Eilrechtsschutz wegen Chancen-Aufenthalt und nachhaltiger Integration:
1. Kurzfristige Unterbrechungen des Aufenthalts im Bundesgebiet von bis zu drei Monaten stehen der Erteilung einer Chancen-Aufenthaltserlaubnis nach § 104c Abs. 1 AufenthG nicht entgegen, wenn der Lebensmittelpunkt dabei nicht ins Ausland verlegt worden ist. Das Gleiche gilt für die Aufenthaltserlaubnis bei nachhaltiger Integration gemäß § 25b Abs. 1 AufenthG.
2. Ein Asylantrag im Ausland bedeutet keine Verlegung des Lebensmittelpunkts, wenn die Person kurz nach der Antragstellung wieder in das Bundesgebiet zurückkehrt.
(Leitsätze der Redaktion; siehe auch: Bundesministerium des Innern, Erlass/Behördliche Mitteilung vom 23.12.2022 - asyl.net: M31183; Anmerkung: Die Entscheidung erging vor Inkrafttreten des § 104c AufenthG aufgrund der Vorgriffsregelung des Landes Hessen)
[...]
Der Antragsteller erfüllt - entgegen der Rechtsauffassung des Antragsgegners - die Voraussetzungen des § 104c AufenthG-E. [...]
Bei dem Antragsteller handelt es sich um einen geduldeten Ausländer. [...] Der Antragsteller hat sich auch am 1. Januar 2022 seit fünf Jahren ununterbrochen geduldet oder gestattet im Bundesgebiet aufgehalten. Er reiste ursprünglich im Dezember 2015 in das Bundesgebiet ein und hält sich dort bis heute geduldet bzw. während seines ersten Asylverfahrens gestattet auf. Dass er sich zwischenzeitlich vom (jedenfalls) 12. Juni 2018 bis zum 31. Juli 2018 nicht im Bundesgebiet, sondern in Italien und Österreich befand, ändert an der Erfüllung des Tatbestandsmerkmal des ununterbrochenen Aufenthalts im Bundesgebiet nichts. Ausweislich der Gesetzesbegründung zu § 104c AufenthG-E sind kurzfristige Unterbrechungen des Aufenthalts im Bundesgebiet von bis zu drei Monaten, die keine Verlegung des Lebensmittelpunkts beinhalten, unschädlich (vgl. BT-Drs. 367/22 vom 5. August 2022, S. 43). Vorliegend unterbrach der Antragsteller seinen Aufenthalt im Bundesgebiet nach Aktenlage für rund eineinhalb Monate, mithin für deutlich weniger als drei Monate. Es fand während dieser rund eineinhalb Monate auch keine Verlegung des Lebensmittelpunkts nach Italien oder Österreich statt. Nach Aktenlage reiste der Antragsteller am 12. Juni 2018 in Italien ein und beantragte dort Asyl (Bl. 53 f., Bl. 330 BA). Die Stellung eines Asylantrags in einem anderen Land vermag zwar grundsätzlich ein starkes Indiz für eine intendierte Verlagerung des Lebensmittelpunkts sein. Im Fall des Antragstellers verhält es sich jedoch nach Aktenlage deshalb anders, da der Antragsteller nur wenige Tage später, nämlich spätestens am 18. Juni 2018, bereits den Rückweg in das Bundesgebiet antrat und somit ganz offensichtlich nicht den Lebensmittelpunkt weg aus dem Bundesgebiet verlagern wollte. Der Behördenakte lässt sich insoweit entnehmen, dass der Antragsteller sich zwar erhoffte, in Italien schneller Asyl zu erlangen (vgl. Bl. 330 BA). Dass eine Verlagerung aber letztlich nicht intendiert war, wird aus dem Antritt der Rückreise nur wenige Tage später und der Angabe bei Aufgreifen in Österreich, er wohne und arbeite in Deutschland, ersichtlich. [...] Der Antragsteller erfüllt auch die übrigen Voraussetzungen des § 104c AufenthG-E, insbesondere ist er nicht straffällig geworden und hat nicht seine Abschiebung durch wiederholte vorsätzliche falsche Angaben oder Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit verhindert. [...]