VG Minden

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Zitieren als:
VG Minden, Beschluss vom 03.08.2022 - 10 L 593/22.A - asyl.net: M30969
https://www.asyl.net/rsdb/m30969
Leitsatz:

Einstweiliger Rechtsschutz im Asylfolgeverfahren für homosexuelle Person aus Algerien:

2020 kam es in Algerien zu einer erheblichen Anzahl von Verhaftungen Homosexueller, und es liegen neue Erkenntnisse über deren Verfolgung vor, sodass von einer veränderten Sachlage gemäß § 71 Abs. 1 S. 1 AsylG, § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG auszugehen und ein neues Asylverfahren durchzuführen ist.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Algerien, homosexuell, Asylfolgeantrag, LSBTI, Verhaftungen, Gruppenverfolgung, veränderte Sachlage, Wiederaufnahmegründe,
Normen: AsylG § 71 Abs. 1 S. 1, VwVfG § 51 Abs. 1 Nr. 2, AsylG § 3 Abs. 1,
Auszüge:

[...]

Darüber hinaus steht dem Antragsteller aber auch ein Anordnungsanspruch zu. Der Anspruch des Antragstellers auf Erstattung der Mitteilung des Bundesamtes an die Ausländerbehörde ergibt sich aus dem Allgemeinen Folgenbeseitigungsanspruch (analog § 1004 BGB). Stellt der Ausländer - wie vorliegend - einen Folgeantrag, darf die Abschiebung nach § 71 Abs. 5 AsylG erst nach einer Mitteilung des Bundesamtes, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes nicht vorliegen, vollzogen werden. Die Mitteilung ergeht an die für die Abschiebung zuständige Ausländerbehörde. Erweist sich die Annahme des Bundesamtes, dass die Voraussetzungen für die Durchführung eines Folgeverfahrens nicht vorliegen, allerdings - wie hier aus verfahrensrechtlichen Gründen - als rechtswidrig, ist auch die Mitteilung nach § 71 Abs. 5 Satz 1 AsylG an die Ausländerbehörde rechtswidrig und zu korrigieren. Dem greift der Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO vor, um den rechtmäßigen Verbleib des Antragstellers im Bundesgebiet zu sichern. [...]

Dementsprechend wird sich der Bescheid des Bundesamtes vom 12. Juli 2022 voraussichtlich als rechtswidrig erweisen und in der Hauptsache aufzuheben sein, weil die Voraussetzungen für die Ablehnung des Folgeantrags des Antragstellers als unzulässig nicht vorliegen. [...]

Dafür, dass ein Folgeantrag in der Sache weiter geprüft wird, ist es nicht erforderlich, dass die neuen Elemente oder Erkenntnisse den Folgeantrag hinreichend stützen, sondern es genügt, dass diese erheblich zu der Wahrscheinlichkeit beitragen, dass der Antragsteller als Person mit Anspruch auf internationalen Schutz anzuerkennen ist. [...]

In Anwendung dieses Maßstabs liegen die Voraussetzungen für eine Ablehnung des Folgeantrags des Antragstellers als unzulässig nicht vor. Die im Bericht des LSVD vom 11. März 2022 zusammenstellten Erkenntnisse staatlicher und nicht staatlicher Einrichtungen und Organisationen beinhalten sowohl eine neue wie auch erhebliche Änderung der Sachlage zur Verfolgung von Homosexuellen in Algerien.

Die im Bericht des LSVD vom 11. März 2022 zusammenstellten Erkenntnisse staatlicher und nicht staatlicher Einrichtungen und Organisationen haben zumindest zum Teil neue Tatsachen zur Verfolgung von Homosexuellen in Algerien zu Gegenstand. Die Ausführungen des U.S. Departement of State, Human Rights Watch, der International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association und Amnesty International über eine erhebliche Anzahl von Verhaftungen im Jahr 2020 und danach wurden zum einen nach dem rechtskräftigen Abschluss des ersten Asylerfahrens des Antragstellers durch den Einstellungsbeschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 29. Oktober 2919 - 12 A 3557/19.A - veröffentlicht und beziehen sich zum anderen auf einen hiernach liegenden Zeitraum.

Soweit es sich bei den im Bericht des LSVD vom 11. März 2022 zusammenstellten Äußerungen staatlicher und nicht staatlicher Einrichtungen und Organisationen zur Verfolgung von Homosexuellen in Algerien um neue Erkenntnisse im vorstehenden Sinn handelt, tragen diese auch erheblich zu der Wahrscheinlichkeit bei, dass der Antragsteller als Person mit Anspruch auf internationalen Schutz anzuerkennen ist. [...]