OVG Sachsen

Merkliste
Zitieren als:
OVG Sachsen, Urteil vom 07.09.2022 - 5 A 153/17.A - asyl.net: M31250
https://www.asyl.net/rsdb/m31250
Leitsatz:

Keine unmenschliche Behandlung anerkannt Schutzberechtigter in Bulgarien:

"Anerkannt schutzberechtigten Personen, die gesund und arbeitsfähig sind, droht im Falle einer Rückführung nach Bulgarien nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 4 GRCh."

(Amtliche Leitsätze; anderer Ansicht: VG Oldenburg, Urteil vom 02.03.2023 - 12 A 849/22 - asyl.net: M31356)

Schlagwörter: Bulgarien, internationaler Schutz in EU-Staat, ausländische Anerkennung,
Normen: AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 2, EMRK Art. 3, GR-Charta Art. 4,
Auszüge:

[...]

38 Dem Kläger droht bei einer Rückkehr nach Bulgarien auch keine gegen Art. 4 GRCh und Art. 3 EMRK verstoßende Behandlung. [...]

42 b) Im Falle einer Rückkehr nach Bulgarien ohne sein Kind (und dessen Mutter) droht dem Kläger keine gegen Art. 4 GRCh und Art. 3 EMRK verstoßende Behandlung. Ein vom Willen des arbeitsfähigen und gesunden Klägers unabhängiger "Automatismus der Verelendung" bei einer Rückkehr nach Bulgarien lässt sich nicht feststellen.

43 Dabei ist nicht entscheidungserheblich, welche Behandlung der Kläger bei seinem Aufenthalt in Bulgarien in den Jahren 2014/2015 erfahren hat, da - wie bereits dargelegt - auf den Zeitpunkt der Entscheidung durch den Senat abzustellen ist (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG; vgl. auch EuGH, Urt. v. 19. März 2019 - C-163/17 -, juris Rn. 88). Unabhängig davon hat der Kläger bei seiner Anhörung durch den Senat ausgeführt, er sei den ersten Monat im Gefängnis gewesen und anschließend in einem Flüchtlingslager, in dem er schlecht versorgt und behandelt worden sei. Dass sich der Kläger um Arbeit und eine Wohnung bemüht hat, hat er nicht geltend gemacht.

44 aa) Der Senat hat im Urteil vom 15. Juni 2020 - 5 A 382/18.A -, juris Rn. 38 ff., ausgeführt:

"(1.) Für die Zeit bis zum Beginn der Corona-Pandemie in Europa im März 2020 gehen sämtliche veröffentlichten obergerichtlichen Entscheidungen, die nach den Urteilen des Europäischen Gerichtshofs vom 19. März 2019 - C-163/17 - und - C-297/17 u. a. - ergangen sind, davon aus, dass arbeitsfähigen Männern bei einer Rückkehr nach Bulgarien keine gegen Art. 4 GRCh oder Art. 3 EMRK verstoßende Behandlung droht [...].

Nach den dem Senat zur Verfügung stehenden aktuellen Erkenntnissen droht anerkannten Schutzberechtigten in Bulgarien in der Praxis nicht die Obdachlosigkeit. [...]

Anerkannte Schutzberechtigte haben die Möglichkeit, in den nicht ausgelasteten Aufnahmezentren für Asylbewerber für sechs Monate Unterkunft zu erhalten. Daneben gibt es landesweit zwölf "Zentren für temporäre Unterkunft"; hier ist eine Unterbringung pro Kalenderjahr für jeweils drei Monate möglich, die im Notfall um weitere drei Monate verlängert werden kann [...].

Alle zitierten obergerichtlichen Entscheidungen gehen für die Zeit vor Beginn der Corona-Pandemie davon aus, dass anerkannte Schutzberechtigte in der Lage sind, ihren Lebensunterhalt auf dem vom Europäischen Gerichtshof benannten Niveau selbstständig zu bestreiten, auch wenn eine erfolgreiche Arbeitssuche schwierig sein mag [...].

In Bulgarien anerkannte Schutzberechtigte haben auch einen effektiven Zugang zu einer den Anforderungen des Art. 4 GRCh genügenden medizinischen Versorgung (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 17. März 2020 - 7 A 10903/18 -, juris Rn. 74 ff.).

(2.) Die Verhältnisse in Bulgarien haben sich durch die Corona-Pandemie nicht in einer Weise verschlechtert, die dazu führen würde, dass der Kläger als arbeitsfähiger und gesunder Mann unabhängig von seinem Willen der Verelendung anheimfiele. [...]"

45 bb) An dieser Einschätzung hält der Senat im Einklang mit der zwischenzeitlich ergangenen obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. OVG Rh.-Pf., Beschl. v. 20. Oktober 2020 - 7 A 10889/18; OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 22. September 2020 - OVG 3 B 33.19 - und Beschl. v. 4. Januar 2021 - OVG 3 N 42/20 -; HessVGH, Urt. v. 26. Oktober 2021 - 8 A 1852/20.A -; NdsOVG, Urt. v. 7. Dezember 2021 - 10 LB 257/20 -; OVG NRW, Beschl. v. 15. Februar 2022 - 11 A 1625/21.A - und VGH BW, Urt. v. 24. Februar 2022 - A 4 S 162/22 - [Dublin-Fall], jeweils juris) fest. Auch den neueren Erkenntnismitteln lässt sich nicht entnehmen, dass eine größere Anzahl anerkannter Schutzberechtigter in Bulgarien unter Obdachlosigkeit, Hunger und Entbehrung leidet. [...]

49 Für den Senat ist dabei von entscheidender Bedeutung, dass übereinstimmend davon berichtet wird, dass in Bulgarien mehrere Nichtregierungsorganisationen (NGOs) für Schutzberechtigte - auch im Bereich Wohnung und Wohnungssuche - Unterstützung leisten. [...]

50 Trotz der dargelegten Schwierigkeiten gibt es weiterhin keine Hinweise darauf, dass in nennenswertem Umfang bei anerkannt Schutzberechtigten in Bulgarien - anders als beispielsweise in Griechenland (vgl. Senatsurteil v. 27. April 2022 - 5 A 492/21.A -, juris Rn. 43 ff.) - Obdachlosigkeit herrscht (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das OVG Hamburg vom 7. April 2021).

51 (2.) Nach Bulgarien zurückkehrende Schutzberechtigte haben die Möglichkeit, extreme Not durch eigene Erwerbstätigkeit abzuwenden. [...]

54 (3.) Jedenfalls für nicht vulnerable oder kranke anerkannte Schutzberechtigte ist die zur Wahrung des Existenzminimums notwendige medizinische Versorgung in Bulgarien gesichert. [...]