechung zwischen einer familiären Lebensgemeinschaft und einer bloßen Begegnungsgemeinschaft unterschieden (BVerwG, Urteil vom 9. Dezember 1997 - 1 C 19.96 - juris Rn. 22). Diese Abgrenzung ist jedoch inzwischen überholt. Es entspricht mittlerweile der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, dass sich bei der Bewertung der familiären Beziehungen eine schematische Einordnung als entweder aufenthaltsrechtlich grundsätzlich schutzwürdige Lebens- und Erziehungsgemeinschaft oder Beistandsgemeinschaft oder aber bloße Begegnungsgemeinschaft ohne aufenthaltsrechtliche Schutzwirkungen verbietet (BVerfG, Beschluss vom 8. Dezember 2005 - 2 BvR 1001/04 - a.a.O. Rn. 20). [...]