VGH Baden-Württemberg

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Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 20.07.2022 - A 10 S 1898/21 - asyl.net: M30971
https://www.asyl.net/rsdb/m30971
Leitsatz:

Keine Flüchtlingsanerkennung und kein Abschiebungsverbot für tamilische Person aus Sri Lanka:

1. Es ist nicht beachtlich wahrscheinlich, dass abgelehnte tamilische Asylsuchende bei Ihrer Rückkehr generell verfolgt werden.

2. Ob es einer aus dem Ausland nach Sri Lanka zurückkehrenden tamilischen Person möglich ist, ein Existenzminimum zu sichern, ist eine insbesondere von Geschlecht, Alter, Gesundheitszustand, Unterhaltspflichten, Ausbildung, Vermögen und sozialen Beziehungen der Person abhängige Frage des Einzelfalls.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Sri Lanka, Tamilen, LTTE, Rückkehr, Vorverfolgung, Sicherung des Lebensunterhalts,
Normen: AsylG § 3 Abs. 1, AufenthG § 60 Abs. 7, AufenthG § 60 Abs. 5,
Auszüge:

[...]

2. Der Senat konnte sich nicht davon überzeugen, dass der Kläger im oben genannten Sinne vorverfolgt ausgereist ist bzw. ihm im Fall seiner Rückkehr nach Sri Lanka eine Verfolgung droht. [...]

a) Der Senat vermochte den Schilderungen des Klägers von seiner angeblich im Heimatland erlittenen Verfolgung und seinen Teilnahmen an Demonstrationen insgesamt keinen Glauben zu schenken.

So wies die Schilderung seiner Verhaftung, seiner vorgeblichen Misshandlung durch sri-lankische Sicherheitskräfte und seiner Flucht zahlreiche Unstimmigkeiten auf und vermittelte insgesamt einen konstruierten Eindruck. [...]

b) Auch sonst spricht nichts dafür, dass der Kläger im Fall seiner Rückkehr eine Verfolgung durch einen der Verfolgungsakteure des § 3c AsylG befürchten müsste. Insbesondere ist nicht davon auszugehen, dass aus dem Ausland nach Sri Lanka zurückkehrende tamilische Staatsbürger generell wegen ihres Auslandsaufenthalts oder wegen einer Asylantragstellung im Ausland Verfolgungshandlungen im Sinne von § 3a AsylG ausgesetzt sind. [...]

Vermutet wird im Länderbericht, dass die Behörden des Landes Mitglieder der tamilischen Diaspora, die nach Sri Lanka zurückkehren, je nach individuellem Risikoprofil überwachen könnten. Von besonderem Interesse könnten hierbei Personen sein, die Führungspositionen in tamilischen Diaspora-Gruppen innegehabt hätten (insbesondere in Gruppen, die nach Ansicht der Regierung radikale Ansichten vertreten), frühere LTTE-Angehörige, insbesondere (aber nicht notwendigerweise) diejenigen, die in hochrangigen Positionen tätig gewesen seien, Personen, die verdächtigt würden, während des Krieges Geld für die LTTE gesammelt zu haben, sowie diejenigen, die aktiv für einen unabhängigen tamilischen Staat einträten. Mit einem fortbestehenden Interesse der Sicherheitsbehörden an ihrer Person müssten jedoch nur diejenigen rechnen, gegen die zusätzlich ein Strafverfahren offen sei. [...]

Nicht zu erwarten dürfte sein, dass aus dem Ausland zurückkehrende LTTE-Mitglieder (vermutet wird eine im Ausland lebenden Zahl von zwischen 4.000 und 6.000 ehemaligen LTTE-Angehörigen) einem sog. Rehabilitierungsprozess unterzogen werden, den offenbar die in Sri Lanka verbliebenden LTTE-Angehörigen bereits größtenteils durchlaufen haben. [...]

