OVG Niedersachsen

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Zitieren als:
OVG Niedersachsen, Beschluss vom 24.10.2022 - 13 ME 249/22 - asyl.net: M31067
https://www.asyl.net/rsdb/m31067
Leitsatz:

Subsidiär Schutzberechtigten ist die Beantragung syrischer Pässe zumutbar:

Es ist subsidiär Schutzberechtigten mit syrischer Staatsangehörigkeit grundsätzlich zumutbar, einen Nationalpass zu beantragen. Anders wäre es, wenn der dem subsidären Schutzstatus zugrundeliegende drohende ernsthafte Schaden gemäß § 4 AsylG auf eine Bedrohung durch staatliche Behörden zurückgeht und möglicherweise auch dann nur, wenn weitere Umstände, wie etwa die begründete Furcht der Gefährdung in Syrien lebender Verwandter, hinzutreten.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Reiseausweis für Ausländer, Notreiseausweis, Syrien, subsidiärer Schutz, Passbeschaffung, Passbeschaffungskosten, Passpflicht, Unzumutbarkeit der Passbeschaffung,
Normen: AufenthV § 5 Abs. 1, AufenthV § 13 Abs. 1, AufenthG § 3 Abs. 1 S. 1, AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 4,
Auszüge:

[...]

7 (1) Hier ist die Erteilung eines Notreiseausweises schon nicht zur Vermeidung einer unbilligen Härte erforderlich. Die insoweit allein geltend gemachte Erkrankung der Tochter der Antragstellerin und einen sich daraus ergebenden akuten Besuchs- und Hilfebedarf hält auch der Senat nicht für überwiegend wahrscheinlich und damit nicht für glaubhaft gemacht [...].

8 (2) Darüber hinaus hat die Antragstellerin auch nicht hinreichend glaubhaft gemacht, dass ihr die Beschaffung eines anderen Passes oder Passersatzes unzumutbar ist.

9 Welche konkreten Anforderungen an das - gerichtlich vollständig überprüfbare (vgl. BVerwG, Beschl. v. 20.6.2011 - BVerwG 1 B 1.11 -, Buchholz 402.242 § 3 AufenthG Nr. 1 - juris Rn. 6; Senatsbeschl. v. 18.8.2021 - 13 LA 174/21 -, V.n.b. Umdruck S. 3 ff.) - Vorliegen einer Unzumutbarkeit zu stellen sind, beurteilt sich nach den Umständen des Einzelfalls. Dabei ist es im Hinblick auf den mit der Ausstellung eines Passes regelmäßig verbundenen Eingriff in die Personalhoheit eines anderen Staates grundsätzlich nicht zu beanstanden, wenn die Ausländerbehörde den Ausländer zunächst auf die Möglichkeit der Ausstellung eines Passes durch seinen Heimatstaat verweist und die Erteilung eines Reiseausweises erst dann in Betracht zieht, wenn diese Bemühungen nachweislich ohne Erfolg geblieben sind [...].

11 Eine Unzumutbarkeit, sich zunächst um die Ausstellung eines Nationalpasses des Heimatstaates zu bemühen, kommt nur in Ausnahmefällen in Betracht. Die einen Ausnahmefall begründenden Umstände sind vom Ausländer darzulegen und nachzuweisen. Dabei ist bei den Anforderungen an den Nachweis zu differenzieren. Je gewichtiger die vom Ausländer plausibel vorgebrachten Umstände sind, desto geringer sind die Anforderungen an das Vorliegen einer daraus resultierenden Unzumutbarkeit [...].

14 Zum anderen ist es - entgegen der Beschwerde (Beschwerdebegründungsschriftsatz v. 21.9.2022, S. 2 f. = Blatt 51R f. der Gerichtsakte) - subsidiär Schutzberechtigten grundsätzlich zumutbar, sich bei den Auslandsvertretungen des Herkunftsstaates um die Ausstellung eines Nationalpasses zu bemühen. Denn ihre Rechtsstellung in Bezug auf die Erlangung von Reisedokumenten ist anders geregelt als die der Flüchtlinge [...]. Ob eine Ausnahme von diesem Grundsatz schon dann zu machen ist, wenn der dem subsidiären Schutzstatus zugrundeliegende drohende ernsthafte Schaden im Sinne des § 4 AsylG auf eine Bedrohung durch staatliche Behörden zurückgeht, oder nur dann, wenn weitere Umstände, wie etwa die begründete Furcht der Gefährdung der im Heimatland lebenden Verwandten hinzutritt [...], bedarf hier keiner Entscheidung. Denn keiner dieser Ausnahmefälle ist glaubhaft gemacht. Anhand der Asylanhörung der Antragstellerin vom 17. September 2021 [...] und des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 29. Oktober 2021 [...] ist nicht festzustellen, dass der dem subsidiären Schutzstatus zugrundeliegende drohende ernsthafte Schaden im Sinne des § 4 AsylG auf eine individuelle Bedrohung der Antragstellerin durch staatliche Behörden zurückgeht. Auch die von der Antragstellerin geäußerte Furcht der Gefährdung der im Heimatland lebenden "Familie" ist nach ihrem Vorbringen nicht begründet [...]. Die Behauptung, ihre Familie befände sich bereits heute "im Fokus der Regierung", ist nicht ansatzweise konkret, findet keine Bestätigung in den Einlassungen der Antragstellerin in der Asylanhörung und ist auch sonst durch nichts belegt. Der Senat vermag so nicht ansatzweise nachzuvollziehen, welchen Gefahren die in Syrien lebenden "Familie" (nach der Asylanhörung v. 17.9.2021, S. 4 = Blatt 65 der Beiakte 1 sind dies ein Onkel und die Großmutter mütterlicherseits, während die Eltern, Geschwister und weitere Verwandte in der Türkei leben) ausgesetzt sein könnte, wenn die Antragstellerin in einer syrischen Auslandsvertretung einen Pass beantragt.

15 (3) Schließlich hat die Antragstellerin nicht glaubhaft gemacht, dass das der Antragsgegnerin nach § 13 Abs. 3 AufenthV zukommende Ermessen dahin reduziert ist, dass allein die Ausstellung eines  Notreiseausweises für Ausländer eine von nach § 114 Satz 1 VwGO relevanten Fehlern freie Ermessensentscheidung darstellt, mithin das Ermessen "auf Null" reduziert ist. Das - hier zudem nicht gegebene - Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen nach § 13 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 3 AufenthG genügt hierfür nach dem Wortlaut des § 13 Abs. 3 AufenthG allein nicht; die Erfüllung des Tatbestands ist vielmehr bloße Voraussetzung für eine Ermessensbetätigung der Ausländerbehörde. [...]