VG Braunschweig

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Zitieren als:
VG Braunschweig, Urteil vom 05.10.2022 - 7 A 940/17 - asyl.net: M31173
https://www.asyl.net/rsdb/m31173
Leitsatz:

Abschiebungsverbot für Person aus Burundi:

1. Burundischen Staatsangehörigen droht nicht schon wegen der Asylantragstellung im Ausland oder eines längeren Auslandsaufenthalts Verfolgung. Repressionen sind bei der Rückkehr erst bei einer erkennbaren, gegen die Regierung gerichteten oppositionellen Einstellung zu erwarten. 

2. Der psychisch erkrankte und körperlich eingeschränkte Kläger wird nicht in der Lage sein, in Burundi eine Arbeit auszuüben, die den Lebensunterhalt sichert.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Burundi, politische Verfolgung, Asylantragstellung im Ausland, Sicherung des Lebensunterhalts, Arbeitslosigkeit, Abschiebungsverbot, Existenzgrundlage, Existenzminimum, Krankheit, psychische Erkrankung,
Normen: AsylG § 3 Abs. 1, AufenthG § 60 Abs. 5, EMRK Art. 3,
Auszüge:

[...]

Dem Kläger steht kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1, 4 AsylG zu. [...]

Ein Anspruch auf Gewährung von Flüchtlingsschutz folgt auch nicht daraus, dass er nach seiner Ausreise aus Burundi im Januar 2014 in der Bundesrepublik Deutschland einen Asylantrag gestellt hat und sich seit mehr als acht Jahren dort aufhält. [...]

Ein danach beachtlicher (subjektiver) Nachfluchttatbestand zugunsten des Klägers allein wegen seiner im Januar 2014 erfolgten Ausreise aus Burundi, der Beantragung internationalen Schutzes und des langjährigen Aufenthaltes im Ausland besteht nach den zu Burundi vorliegenden aktuellen Erkenntnismitteln, insbesondere der von der Einzelrichterin eingeholten Auskunft, nicht. Es kann dahinstehen, ob der burundische Staat in jedem Fall Kenntnis über die Rückkehr eines burundischen Staatsangehörigen nach längerem Auslandsaufenthalt erlangt. Es besteht zur Überzeugung der Einzelrichterin jedenfalls nicht die beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Burundi - eine entsprechende Kenntnis des burundischen Staates unterstellt - allein deshalb als Oppositioneller oder Regimekritiker betrachtet und Verfolgungsmaßnahmen im Sinne des § 3 Abs. 1 i. V. m. § 3a AsylG ausgesetzt sein wird, ohne dass weitere dem burundischen Staat bekannte Umstände vorliegen, die Anknüpfungspunkt für die Unterstellung einer regimekritischen Haltung sein könnten. Zwar führt die im vorliegenden Verfahren beauftragte Gutachterin Frau Dr. ... (vom German Institute of Global and Area Studies - GIGA) in ihrem Gutachten vom 13.09.2021 [...] aus, dass burundische Staatsangehörige nach der Rückkehr aus dem Ausland vermehrt mit schwerwiegender Repression, für die der burundische Staat verantwortlich ist, rechnen müssen. Die Ausführungen der Gutachterin insgesamt, auch gestützt auf anderweitige Erkenntnismittel, lassen jedoch darauf schließen, dass nicht der rein formale Aspekt der Antragstellung und/oder des längeren Auslandsaufenthaltes, sondern eine gegen die Regierung gerichtete erkennbar gewordene oppositionelle Einstellung zu Repressionen bei einer Rückkehr führt. [...]

Der Kläger steht jedoch ein Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Burundi zu. [...]

Nach Einschätzung der Einzelrichterin würde die derzeitige Abschiebung nach Burundi für den Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.d. Art. 3 EMRK führen, die das erforderliche Mindestmaß an Schwere erreicht. Burundi liegt nach den Erhebungen der Vereinten Nationen im Human Development Index (HDI) auf Rang 185 von 189 erfassten Ländern und gehört weiterhin zu den am wenigsten entwickelten Ländern der Welt. [...] Die Folgen des Klimawandels führen zu Dürreperioden, Überflutungen (zuletzt im April 2021, vgl. reliefweb.int/disaster/fl-2021-000039-bdi) und Erosion von landwirtschaftlich nutzbarer Fläche und tragen zur steigenden Ernährungsunsicherheit bei [...]

In Anbetracht dieser Situation und unter Berücksichtigung des gesundheitlichen Zustandes des Klägers ist nicht beachtlich wahrscheinlich, dass er bei einer Rückkehr nach Burundi seinen existentiellen Lebensunterhalt wird sichern können. [...] Damit kann nicht davon ausgegangen werden, dass der psychisch erheblich erkrankte Kläger, der einer Betreuung bedarf und dessen körperliche Fähigkeiten darüber hinaus massiv eingeschränkt sind, in der Lage wäre, sich in Burundi um die Erlangung einer seinen Lebensunterhalt sichernden Arbeit zu kümmern und diese ausüben zu können. [...]