VG Berlin

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Zitieren als:
VG Berlin, Urteil vom 01.12.2022 - 28 K 330.17 A - asyl.net: M31188
https://www.asyl.net/rsdb/m31188
Leitsatz:

Abschiebungsverbot für Frau aus Äthiopien:

1. Die Klägerin ist als Kind äthiopischer Eltern nach dem maßgeblichen äthiopischen Recht äthiopische Staatsangehörige. Ob ihr Vater auch die eritreische Staatsangehörigkeit innehat, ist unerheblich, da er vor der Erlangung völkerrechtlicher Souveränität Eritreas von Äthiopien 1993 geboren sein muss und mithin vom äthiopischen Staat zumindest auch als äthiopischer Staatsangehöriger angesehen wird. Anhaltspunkte dafür, dass er die äthiopische Staatsangehörigkeit verloren haben könnte, liegen nicht vor.

2. Die Klägerin kann den subsidiären Schutzstatus nicht gemäß § 26 Abs. 5, Abs. 3 AsylG von ihren Kindern ableiten, wenn diese ihren subsidiären Schutzstatus gemäß § 26 Abs. 5, Abs. 2 AsylG von ihrem eritreischen Vater abgeleitet haben. Gemäß § 26 Abs. 4 S. 2 AsylG kann der Schutzstatus nämlich nur von einer Person abgeleitet werden, die diesen wegen einer ihr selbst drohenden Gefahr ("aus eigenem Recht") erhalten hat. Eine Ableitung aus abgeleitetem Recht ist nicht möglich.

3. Selbst wenn die Klägerin im Familienverbund nicht nur mit ihren Kindern, sondern auch mit ihrem eritreischen Lebensgefährten nach Äthiopien zurückkehren würde, wäre sie angesichts der wirtschaftlichen, sozialen und politischen Situation weder in Addis Abeba, noch ihrer Herkunftsregion oder einem anderen Landesteil in der Lage, ihre eigene Existenz und die ihrer Familie zu sichern. Auch bei Inanspruchnahme von Rückkehrhilfen wäre die Klägerin nicht in der Lage, in absehbarer Zeit nach ihrer Rückkehr eine Existenz für sich und ihre Familie aufzubauen.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Äthiopien, Abschiebungsverbot, Staatsangehörigkeit, Staatsangehörigkeitsrecht, Familienschutz, Existenzminimum, Existenzgrundlage, Frauen, Rückkehrhilfen, Eritrea,
Normen: AsylG § 3 Abs. 1, AsylG § 4 Abs. 1, AsylG § 26 Abs. 5, AsylG § 26 Abs. 3, AufenthG § 60 Abs. 5, EMRK Art. 3, GR-Charta Art. 4,
Auszüge:

[...]

a) Die Klägerin ist äthiopische Staatsangehörige. Die Frage der Staatsangehörigkeit der Klägerin ist entscheidend, weil Personen gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a) AsylG nur dann als politisch Verfolgte anzusehen sind, wenn sie des Schutzes desjenigen Staates entbehren, dem sie angehören [...].

Der Heimatstaat einer Asylbewerberin oder eines Asylbewerbers ist grundsätzlich nach dem jeweiligen Staatsangehörigkeitsrecht des in Frage kommenden Staates zu bestimmen, da Erwerb und Verlust der Staatsangehörigkeit im Allgemeinen durch innerstaatliche Rechtsvorschriften geregelt werden (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 21. Januar 2003 - A 9 S 397/00 -, juris Rn. 24). Dies sind vorliegend die äthiopischen Rechtsvorschriften gemäß der äthiopische Rechtsanwendungspraxis. [...]

Hiervon ausgehend ist die Kammer unter Berücksichtigung der weiteren Angaben der Klägerin davon überzeugt, dass sie nach dem maßgeblichen äthiopischen Recht als Kind äthiopischer Eltern die äthiopische Staatsangehörigkeit besitzt.

Maßgeblich ist Art. 1 des äthiopischen Staatsangehörigkeitsgesetzes vom 22. Juli 1930 (im Folgenden: Staatsangehörigkeitsgesetz 1930), weil die Klägerin nach eigenen Angaben 1997 geboren wurde. Nach dieser Norm war äthiopischer Staatsangehöriger, wer als Kind eines äthiopischen Vaters oder einer äthiopischen Mutter in Äthiopien oder im Ausland geboren wurde. Die Staatsangehörigkeit von Kindern aus gemischt-nationalen Ehen richtete sich gemäß Art. 6 des Staatsangehörigkeitsgesetzes 1930 nach der Staatsangehörigkeit des Vaters. Auf den Geburtsort kam es danach nicht an.

