Passbeschaffungskosten sind vom Sozialleistungsträger zu übernehmen:
1. Passbeschaffungskosten stellen einen unabweisbaren Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II dar. Der Mehrbedarf ist unabweisbar, weil er aufgrund der Höhe der Passbeschaffungskosten von über 400 Euro erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht und der Betrag deshalb nicht in der Kürze der Zeit angespart werden konnte.
2. Ausnahmsweise ist im vorliegend ein Darlehen nach § 24 Abs. 1 SGB II nicht zumutbar, weil die Behörde die Klägerin zur Vorlage von Ausweispapieren aufgefordert und die Leistungsgewährung davon abhängig gemacht hatte.
(Leitsätze der Redaktion)
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Rechtsgrundlage für den Anspruch des Klägers ist § 21 Abs. 6 SGB II. Danach wird bei Leistungsberechtigten ein Mehrbedarf anerkannt, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, besonderer Bedarf besteht; bei einmaligen Bedarfen ist weitere Voraussetzung, dass ein Darlehen nach § 24 Abs. 1 ausnahmsweise nicht zumutbar oder wegen der Art des Bedarfs nicht möglich ist. Der Mehrbedarf ist unabweisbar, wenn er insbesondere nicht durch die Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der Leistungsberechtigten gedeckt ist und seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht.
Bei den Aufwendungen für die Ausweispapiere handelt es sich mit Blick auf die Gültigkeitsdauer um einmalige Aufwendungen (vgl. BS, Urteil vom 29.05.2019 – B 8 SO 8/17 R). Einmalige Mehrbedarfe werden zwar erst seit dem 01.01.21 von der Vorschrift des § 21 Abs. 6 SGB II erfasst, so dass diese Vorschrift zum Zeitpunkt der Verwaltungsentscheidung noch keine Geltung beansprucht hat. Jedoch ist maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage bei der Leistungsklage grundsätzlich der Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (BSG, Urteil vom 14.05.20 – B 14 AS 7719 R, Söhngen in juris PK § 54 Rn. 51). Der Bedarf war vorliegen auch unabweisbar. Dies ist der Fall, wenn er nicht durch Zuwendungen Dritter oder Einsparmöglichkeiten gedeckt werden kann. Die Mutter des Klägers konnte sich den Betrag für die Beschaffung der Papiere zwar leihen, war insoweit aber zur Rückzahlung verpflichtet. Auch war der Betrag, der der Höhe nach etwa einem monatlichen Regelbedarf entspricht, nicht in der Kürze der Zeit ansparbar. Auch der Höhe nach weicht der Betrag von 424,80 EUR erheblich vom durchschnittlichen Bedarf ab, da dieser Betrag die Kosten für die Anschaffung deutscher Ausweispapiere bei Weitem übersteigt. Es handelt sich auch um einen besonderen Bedarf. Dies ist der Fall, wenn er aufgrund seiner Atypik nicht oder nicht der Höhe nach vom Regelbedarf umfasst ist. Ausweispapiere für unter 14-Jährige sind vom Regelbedarf nicht erfasst (vgl. BT DS 18/9984 S. 80). Und auch soweit der Regelbedarf im Übrigen einen Anteil für Ausweispapiere vorsieht, entspricht der insoweit vorgesehene Anteil bei Weitem nicht den Kosten, die die Beschaffung ausländischer Ausweispapiere mit sich bringt, da insoweit auf die Beschaffung eines deutschen Personalausweises abgestellt wurde.
Ausnahmsweise ist im vorliegenden Fall ein Darlehen nach § 24 Abs. 1 SGB II nicht zumutbar. Ausweislich der Gesetzesbegründung (BT DS 19/24034 S. 35) ist dies der Fall, wenn eine leistungsberechtigte Person aufgrund eines nicht absehbaren und nicht selbst zu verantwortenden Notfalls einen ungewöhnlich hohen Finanzbedarf hat. Hier kommt das Verhalten des Beklagten zum Tragen. Dieser hat die Mutter des Klägers mehrfach und über Monate hinweg zur Vorlage von Ausweispapieren des Klägers aufgefordert und die Leistungsgewährung an ihn hiervon abhängig gemacht. [...]
Dass der Antrag des Klägers erst nach Beschaffung der Papiere gestellt wurde, ist entgegen der Auffassung des Beklagten unschädlich. Denn die Gewährung eines Mehrbedarfs ist nicht von der Stellung eines gesonderten Antrags abhängig. [...]