Es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass sich die Lage für Rückkehrer durch die gegenwärtige akute Staatskrise generell verschärft haben könnte. [...]

Nachdem der Senat dem Vorbringen des Klägers keinen Glauben geschenkt hat, käme eine Gefährdung des Klägers lediglich in Form einer Verfolgung als Teil der Gruppe der aus dem Ausland nach einer erfolglosen Asylantragstellung zurückkehrenden Tamilen in Betracht, ggf. in Verbindung mit weiteren gefahrerhöhenden Umständen in seiner Person wie etwaigen Kontakten zur tamilischen Diaspora oder aufgrund familiärer Verbindungen im Heimatland. Belastbare Erkenntnisse darüber, dass tamilische Rückkehrer generell wegen ihres Aufenthalts im Ausland oder wegen eines erfolglos durchlaufenen Asylverfahrens mit beachtlicher Wahrscheinlichkeiten Verfolgungshandlungen ausgesetzt sind, bestehen nach dem oben Ausgeführten nicht.

Hinsichtlich der Person des Klägers sind - jenseits des nicht glaubhaften Verfolgungsvorbringens - auch keine sonstigen gefahrerhöhenden Umstände vorgetragen oder ersichtlich. [...]

III. Der Kläger hat auch keinen Anspruch die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG. [...]

2. Hinsichtlich des Klägers lässt sich nicht im oben genannten Sinne feststellen, dass er bei einer Rückkehr nach Sri Lanka mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nicht in der Lage sein wird, seine elementarsten Grundbedürfnisse zu befriedigen. [...]

b) Nach alledem ist nicht beachtlich wahrscheinlich, dass der Kläger nicht in der Lage sein wird, im Fall einer Rückkehr nach Sri Lanka sein Existenzminimum zu sichern.

Die Erkenntnismittel geben nichts dafür her, dass (ggf. nach einem erfolglosen Asylverfahren) aus dem Ausland nach Sri Lanka zurückkehrende tamilische Volkszugehörige generell, das heißt unabhängig von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls (insbesondere dem Geschlecht, dem Alter, dem Gesundheitszustand, den Unterhaltspflichten, der Ausbildung, dem Vermögen und den sozialen Beziehungen des jeweiligen Rückkehrers), nicht in der Lage sein könnten, ihr Existenzminimum zu sichern.

Bei dem Kläger handelt es um einen arbeitsfähigen jungen Mann ohne Unterhaltspflichten mit einem guten Bildungsabschluss (Abitur), der auch vor seiner Ausreise aus Sri Lanka - nach seinen Angaben parallel zum Schulbesuch - als Rikscha-Fahrer berufstätig war. Auch in Deutschland ist der Kläger nach seinen Angaben berufstätig und arbeitet seit Februar 2017 ganztags in einem Restaurant und daneben im Rahmen eines Minijobs in einem weiteren Restaurant. [...]

Der Kläger verfügt zudem nach seinen Angaben über familiäre Verbindungen in Sri Lanka bzw. in seiner Heimatregion. Neben seinen Eltern leben dort auch noch eine ältere Schwester und ein älterer Bruder sowie weitere Familienangehörige wie eine Schwester seiner Mutter. Beide Geschwister leben bei den Eltern. Die wirtschaftliche Situation der Familie schilderte der Kläger in der mündlichen Verhandlung als "einigermaßen okay". Sollte der Kläger tatsächlich, wie von ihm in der mündlichen Verhandlung behauptet, alle zwei Monate regelmäßig rund 900,-- EUR an die Familie überweisen, dürfte sich deren wirtschaftliche Lage im Fall einer Abschiebung des Klägers zwar verschlechtern. Anhaltspunkte dafür, dass die Familie bedingt durch die ausbleibenden Geldzahlungen des Klägers nicht mehr in der Lage sein könnte, den Kläger (insbesondere durch die Gewährung einer Unterkunft) zumindest teilweise zu unterstützen, sind freilich nicht ersichtlich. [...]