VG München

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Zitieren als:
VG München, Urteil vom 27.06.2022 - M 28 K 21.32811 - asyl.net: M31000
https://www.asyl.net/rsdb/m31000
Leitsatz:

Aufhebung eines Unzulässigkeitsbescheids im Asylfolgeverfahren wegen exilpolitischer Aktivitäten einer Person aus der Türkei:

Aufgrund exilpolitischer Aktivitäten ist die Gefahr politischer Verfolgung für die betroffene Person größer geworden, sodass ihr die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Sie war in der Türkei wegen Unterstützung der MKP (Maoist Komünist Partisi) verurteilt worden. Überdies war sie bereits in der Türkei Mitglied des Vereins Ankara Demokratik Haklar Federasyon. Ihre exilpolitische Tätigkeiten entsprechen ihrer festen, bereits im Herkunftsland erkennbar betätigten Überzeugung, sodass die daraus folgende Gefahr politischer Verfolgung gemäß § 28 Abs. 1 S. 1 AsylG vollumfänglich zu berücksichtigen ist.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Türkei, Exilpolitik, MKP, Maoist Komünist Partisi, Demokratik Haklar Federasyon, politische Verfolgung, subjektive Nachfluchtgründe,
Normen: AsylG § 71 Abs. 1 S. 1, VwVfG § 51 Abs. 1 Nr. 1, AsylG § 28 Abs. 1 S. 1, AsylG § 3b Abs. 1 Nr. 5
Auszüge:

[...]

25 aa) Aufgrund der von der Klägerin im gerichtlichen Verfahren vorgelegten Unterlagen sowie der Erkenntnisse des Einzelrichters aus der ausführlichen Anhörung und Befragung der Klägerin in der mündlichen Verhandlung und dem dabei gewonnenen Bild von der Persönlichkeit der Klägerin steht zur Überzeugung des Einzelrichters fest, dass sich die Klägerin und ihr Ehemann nach Abschluss ihrer Erstverfahren in verschiedenen, teils sehr reichweitenstarken Medien prominent in der Öffentlichkeit wiederholt sehr kritisch mit der türkischen Regierung, dem türkischen Staatspräsidenten sowie dessen Politik auseinandergesetzt haben und sie auf diesem Wege ihre schon in der Türkei vorhandenen und erkennbar betätigten festen, politischen Überzeugungen fortgeführt haben [...]. Der Entschluss zur Schaffung eines Nachfluchttatbestands i.S.d. § 28 Abs. 1 AsylG entspricht im konkreten Einzelfall mithin einer festen, bereits im Herkunftsland erkennbar betätigten Überzeugung, sodass die Gefahr politischer Verfolgung im Rahmen der Prüfung, ob die Klägerin als Asylberechtigte anzuerkennen ist, vollumfänglich berücksichtigungsfähig ist (vgl. § 28 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylG). [...]

26 Angesichts der Tatsache, dass die Klägerin und ihr Ehemann sich bereits in der Türkei in besonders exponierter Weise oppositionspolitisch betätigt haben und sie deshalb sogar strafrechtlich wegen der Mitgliedschaft in einer Terrororganisation verurteilt worden sind sowie der umfangreichen medialen Berichterstattung über die ablehnende Entscheidung im Erstverfahren sowohl in der Türkei als auch in Deutschland, ist auch davon auszugehen, dass den türkischen Sicherheitsbehörden oder jedenfalls den türkischen diplomatischen Vertretungen die exilpolitischen Betätigungen der Klägerin und ihres Ehemanns bekannt geworden sind bzw. ihnen diese spätestens im Falle einer (unfreiwilligen) Rückkehr in die Türkei bekannt würden, weshalb offenkundig nicht mit der nötigen Sicherheit ausgeschlossen werden, dass die Klägerin und ihr Ehemann (nach wie vor) als tatsächliche oder potentielle Unterstützer einer terroristischen Organisation (der MKP) angesehen werden. [...]