Die Kammer hat aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens die Überzeugung gewonnen, dass die Eltern der Klägerin äthiopische Staatsangehörige waren bzw. sind. Nach ihren Angaben in der mündlichen Verhandlung ist ihre Mutter äthiopische Staatsangehörige, sie stamme aus Äthiopien. Dafür, dass ihre Mutter tatsächlich Äthiopierin ist und die Klägerin in Äthiopien aufgewachsen ist, spricht, dass die Klägerin Amharisch spricht, die Sprache der äthiopischen Bundesregierung [...].

Es ist außerdem davon auszugehen, dass ihr Vater im Zeitpunkt ihrer Geburt ebenfalls äthiopischer Staatsangehöriger war. Ungeachtet der insoweit unsubstantiierten klägerischen Angaben besaß er - ebenso wie ihre Mutter - die äthiopische Staatsangehörigkeit. Denn er muss jedenfalls vor der Erlangung der völkerrechtlichen Souveränität Eritreas am 24. Mai 1993 geboren sein. Vor diesem Zeitpunkt war das Gebiet des heutigen Staates Eritrea eine unselbständige Provinz Äthiopiens und die dort lebenden Angehörigen der einheimischen Bevölkerung wurden von den äthiopischen Behörden und international als äthiopische Staatsangehörige angesehen. [...]

Ausreichende Anhaltspunkte dafür, dass der Vater der Klägerin die eritreische Staatsangehörigkeit im Zeitpunkt der Geburt der Klägerin erworben und seine äthiopische Staatsangehörigkeit verloren haben könnte, liegen nicht vor. [...]

Selbst wenn der Vater der Klägerin mit der Souveränität des Staates Eritrea die eritreische Staatsangehörigkeit erworben hätte, hätte er allein damit seine äthiopische Staatsangehörigkeit auch noch nicht verloren. [...]

2. Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzes.

a) Sie kann einen solchen Anspruch nicht aus § 26 Abs. 5 i. V. m. Abs. 1 AsylG ableiten. Eine Ableitung des subsidiären Schutzes von ihrem Ehemann bzw. Lebensgefährten kommt unabhängig von der Frage, ob die religiöse Eheschließung als wirksam anzusehen ist, nicht in Betracht, weil die Ehe nicht schon in dem Staat bestanden hat, in dem ihrem Ehemann ein ernsthafter Schaden droht (also in Eritrea), sondern im Sudan geschlossen wurde (vgl. § 26 Abs. 1 Nr. 2 AsylG).

Eine Ableitung des subsidiären Schutzes von ihren Töchtern scheidet ebenfalls aus. Nach § 26 Abs. 3 AsylG wird dem Elternteil einer oder eines minderjährigen subsidiär Schutzberechtigten unter den in dieser Bestimmung im Einzelnen bezeichneten Voraussetzungen auf Antrag der subsidiäre Schutz zuerkannt. Aus § 26 Abs. 4 Satz 2 AsylG folgt aber, dass Angehörige der Kernfamilie den subsidiären Schutz nur von einer Person ableiten können, welcher der subsidiäre Schutz wegen eines ihr selbst drohenden ernsthaften Schadens ("aus eigenem Recht") und nicht ihrerseits kraft Ableitung zuerkannt worden ist [...].

b) Ein Anspruch auf die Zuerkennung des subsidiären Schutzes folgt auch nicht aus § 4 Abs. 1 AsylG. [...]

bb) Die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG liegen ebenfalls nicht vor. [...]

(2) Auch die allgemeine humanitäre Lage in Äthiopien führt nicht dazu, dass der Klägerin subsidiärer Schutz nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG zu gewähren ist. Es fehlt bereits an einem Akteur, von dem ein etwa drohender ernsthafter Schaden in Gestalt der schlechten humanitären Lage in der Herkunftsregion der Klägerin ausgehen könnte (vgl. §§ 4 Abs. 3, 3c AsylG). [...]

Zwar wird teilweise von großen Schwierigkeiten bei der Lieferung humanitärer Hilfsgüter in die Tigray-Region berichtet [...]. Insoweit gab es auch Vorwürfe strategischen Aushungerns ("Hunger als Waffe") der Zivilbevölkerung durch die äthiopische Regierung, um so den Widerstand der "Tigray People's Liberation Front" (TPLF), die sich in einer militärischen Auseinandersetzung mit der Bundesregierung in Addis Abeba befindet, und der Bevölkerung in Tigray zu brechen [...].

