Kein Verzicht auf Haftanhörung wegen Schließung des Gerichts am Wochenende:
1. Abschiebungshaft kann nicht wegen Gefahr im Verzug einstweilig ohne vorherige Anhörung gemäß § 427 Abs. 2 FamFG angeordnet werden, weil das zuständige Amtsgericht an einem Freitag um 14:00 Uhr bereits geschlossen sei. Da es einen Bereitschaftsdienst an Wochenenden, Feiertagen und in den Abendstunden gibt, kann die Schließung eines Gerichts grundsätzlich kein Grund dafür sein, auf eine Anhörung zu verzichten.
2. Die Wahrung grundrechtlich geschützter Verfahrensgarantien darf nicht zur Disposition behördlicher Abläufe gestellt werden.
(Leitsätze der Redaktion; siehe auch: BVerfG, Beschluss vom 15.05.2002 - 2 BvR 2292/00 - asyl.net: M2222)
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Der Beschluss des Amtsgerichts vom 09.12.2022 ist rechtswidrig und war daher aufzuheben. [...]
Das Amtsgericht hat bei Freiheitsentziehungen die Vorschriften der §§ 415- 432 FamFG zu beachten. Die Anhörung des Betroffenen ist daher sowohl nach § 420 Abs. 1 FamFG als auch grundsätzlich nach § 427 Abs. 1 FamFG zwingend. Ein Verstoß ist nicht heilbar, vielmehr führt eine unterbliebene Anhörung des Betroffenen zur Rechtswidrigkeit einer trotzdem angeordneten Freiheitsentziehung und kann nicht mehr rückwirkend durch Nachholung geheilt werden (vgl. BeckOK FamFG, Hahne/Schlögel/Schlünder, 41. Edition, § 420, Rn. 9; Bumiller/Harders/Schwamb, FamFG, 12. Auflage, § 420, Rn. 1 m.w.N.).
Nur unter zwei Voraussetzungen kann auf eine Anhörung verzichtet werden und könnte sie das Beschwerdegericht ggf. nachholen (Bumiller/Härders/Schwamb, FamFG, 12. Auflage, § 420, Rn. 8 m.w.N.), wobei hier eine Nachholung wegen prozessualer Überholung ohnehin ausscheidet: Entweder nach § 420 Abs. 2 FamFG oder nach § 427 Abs. 2 FamFG. Nach § 420 Abs. 2 FamFG kann die persönliche Anhörung des Betroffenen dann unterbleiben, wenn nach ärztlichem Gutachten erhebliche Nachteile für seine Gesundheit zu besorgen sind oder wenn er an einer übertragbaren Krankheit im Sinne des Infektionsschutzgesetzes leidet. Diese Voraussetzungen sind nicht ersichtlich.
Weiter kann gemäß § 427 Abs. 2 FamFG bei Gefahr im Verzug eine einstweilige Anordnung bereits vor der persönlichen Anhörung des Betroffenen erlassen werden. Dies erfordert, dass der Erlass der einstweiligen Anordnung so dringend erforderlich ist, dass nicht einmal die Durchführung einer persönlichen Anhörung abgewartet werden kann. Dies wäre also entsprechend zu begründen, was hier nicht erfolgt ist. Keine Begründung für den Verzicht auf eine Anhörung vor Erlass der einstweiligen Anordnung ist es jedenfalls, wenn organisatorische Gründe, wie die behauptete Schließung des Amtsgerichts über das Wochenende angeführt werden. Die Wahrung grundrechtlich geschützter Verfahrensgarantien darf nicht zur Disposition behördlicher Abläufe gestellt werden (Sternal/Göbel FamFG § 427 Rn. 12). Es ist bereits nicht nachvollziehbar, wieso behauptet wird, dass das Amtsgericht an einem Freitag um 14:00 Uhr bereits geschlossen habe, wenn bekanntermaßen der amtsgerichtliche Bereitschaftsdienst an einem Freitag um 14:30 Uhr beginnt. Im Übrigen folgt gerade aus der Tatsache, dass es auch einen Bereitschaftsdienst an Wochenenden, Feiertagen und zu den Abendstunden gibt, dass die Schließung eines Gerichts grundsätzlich kein Grund dafür ist, auf eine Anhörung zu verzichten. Auch strafrechtliche Haftvorführungen sind schließlich ohne weiteres auch an Wochenenden durchführbar. [...]