VG Trier

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Zitieren als:
VG Trier, Urteil vom 01.12.2022 - 2 K 266/22.TR - asyl.net: M31241
https://www.asyl.net/rsdb/m31241
Leitsatz:

Kein Schutz für palästinensische Personen aus Jordanien:

1. Die meisten palästinensischen Personen in Jordanien sind im Besitz der vollen jordanischen Staatsangehörigkeit.

2. Die klagenden Personen haben das Einsatzgebiet von UNRWA nicht unfreiwillig verlassen und es ist ihnen zumutbar, den Schutz von UNRWA zumindest in Jordanien erneut in Anspruch zu nehmen. Sie sind deshalb nicht als ipso facto-Flüchtlinge gemäß § 3 Abs. 3 S. 2 AsylG anzuerkennen.

3. Daran ändert auch der Vortrag der in Jordanien erlittenen Zwangsverheiratung und geschlechtsspezifischen Gewalt nichts. Dieser ist unglaubhaft. Im Übrigen bieten die jordanischen Behörden Schutz vor geschlechtsspezifischer Gewalt, und die Klägerin hätte mit ihrem Kind innerhalb Jordaniens umziehen und so eine interne Fluchtalternative wahrnehmen können.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Jordanien, Palästinensische Gebiete, Frauen, geschlechtsspezifische Verfolgung, staatlicher Schutz, interne Fluchtalternative, häusliche Gewalt,
Normen: AsylG § 3 Abs. 3 S. 2, AsylG § 3a Abs. 2 Nr. 6, AsylG § 3d Abs. 1, AsylG § 3e Abs. 1,
Auszüge:

[...]

Der Ausschlussgrund erfordert, dass der Ausländer staatenloser Palästinaflüchtling ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2021 - 1 C 2.21 -, juris, Rn. 17 ff.). Wenn er dagegen (mittlerweile) eine Staatsangehörigkeit innehat, ist der Anwendungsbereich von § 3 Abs. 3 Satz 1 AsylG nicht eröffnet, weil dann ein innerer Zusammenhang zwischen der Lage als Palästinaflüchtling und dem Schutzgesuch fehlt. In diesem Fall ist seine Lage, namentlich seine Staatsangehörigkeit, als "geklärt" im Sinne von§ 3 Abs. 3 Satz 2 AsylG anzusehen (vgl. OVG Saarlouis, Urteil vom 16. Mai 2018 - 1 A 679/17 -, juris, Rn. 27). Ein solcher Palästinaflüchtling befindet sich in der gleichen Situation wie jeder andere Schutzsuchende auch, der eine Staatsangehörigkeit aufweist und dessen Begehren, die Flüchtlingseigenschaft zu erhalten, nur an § 3 Abs. 1 AsylG zu messen ist (VG Berlin, Urteil vom 19. September 2022 - 34 K 594/20 A -, Rn. 25, juris).

Der Anwendungsbereich des § 3 Abs. 3 Satz 1 AsylG ist hinsichtlich der Klägerin zu 1) schon nicht eröffnet.

Die Kläger haben eine sogenannte "Familiy Registration Card" vorgelegt, was grundsätzlich als ausreichender Nachweis der tatsächlichen Inanspruchnahme des Schutzes oder Beistandes des UNRWA anzusehen ist (vgl. EuGH, Urteil vom 3. März 2022 - C-349/20 -, juris). Aufgrund der von den Klägern eingereichten Unterlagen ist jedoch davon auszugehen, dass die Klägerin zu 1) die jordanische Staatsangehörigkeit besitzt. Die meisten palästinensischen Flüchtlinge sind im Besitz der vollen jordanischen Staatsbürgerschaft [...]. Zudem besitzt die Klägerin zu 1) nach der vorgelegten Scheidungsurkunde eine nationale Identitätsnummer […]. Eine solche Identitätsnummer erhalten jedoch nur jordanische Staatsangehörige. Staatenlose Palästinenser mit jordanischen Reisedokumenten haben hingegen keine nationale Identifikationsnummer, außer wenn sie die jordanische Staatsangehörigkeit besitzen [...]. Die Klägerin zu 1) fällt demnach schon nicht unter den Anwendungsbereich des § 3 Abs. 3 Satz 1 AsylG. Hingegen liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Kläger zu 2) nicht unter den Anwendungsbereich des § 3 Abs. 3 Satz 1 AsylG fällt.

Ungeachtet dessen sind die Kläger keine ipso facto Flüchtlinge. Die Voraussetzungen der Einschlussklausel des § 3 Abs. 3 Satz 2 AsylG liegen nicht vor. [...]

Ausgehend von diesen Maßstäben sind die Kläger nicht ipso facto Flüchtlinge. Das Gericht ist nicht überzeugt, dass sie das Einsatzgebiet des UNRWA unfreiwillig verlassen haben. Die Kläger befanden sich zum Zeitpunkt des Verlassens des Einsatzgebiets des UNRWA nicht in einer sehr unsicheren persönlichen Lage.

Die Kläger sind nicht aus begründeter Furcht vor Verfolgung ausgereist. Das Vorbringen der Klägerin zu 1) ist insgesamt unglaubhaft. Die Klägerin zu 1) hat im laufe des Verfahrens widersprüchliche Angaben gemacht bzw. ihr Vorbringen erheblich gesteigert. [...]

Im Übrigen wäre die Klägerin zu 1) auch auf den Schutz der jordanischen Behörden sowie auf eine inländische Fluchtalternative zu verweisen. Häusliche Gewalt stellt in Jordanien zwar ein weit verbreitetes Problem dar. Jedoch wurden verschiedene Vorkehrungen getroffen, um Schutzmaßnahmen für Frauen zu gewähren. [...] Hinzu kommt, dass die Kläger sich alledem durch einen möglichen und zumutbaren Umzug innerhalb von Jordanien hätten entziehen können. [...]

Zudem liegen nach den vorliegenden Erkenntnismitteln (vgl. insbesondere: Länderinformationsblatt und Länderreport) auch keine Anhaltspunkte in der erforderlichen Intensität für die Annahme einer Gruppenverfolgung von geschiedenen und alleinstehenden Frauen vor, zumal die Kläger hierzu auch keinen substantiierten Vortrag gehalten haben. Auch findet nach den Erkenntnissen des Gerichts (vgl. insbesondere: Länderinformationsblatt und Länderreport) in Jordanien keine Gruppenverfolgung von Palästinensern statt {vgl. so auch: VG München, Urteil vom 18. November 2021 - M 27 K 18.31869 -, juris).

Der Kläger sind vor diesem Hintergrund auch nicht aufgrund eines ernsthaften Schadens aus Jordanien ausgereist.

Ferner hatten die Kläger auch in Gaza keine Verfolgung bzw. einen ernsthaften Schaden zu befürchten. Dort konnten sie sich insbesondere über einen längeren Zeitraum unbehelligt aufhalten und Geld für die Weiterreise nach Europa ansparen. [...]

Ferner lässt sich vor diesem Hintergrund auch nicht feststellen, dass die Kläger das gesamte Einsatzgebiet des UNRWA aufgrund menschenunwürdiger Lebensbedingungen verlassen haben. Eine sehr unsichere persönliche Lage der Kläger lässt sich im Zeitpunkt der Ausreise nicht feststellen. [...]

Den Klägern ist es zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung auch zumutbar, den Schutz und Beistand des UNRWA zumindest in Jordanien (erneut) in Anspruch zu nehmen, zumal diese nach den Angaben der Klägerin zu 1) in der mündlichen Verhandlung nach ihrer Ausreise nach Gaza wieder nach Jordanien zurückkehren konnten. [...]