VG Hannover

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Zitieren als:
VG Hannover, Beschluss vom 07.09.2022 - 15 B 3250/22 - asyl.net: M30979
https://www.asyl.net/rsdb/m30979
Leitsatz:

Eilrechtsschutz gegen Dublin-Überstellung wegen "Pushbacks" aus Kroatien:

Es liegen ernstzunehmende Anhaltspunkte dafür vor, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Kroatien systemische Schwachstellen aufweisen, da es seit Langem und in erheblichem Umfang zu gewaltsamen "Pushbacks", dem gewaltsamen Abdrängen Geflüchteter über die kroatische Außengrenze nach Serbien oder Bosnien-Herzegowina, kommt.

(Leitsätze der Redaktion; unter Bezug auf: VG Braunschweig, Urteil vom 24.05.2022 - 2 A 26/22 - asyl.net: M30975)

Schlagwörter: Dublinverfahren, Kroatien, Push-Backs, systemische Mängel, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung, Refoulement, EMRK, Kettenabschiebung, Polizei, Genfer Flüchtlingskonvention, Dublin III-Verordnung, Zurückschiebung, Zurückweisung, Non-Refoulement, Europäische Menschenrechtskonvention,
Normen: AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1, VO 604/2013 Art. 3 Abs. 2, EMRK Art. 3, GR-Charta Art. 4, GFK Art. 33 Abs. 1, AufenthG § 60 Abs. 5,
Auszüge:

[...]

Die Zuständigkeit Kroatiens ergibt sich grundsätzlich aus Art. 18 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.06.2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedsstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedsstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin III-VO). [...]

Es bestehen jedoch erhebliche Anhaltspunkte dafür, dass die Zuständigkeit Kroatiens aus verfahrensbezogenen Gründen auf die Bundesrepublik Deutschland übergegangen ist.

Nach Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 Dublin III-VO setzt der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat die Prüfung der in Kapitel III vorgesehen Kriterien fort, um festzustellen, ob ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann, wenn es sich als unmöglich erweist, einen Antragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen, da es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) mit sich bringen.

Systemische Mängel im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Dublin III-VO können erst angenommen werden, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen im zuständigen Mitgliedstaat aufgrund größerer Funktionsstörungen regelhaft so defizitär sind, dass anzunehmen ist, dass dort dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 GRC, Art. 3 EMRK droht (BVerwG, Beschl. v. 19.03.2014 - 10 B 6/14 -, juris Rn. 9). [...]

Nach diesen Maßgaben liegen ernstzunehmende Anhaltspunkte dafür vor, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Kroatien systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung begründen könnten.

Das Verwaltungsgericht Braunschweig führt hierzu in seinem Urteil vom 24.05.2022 (- 2 A 46/22 -, juris Rn. 34 ff.) aus:

"Solche systemischen Schwachstellen im kroatischen Asylsystem bestehen darin, dass es in Kroatien seit Langem und in erheblichem Umfang zu gewaltsamen "Pushbacks", dem Abdrängen von Asylbewerbern über die kroatische EU-Außengrenze nach Serbien oder Bosnien-Herzegowina, kommt. [...]"

Diesen Ausführungen schließt sich die Einzelrichterin vollumfänglich an.

Da der Überstellung somit rechtliche Gründe entgegenstehen und die Klage in der Hauptsache voraussichtlich erfolgreich sein wird, überwiegt das Interesse der Antragsteller an der Aussetzung der sofortigen Vollziehung das öffentliche Vollzugsinteresse, weshalb dem Antrag stattzugeben war. [...]