Dies betraf allerdings nicht die hier in den Blick zu nehmende Herkunftsregion der Klägerin, SNNPR, sondern die Region Tigray bzw. Afar. In Bezug auf die Versorgungssituation in den übrigen Landesteilen, auch in der Region SNNPR, aus der die Klägerin stammt, liegen jedenfalls keinerlei Anhaltspunkte dafür vor, dass die kritische humanitäre Lage auf das Handeln eines Akteurs zurückgeht. [...]

(3) Auch die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG ist nicht gegeben. [...]

Gemessen hieran liegt im Falle der Klägerin keine hinreichend verdichtete bzw. individualisierte Gefährdungslage in ihrer Herkunftsregion vor. Die Klägerin stammt aus in der Region SNNPR, nicht aus der Region Tigray, in der militärische Auseinandersetzungen stattgefunden haben, oder den ebenfalls unmittelbar von dem Konflikt betroffenen angrenzenden Regionen Amhara und Afar. [...]

3. Die Klägerin hat aber einen Anspruch auf Feststellung eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG. [...]

Bei alledem ist eine realitätsnahe Betrachtung der Rückkehrsituation zugrunde zu legen, was bei einer im Bundesgebiet in familiärer Gemeinschaft lebenden Kernfamilie (Eltern und minderjährige Kinder) dazu führt, dass grundsätzlich auch von einer Rückkehr im Familienverband - auch bei Schutzgewährung für einzelne Familienmitglieder - auszugehen ist und dass mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) und Art. 8 EMRK das Existenzminimum aller Mitglieder der Kernfamilie in die Gefahrenprognose einzustellen ist [...].

Maßstab für die Gefahrenprognose ist grundsätzlich, ob die vollziehbar ausreisepflichtige Ausländerin oder der vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer nach ihrer bzw. seiner Rückkehr, ggf. durch ihr oder ihm gewährte Rückkehrhilfen, in der Lage ist, ihre bzw. seine elementarsten Bedürfnisse über einen absehbaren Zeitraum zu befriedigen. Nicht entscheidend ist hingegen, ob das Existenzminimum einer Ausländerin oder eines Ausländers im Herkunftsland nachhaltig oder gar auf Dauer sichergestellt ist (BVerwG, Urteil vom 21. April 2022 - BVerwG 1 C 10.21 -, juris Rn. 25).

Nach diesen Maßstäben ist beachtlich wahrscheinlich, dass die Klägerin nicht in der Lage sein wird, ihre elementarsten Bedürfnisse über einen absehbaren Zeitraum nach ihrer Rückkehr nach Äthiopien zu befriedigen. [...]

Äthiopien ist ungeachtet des Umstandes, dass das Wirtschaftswachstum in den letzten zehn Jahren wesentlich über dem regionalen und internationalen Durchschnitt lag, eines der ärmsten Länder der Welt. Ein signifikanter Teil der Bevölkerung lebt unter der absoluten Armutsgrenze [...]. Trotz des Rückgangs der Armutsquote im vergangenen Jahrzehnt leben etwa 27 Mio. Menschen in Armut. Im Jahr 2021 ist prognostiziert worden, dass die COVID 19-Pandemie sowie der Konflikt in Tigray und zunehmende Unruhen in anderen Landesteilen diese Zahlen voraussichtlich steigen lassen werden […]. Zwischen Januar und August 2022 haben ca. 22 Mio. Menschen landesweit Hilfsleistungen erhalten [...] bei einer Gesamtbevölkerung von ca. 110 bis 115 Mio. Einwohnern [...].

Äthiopien verzeichnet eine hohe Arbeitslosigkeit, die durch die Schwäche des modernen Wirtschaftssektors und die anhaltend hohe Zuwanderung aus dem ländlichen Raum verstärkt wird [...].

Des Weiteren ist das Land strukturell von Nahrungsmittelknappheit betroffen wie auch von häufigen Überschwemmungen, und die Regierung steht vor enormen humanitäre Herausforderungen. [...]

Demzufolge wird Äthiopien vom World Food Programme aktuell unter den "Hotspots of highest concern" geführt, weil Teile der Bevölkerung von den IPC-Phasen 4 und 5 betroffen sind [...].

