BVerwG

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Zitieren als:
BVerwG, Beschluss vom 19.10.2022 - 1 B 65.22 - asyl.net: M31060
https://www.asyl.net/rsdb/m31060
Leitsatz:

Verwaltungsrechtsweg für Durchsuchungsanordnungen nach § 58 Abs. 6 AufenthG:

"Für den Antrag auf die Anordnung der Durchsuchung einer Wohnung nach § 58 Abs. 6 AufenthG ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet (im Anschluss an BGH, Beschluss vom 12. Juli 2022 - 3 ZB 6/21 - juris)."

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Wohnungsdurchsuchung, Abschiebung, Durchsuchungsbeschluss, Rechtsweg,
Normen: VwGO § 40 Abs. 1 S. 1, GVG § 17a Abs. 2, GVG § 17a Abs. 4, AufenthG § 58 Abs. 6, GG Art. 13 Abs. 2,
Auszüge:

[...]

3 2. Die Beschwerde ist begründet. Für den vorliegenden Rechtsstreit ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet. Das Verwaltungsgericht hätte den Rechtsstreit daher nicht an das Amtsgericht verweisen dürfen; das Oberverwaltungsgericht hat die Beschwerde des Antragstellers zu Unrecht zurückgewiesen.

4 a) Nach § 40 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 VwGO ist der Verwaltungsrechtsweg in allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nicht verfassungsrechtlicher Art gegeben. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. [...]

6 b) Die Streitigkeit ist nicht im Sinne von § 40 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 VwGO durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen.

7 Die beantragte Durchsuchung stellt keine Freiheitsentziehung im Sinne des § 106 Abs. 2 Satz 1 AufenthG dar, für die die ordentlichen Gerichte zuständig sind (BGH, Beschluss vom 12. Juli 2022 - 3 ZB 6/21 - juris Rn. 13; OVG Lüneburg, Beschluss vom 10. März 2021 - 13 OB 102/21 - juris Rn. 5).

8 Auch aus § 58 Abs. 10 AufenthG ergibt sich keine abdrängende Zuweisung zur ordentlichen Gerichtsbarkeit. Für eine solche verlangt § 40 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 VwGO eine ausdrückliche anderweitige Zuweisung der Streitigkeit an ein anderes Gericht, um Zweifel über das im jeweiligen Fall zuständige Gericht im Interesse der Rechtssuchenden auszuschließen (BVerwG, Urteil vom 24. Mai 1972 - 1 C 33.70 - BVerwGE 40, 112 <114>). Nach § 58 Abs. 10 AufenthG bleiben weitergehende Regelungen der Länder, die den Regelungsgehalt des § 58 Abs. 5 bis 9 AufenthG betreffen, unberührt. Diese Vorschrift stellt keine als solche bezeichnete und erkennbare Sonderregelung des Rechtswegs dar, die allein die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichtsbarkeit bei öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten ausschließen könnte.

9 c) Die Streitigkeit ist nicht durch Landesrecht der ordentlichen Gerichtsbarkeit zugewiesen (§ 40 Abs. 1 Satz 2 VwGO). Dies kommt nur bei einer Streitigkeit auf dem Gebiet des Landesrechts in Betracht. Die beantragte Durchsuchung ist indessen in § 58 Abs. 6 AufenthG bundesrechtlich geregelt. [...]

10 d) § 58 Abs. 10 AufenthG stellt schließlich entgegen der Auffassung der Vorinstanzen keine neben die allgemeine Regelung des § 40 Abs. 1 VwGO tretende, gleichrangige eigenständige Zuständigkeitsregelung dar, mit der es im Sinne einer Öffnungsklausel den Ländern ermöglicht wird, bereits bestehende Rechtswegregelungen für Wohnungsdurchsuchungen auf die Durchsuchung nach § 58 Abs. 6 bis 9 AufenthG zu erstrecken. Ein derartiger Regelungsgehalt ist § 58 Abs. 10 AufenthG nicht beizumessen. Für Streitigkeiten, die eine solche Durchsuchung zum Gegenstand haben, bleibt es vielmehr beim Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten (§ 40 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 VwGO); das gilt auch, soweit das Landesrecht inhaltlich deckungsgleiche oder hinter die bundesrechtlichen Regelungen zurücktretende Vorschriften enthält (ebenso BGH, Beschluss vom 12. Juli 2022 - 3 ZB 6/21 - juris Rn. 24).

11 Dem von den Vorinstanzen für richtig gehaltenen abweichenden Verständnis des § 58 Abs. 10 AufenthG steht bereits der Wortlaut der Norm entgegen, der keinen Anhaltspunkt für eine umfassende Regelungskompetenz der Länder hinsichtlich der Rechtswegzuweisung enthält, sondern lediglich weitergehende landesrechtliche Regelungen unberührt lässt. [...]

13 Diese Begrenzung des Anwendungsbereichs von § 58 Abs. 10 AufenthG wird durch seine Entstehungsgeschichte bestätigt. Mit der Norm wird geregelt, dass durch § 58 Abs. 5 bis 9 AufenthG bundeseinheitlich ein Mindestmaß für Betretensrechte bei Abschiebungen vorgegeben wird; bestehende Regelungen der Länder, die weitergehende Befugnisse geben, sollen fortgelten, ohne dass hierzu ein Rechtsakt der Länder notwendig wäre (vgl. BT-Drs. 19/10706, S. 14). Dem lässt sich nicht entnehmen, dass den Ländern eine umfassende Befugnis zur Regelung des jeweils zu beschreitenden Rechtswegs verbleiben oder eröffnet werden sollte. [...]