OVG Sachsen

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Zitieren als:
OVG Sachsen, Urteil vom 12.10.2022 - 5 A 78/19.A - asyl.net: M31118
https://www.asyl.net/rsdb/m31118
Leitsatz:

Weder subsidiärer Schutz noch Abschiebungsverbot für jungen Mann aus Somalia:

1. In Mogadischu/Somalia herrscht zumindest kein derart hohes Niveau willkürlicher Gewalt, dass jede Zivilperson gemäß § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AsylG bei einer Rückkehr allein durch ihre Anwesenheit tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit ausgesetzt zu sein. Ob in Mogadischu noch ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt gemäß § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AsylG herrscht, kann dahinstehen.

2. Auch ein junger Mann, der in einem Flüchtlingslager in Äthiopien aufgewachsen ist, noch nie in Somalia war und auf einem Auge erblindet ist, wird in der Lage sein, in Mogadischu als Tagelöhner ein wirtschaftliches Existenzminimum zu erwirtschaften. Das gilt auch angesichts des Umstands, dass in Somalia die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln in weiten Landesteilen nicht gewährleistet ist.

(Leitsätze der Redaktion; siehe auch: VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 16.12.2021 - A 13 S 3196/19 - asyl.net: M30368; a.A.: VG Potsdam, Urteil vom 30.08.2022 - 10 K 2842/18.A - asyl.net: M30898; VG Potsdam, Beschluss vom 26.04.2022 - 10 L 52/21.A - asyl.net: M30630)

Schlagwörter: Somalia, innerstaatlicher bewaffneter Konflikt, subsidiärer Schutz, Abschiebungsverbot, Existenzgrundlage, Sehbehinderung, Al-Shabaab, Mogadischu, willkürliche Gewalt,
Normen: AsylG § 4 Abs. 2 S. 2 Nr. 3, AufenthG § 60 Abs. 5, EMRK Art. 3,
Auszüge:

[...]

A. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes, da er keine stichhaltigen Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsstaat ein ernsthafter Schaden droht, § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG. Dies gilt für alle drei Varianten des ernsthaften Schadens im Sinne des § 4 AsylG. [...]

1. Maßgeblicher Bezugspunkt für die Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG ist die Herkunftsregion des Betroffenen, in die er typischerweise zurückkehren wird. [...]

Vorliegend ist, wie das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt hat, auf die Hauptstadt Mogadischu abzustellen. Der Kläger wurde in einem Flüchtlingslager in Äthiopien geboren und hat dort bis zu seiner Ausreise auch gelebt. [...]

2. Der Senat lässt offen, ob in Mogadischu noch ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt. Es fehlt im Fall des Klägers jedenfalls an einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge des Konflikts in Mogadischu. [...]

c) Der Senat geht im Einklang mit der obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. HessVGH, Urt. v. 1. August 2019 - 4 A 2334/18.A - und BayVGH, Urt. v. 27. März 2018 - 20 B 17.31663 - und 28. März 2017 - 20 B 15.30204 -, jeweils juris), der Rechtsprechung der sächsischen Verwaltungsgerichte und der überwiegenden veröffentlichten erstinstanzlichen Rechtsprechung (VG Köln, Urt. v. 22. April 2022 - 8 K 2632/19.A -; VG Berlin, Urt. v. 14. Dezember 2021 - 28 K 583.17 A -; VG Würzburg, Urt. v. 16. Juli 2021 - W 9 K 20.31181 -; a. A. VG Potsdam, Urt. v. 30. März 2022 - 10 K 1863/16.A -, sämtlich juris) davon aus, dass es derzeit ohne das Hinzutreten gefahrerhöhender individueller Umstände in Mogadischu an einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge des Konflikts fehlt.

Die - nicht exakt ermittelbare - Zahl ziviler Opfer des Konflikts ist nicht so hoch, dass allein deshalb schon eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson vorliegt. [...]

Aus der vom Kläger zur Begründung der besonderen Gefährdung in Mogadischu herangezogenen Reisewarnung des Auswärtigen Amtes ergibt sich nichts anderes. Es wird dort im Einklang mit den herangezogenen Erkenntnismitteln ausgeführt, dass in Mogadischu immer wieder schwere Anschläge verübt werden und es zu bewaffneten Auseinandersetzungen mit mutmaßlichen al-Shabaab Kämpfern kommt. Soweit dort vor Reisen nach Somalia gewarnt wird, liegt dem ein rechtlicher Maßstab zugrunde, der nicht dem des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG entspricht (vgl. BVerwG, Beschl. v. 27. Juni 2013 - 10 B 11.13 -, juris Rn. 6).

Es sind auch keine individuellen gefahrerhöhenden Umstände ersichtlich. Allein der Umstand, dass der Kläger noch niemals in Mogadischu war und dort niemanden kennt, führt nicht dazu, dass er von etwaigen Anschlägen in besonderer Weise betroffen wäre.

B. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 3 EMRK. [...]

III. Hiernach werden die oben dargelegten sehr hohen Anforderungen daran, dass der Betroffene Gefahr läuft, einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein, weder unter dem Gesichtspunkt einer allgemeinen Situation der Gewalt noch unter dem Gesichtspunkt schlechter humanitärer Bedingungen erreicht.

1. Das Ausmaß an Gewalt in Mogadischu ist nicht so intensiv, dass dort für jeden wirklich tatsächlich die Gefahr einer Behandlung besteht, welche die Schwelle von Art. 3 EMRK erreicht. [...]

2. Die tatsächliche Gefahr einer Beeinträchtigung der Rechte des Klägers aus Art. 3 EMRK besteht auch nicht unter dem Gesichtspunkt schlechter humanitärer Bedingungen. Denn der Kläger als gesunder arbeitsfähiger Mann wird sich bei einem Aufenthalt in Mogadischu nicht unabhängig von seinem Willen und seinen persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befinden, die es ihm nicht erlaubte, seine elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere, sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die seine physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder ihn in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre (so auch für alleinstehende erwerbsfähige Männer vom Clan der Hawiye BayVGH, Urt. v. 12. Februar 2020 - 23 B 18.30809 - und VGH BW, Urt. v. 16. Dezember 2021 - A 13 S 3196/19 -, jeweils juris). [...]

Nach der Auskunftslage gelingt es jedenfalls gesunden arbeitsfähigen Männern, zumindest Arbeit als Tagelöhner zu erhalten und so die Finanzierung der elementarsten Bedürfnisse zu sichern. Der Senat geht davon aus, dass dies auch dem Kläger gelingen wird. Denn arbeitsfähige Männer, die nach Mogadischu zurückkehren, können regelmäßig zumindest eine Arbeit als Tagelöhner auf dem informellen Sektor auf dem Bau oder in der Gastronomie erhalten, zumal die Mehrheitsbevölkerung solchen Tätigkeiten äußerst abgeneigt ist. Der Umstand, dass sich der Kläger noch niemals in Somalia aufgehalten hat, steht dem nicht entgegen. [...] Dass der Kläger auf dem linken Auge blind ist, ist für seine Arbeitsfähigkeit unerheblich, es ergibt sich insoweit auch keine fortwirkende medizinische Behandlungsbedürftigkeit. [...]

Der Möglichkeit des Klägers, seine elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, steht auch nicht entgegen, dass in Somalia die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln in weiten Landesteilen nicht gewährleistet ist. [...]