Zu bedenken ist wiederum, dass Äthiopien bereits das Land mit den drittmeisten Flüchtlingen in Afrika ist und zum Stand 31. August 2022 874.239 registrierte Flüchtlinge und Schutzsuchende aufgenommen hatte [...]. Hinzu kommt die hohe Zahl intern Vertriebener. Dürrebedingt waren zum Stand April 2022 581.952 Binnenvertriebene zu verzeichnen [...].

Rückkehrerinnen und Rückkehrer können indes in Äthiopien nicht mit staatlicher Unterstützung rechnen. Sozialleistungen wie Arbeitslosengeld, Sozialhilfe, Kindergeld o.ä. werden von der äthiopischen Regierung nicht erbracht [...].

Die Gesundheitsversorgung in Äthiopien ist - nach den Erkenntnissen des Bundesamtes - trotz erheblicher Anstrengungen und bereits erzielter Fortschritte - noch mangelhaft. [...]

b) Bezüglich der Lage von Frauen in Äthiopien ist zusätzlich Folgendes zu berücksichtigen:

In der äthiopischen Verfassung werden die Gleichstellung und der Schutz der Frauen betont [...]. Das Recht enthält allerdings weiterhin Vorschriften, die für Frauen diskriminierend sind, wie die Anerkennung des Ehemannes als rechtlichen Familienvorstand und einzigen Vormund von Kindern über fünf Jahren [...]

In der gesellschaftlichen Realität haben Frauen eine schwächere Position als Männer. Traditionell haben nur wenige Frauen Führungsämter in Wirtschaft und Politik inne. [...] Insbesondere auf dem Land werden Frauen diskriminiert und verfügen über nur über sehr eingeschränkte Entfaltungsmöglichkeiten […].

c) In Addis Abeba, dem Ort, an dem die Abschiebung endet, ist die Lage allerdings nicht so kritisch wie in den besonders von der Dürre betroffenen Regionen Somali, SNNPR, Oromia und Amhara, in denen akute Mangelernährung herrscht [...]. Generell ist in den größeren Städten ein wirtschaftlicher Neuanfang im Vergleich leichter möglich [...]. Gleichwohl ist beachtlich wahrscheinlich, dass die Klägerin unter Berücksichtigung ihrer individuellen Verhältnisse nicht in der Lage sein wird, in Addis Abeba ihre eigene Existenz (im Sinne der Sicherstellung von "Bett, Brot und Seife") sowie die ihrer Familie zu sichern. Gleiches gilt für die Herkunftsregion der Klägerin, die - wie bereits ausgeführt - neben den Regionen Somali, Oromia und Amhara besonders von der Dürre betroffen ist und zu den Regionen mit schwerer akuter Mangelernährung gehört, sowie für die anderen Landesteile Äthiopiens, zu denen die Klägerin keinen Bezug hat. [...]

Danach ist bei realitatsnaher Prognose eine gemeinsame Rückkehr der gesamten Kernfamilie nach Äthiopien im vorliegenden Einzelfall anzunehmen. Die Konstellation einer besonders schützenswerten Kernfamilie ist gegeben. Die Klägerin ist Mutter zweier vier und fünf Jahre alten Töchter. Sie lebt mit diesen und dem gemeinsamen Vater zusammen. Eine (in Deutschland) wirksame Eheschließung zwischen den Eltern ist nicht erforderlich, um eine tatsächlich gelebte, schützenswerte familiäre Lebens- und Erziehungsgemeinschaft anzunehmen. Zusätzlich spricht für eine gemeinsame Rückkehr, dass beide Elternteile längere Zeit in Äthiopien gelebt haben und amharisch sprechen. Jedenfalls die minderjährigen Kinder könnten ohne Weiteres zusammen mit der Mutter einreisen. Sie besitzen neben der eritreischen Staatsangehörigkeit nach Art. 3 Abs. 1 Staatsbürgerschaftsgesetzes 2003 auch die äthiopische Staatsangehörigkeit, weil sie als Kinder einer äthiopischen Mutter geboren sind.

(1) Es kann dahinstehen, ob auch der Vater der Kinder als eritreischer Staatsangehöriger nach Äthiopien wird einreisen können [...]. Denn jedenfalls ist es nach der Überzeugung der Kammer unter Berücksichtigung der dargestellten allgemeinen Lage in Äthiopien unter Beachtung der individuellen Umstände der Familie beachtlich wahrscheinlich, dass es der Klägerin auch zusammen mit ihrem.Mann nicht gelingen wird, eine das Existenzminimum der Familie sichernde Erwerbstätigkeit zu finden. [...]

