VG Stuttgart

Merkliste
Zitieren als:
VG Stuttgart, Urteil vom 08.12.2022 - A 3 K 5395/22 - asyl.net: M31128
https://www.asyl.net/rsdb/m31128
Leitsatz:

Subsidiärer Schutz im Asylverfahren für Personen aus der Ukraine:

Der Grad willkürlicher Gewalt im Rahmen des bewaffneten Konflikts in der Ukaine erreicht ein so hohes Niveau, dass ukrainische Staatsangehörige bei ihrer Rückkehr allein durch ihre Anwesenheit Gefahr liefen, einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit ausgesetzt zu sein. Ihnen ist gemäß § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AsylG der subsidiäre Schutzstatus zuzuerkennen.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Ukraine, subsidiärer Schutz, extreme Gefahrenlage, willkürliche Gewalt,
Normen: AsylG § 4 Abs. 1 S. 2,
Auszüge:

[...]

Den Klägern ist der subsidiäre Schutzstatus zuzuerkennen. Dabei hat das Gericht - wie offenbar auch die Beklagte - aufgrund der Angaben der Mutter der Kläger keinen Zweifel an der ukrainischen Staatsangehörigkeit der Kläger, zumal diesen derzeit aufgrund der kriegerischen Handlungen in ihrem Heimatland nicht auferlegt werden kann, Nachweise für ihre Staatsangehörigkeit zu erbringen. [...]

Im maßgebenden Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung sind aufgrund des militärischen Einmarsches Russlands in die Ukraine am 24.02.2022, der weiterhin anhält, die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG für die Zuerkennung des subsidiären Schutzes gegeben.

Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs setzt die Gewährung des subsidiären Schutzes nicht voraus, dass der Kläger beweist, dass er aufgrund von seiner persönlichen Situation innewohnenden Umständen spezifisch betroffen ist. Das Vorliegen einer solchen Bedrohung kann insbesondere auch dann als gegeben angesehen werden, wenn der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt nach der Beurteilung der zuständigen nationalen Behörden, die mit einem Antrag auf subsidiären Schutz befasst sind, oder der Gerichte eines Mitgliedstaats, bei denen eine Klage gegen die Ablehnung eines solchen Antrags anhängig ist, ein so hohes Niveau erreicht, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei einer Rückkehr in das betreffende Land oder gegebenenfalls in die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit im Gebiet dieses Landes oder dieser Region tatsächlich Gefahr liefe, einer solchen Bedrohung ausgesetzt zu sein (EuGH Urteil vom 17.02.2009, Rs. C-465/07 - Elgafaji - juris Rn. 43). Hiervon geht das Gericht angesichts der umfangreichen Medienberichterstattung in den vergangenen Tagen und Wochen für das Staatsgebiet der Ukraine aus. Der russische Angriff mit Landtruppen konzentriert sich derzeit auf den Osten und den Süden der Ukraine (neuerdings auch mit sog. Kamikaze-Drohnen), bei denen auch ein Beschuss ziviler Infrastrukturen und Wohnbebauung stattfindet. In den von der Ukraine kontrollierten Landesteilen ist die Versorgung mit Lebensmitteln, Medikamenten, Elektrizität und Gas ganz oder teilweise zusammengebrochen. Überall im Land besteht die Gefahr von nicht explodierter Munition, im Küstenbereich zudem von Seeminen. In den vormals von russischen Truppen gehaltenen und inzwischen durch ukrainische Truppen wieder befreiten Gebieten ist zudem die Gefahr von Minen und Sprengfallen hoch (vgl. www.auswaertigesamt.de/de/ReiseUndSicherheit/Ukrainesicherheit/201946; aufgerufen am 08.12.2022). [...]