Auswärtiges Amt

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Zitieren als:
Auswärtiges Amt, Erlass/Behördliche Mitteilung vom 07.12.2021 - 508-2-543.53/2 - asyl.net: M31186
https://www.asyl.net/rsdb/m31186
Leitsatz:

Bis zur abschließenden Klärung des Beurteilungszeitpunkts der Minderjährigkeit beim Elternnachzug sind Visaverfahren ruhend zu stellen

Das Urteil des EuGH vom 12.4.2018 (asyl.net: M26143) wirkt sich in Deutschland nicht unmittelbar aus. Das BVerwG hat diese umstrittene Frage daher am 23.4.2020 dem EuGH vorgelegt (asyl.net: M28542). Bis zur Entscheidung des EuGH und anschließend des BVerwG ist wie folgt vorzugehen:

1. Visumsanträge zum Elternnachzug zu Minderjährigen, die kurz vor Vollendung des 18. Lebensjahrs stehen, sind mit höchster Priorität zu behandeln, um eine rechtzeitige Einreise zu ermöglichen.

2. Visumsanträge zum Elternnachzug zu Kindern, bei denen unabhängig vom EuGH-Vorlageverfahren das Visum nicht erteilt werden kann, sind unverzüglich abzulehnen. Gleiches gilt für Fälle, in denen die Eltern den Visumsantrag nicht innerhalb von drei Monaten nach Flüchtlingsanerkennung des Kindes gestellt haben und das Kind bei Visumsantragstellung der Eltern bereits volljährig war.

3. Visumsanträge zum Elternnachzug zu Kindern, bei denen das Kind zum Zeitpunkt der Einreise in Deutschland nicht mehr minderjährig sein wird, sollen nach Rücksprache und im Einverständnis mit den Antragstellenden ruhend gestellt werden. Dies umfasst folgende Konstellationen:

  • Das unbegleitete minderjährige Kind wurde während des Asylverfahrens volljährig und die Eltern oder die Minderjährigen selbst bzw. deren Vormund haben innerhalb von drei Monaten nach Flüchtlingsanerkennung des Kindes einen Visumsantrag gestellt;

  • Das unbegleitete minderjährige Kind wurde in der Zeit zwischen Flüchtlingsanerkennung und Visumverfahren volljährig und die Eltern oder das Kind selbst oder sein Vormund haben innerhalb von drei Monaten nach Anerkennung einen Visumsantrag gestellt;

  • Das unbegleitete minderjährige Kind wurde erst während des Visumverfahrens volljährig.

Rechtsprechung:

  • EuGH, Urteil vom 12.04.2018 - C-550/16 A. und S. gg. Niederlande - Asylmagazin 5/2018, S. 176 ff. - asyl.net: M26143

  • BVerwG, Beschluss vom 23.04.2020 - 1 C 9.19, 1 C 10.19 - asyl.net: M28542

  • EuGH, Urteil vom 01.08.2022 - C-273/20, C-355/20 Deutschland gg. SW, BL und BC (Asylmagazin 9/2022, S. 326 f.) - asyl.net: M30811

Schlagwörter: Elternnachzug, Beurteilungszeitpunkt, minderjährig, unbegleitete Minderjährige, Familienzusammenführung, Schutz von Ehe und Familie, familiäre Lebensgemeinschaft, Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen, Familienzusammenführungsrichtlinie, Familiennachzug, Asylverfahren, Volljährigkeit, Frist, Asylantrag, Flüchtlingsanerkennung, A. und S., A und S, SW, BL, BC
Normen: RL 2003/86/EG Art. 16 Abs. 1 Bst. a, RL 2003/86/EG Art. 10 Abs. 3 Bst. a, RL 2003/86/EG Art. 2 Bst. f, RL 2003/86/EG Art. 13 Abs. 2, RL 2003/86/EG 16 Abs. 1 Bst. b, AufenthG § 25 Abs. 2, AufenthG § 36 Abs. 1, AufenthG § 32,
Auszüge:

[...]

II. Weisung zu Visaanträgen zum Nachzug zum minderjährigen Flüchtling, wenn dieser vor Einreise der Eltern volljährig wird

Bis zu den Entscheidungen des EuGH und im Anschluss des BVerwG gilt entsprechend der Weisung vom 13.07.2020:

1. Visumanträge zum Nachzug zu Minderjährigen, die kurz vor Vollendung des 18. Lebensjahrs stehen, sind bei der Annahme und Bearbeitung mit höchster Priorität zu behandeln, um eine rechtzeitige Einreise zu ermöglichen, ggf. ist auf die Möglichkeit eines gerichtlichen Eilverfahrens hinzuweisen.

2. Fallkonstellationen, in denen Visa bereits nach bisheriger Weisungslage erteilt werden können, sollten weiterhin bevorzugt bearbeitet und unverzüglich erteilt werden.

3. Fälle, in denen unabhängig von dem Vorlageverfahren das Visum nicht erteilt werden kann (weil z.B. andere Erteilungsvoraussetzungen, die nicht die Minderjährigkeit betreffen, ohnehin nicht erfüllt sind) sind unverzüglich abzulehnen. Gleiches gilt für Fälle, in denen die Eltern den Antrag nicht innerhalb von drei Monaten nach Flüchtlingsanerkennung gestellt haben und die Referenzperson bei Visumantragstellung bereits volljährig war.

4. Ausschließlich(!) bei solchen Anträgen auf Erteilung eines Visums zum Nachzug von Eltern zu in Deutschland lebenden Kindern, bei denen das Kind zum Zeitpunkt der Einreise in Deutschland nicht mehr minderjährig sein wird, sollten die Antragsteller zunächst über die aktuelle deutsche Rechtslage informiert und dabei wie folgt verfahren werden: Bis die Rechtsfragen abschließend geklärt sind, stellen Sie bitte ggf. dennoch gestellte von dieser Rechtsfrage betroffene Visumanträge nach Rücksprache und im Einverständnis mit den Antragstellern ruhend (Eintrag im Laufzettel). Das betrifft nur folgende Konstellationen:

• UMF wurde im Asylverfahren volljährig und die Eltern oder die Minderjährigen selbst oder deren Vormund haben innerhalb von drei Monaten nach Anerkennung einen Visumantrag gestellt;

• UMF wurde zwischen Anerkennung und Visumverfahren volljährig und die Eltern oder die Minderjährigen selbst oder deren Vormund haben innerhalb von drei Monaten nach Anerkennung einen Visumantrag gestellt;

• UMF wurde erst im Visumverfahren volljährig, d. h. regulärer§ 36 Abs. 1 AufenthGFall, der erst durch Erreichen der Volljährigkeit des UM F zum "EuGH-Fall" wird. [...]