Für die Klägerin ist es infolge der extrem angespannten Arbeitsmarktsituation in Addis Abeba und der besonderen Lage der Frauen, die für die gleiche Arbeit in der Regel weniger Lohn erhalten als Männer (siehe oben unter 3.b)) beachtlich wahrscheinlich, dass sie nicht in der Lage sein wird, in Addis Abeba oder in ihrer Herkunftsregion, SNNPR, eine Arbeit zu finden, die der Familie ein zur Existenzsicherung ausreichendes Einkommen verschaffen kann. Dies gilt erst recht für die anderen Landesteile, zu denen sie keinen Bezug hat. [...]

Würde der Vater der Kinder deren Betreuung alleine übernehmen, müsste das Einkommen der Klägerin für vier Personen reichen. Dies ist angesichts der derzeit hohen Inflationsrate in Äthiopien, insbesondere bei Lebensmitteln, sowie mit Blick auf einen relativ hohen Anteil der Lebensmittelausgaben für vier Personen an den Gesamtausgaben des Familienhaushalts nicht beachtlich wahrscheinlich. [...]

Vor diesem Hintergrund wird auch der Vater der Kinder mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nicht in der Lage sein, zu dem zur Existenzsicherung der Familie ausreichenden Einkommen beizutragen - sei es, dass sowohl er als auch die Klägerin jeweils in Teilzeit arbeiten und die Kinder betreuen, sei es, dass die Klägerin die Kinder in Vollzeit betreut und nur er arbeiten geht. [...] Hinzu kommt, dass er Eritreer ist und Äthiopien bereits im Jahr 2008 verlassen hat; seitdem haben sich die Bedingungen auch infolge der Auswirkungen der COVID 19-Pandemie und des bewaffneten Konflikts in Tigray und den angrenzenden Regionen Amhara und Afar deutlich verschlechtert und stellen sich insbesondere für tigrinyastämmige Personen aufgrund des militärischen Konflikts, in den auch Eritrea involviert ist, auch in anderen Landesteilen besondere Herausforderungen [...]

(2) Es ist auch nicht davon auszugehen, dass die Klägerin durch die Hilfe Dritter hinreichend Unterstützung zur Existenzsicherung für sich und ihre Familie erfahren wird oder zumindest die Möglichkeit einer Betreuung ihrer Kinder erhalten kann. [...]

(3) Dem vorstehenden Befund steht nicht die Möglichkeit der Inanspruchnahme von Rückkehrhilfen entgegen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann dann, wenn die Rückkehrerin oder der Rückkehrer Hilfeleistungen in Anspruch nehmen kann, die eine Verelendung innerhalb eines absehbaren Zeitraums ausschließen, Abschiebungsschutz ausnahmsweise nur dann gewährt werden, wenn bereits zum maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt der letzten behördlichen oder gerichtlichen Tatsachenentscheidung davon auszugehen ist, dass der Ausländerin oder dem Ausländer nach dem Verbrauch der Rückkehrhilfen in einem engen zeitlichen Zusammenhang eine Verelendung mit hoher Wahrscheinlichkeit droht (BVerwG, Urteil vom 21. April 2022 - BVerwG 1 C 10.21 -, juris Rn. 25). Die Klägerin und ihre Familie könnten bei einer freiwilligen Rückkehr zwar grundsätzlich auf Rückkehr- und Reintegrationsprogramme zurückgreifen [...]. Trotz dieser Hilfeleistungen ist beachtlich wahrscheinlich, dass die Klägerin aufgrund der Rückkehr des gesamten Familienverbands, zu dem zwei betreuungsbedürftige kleine Kinder gehören, in einem absehbaren Zeitraum auch unter Berücksichtigung einer möglichen (Teilzeit-)Erwerbstätigkeit des Vaters der Kinder nicht in der Lage sein wird, für sich und ihre Familie in Äthiopien eine hinreichende Existenz aufzubauen, sondern der Gefahr.der Verelendung ausgesetzt sein wird. Die Rückkehrhilfen sind eine Starthilfe. Es ist nicht ersichtlich, dass die Familie es aufgrund dieser in einem begrenzten Zeitraum gewährten Mittel trotz der infolge des hohen Betreuungsbedarfs der kleinen Kinder nur beschränkten Möglichkeit, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, und der derzeit sehr schwierigen humanitären Bedingungen in Äthiopien gerade für Familien mit kleinen Kindern schaffen könnte, in Addis Abeba oder in anderen Landesteilen eine zur Existenzsicherung ausreichende Erwerbstätigkeit zu finden und auszuüben. [...]