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EuGH

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Zitieren als:
EuGH, Urteil vom 22.09.2022 - C-497/21 SI u.a. gg. BR Deutschland - asyl.net: M30948
https://www.asyl.net/rsdb/m30948
Leitsatz:

Keine Ablehnung als unzulässiger Zweitantrag wegen erfolglosen Vorverfahrens in Dänemark:

1. Die Vorlagefrage – ob ein Antrag auf internationalen Schutz wie in § 71a AsylG geregelt als unzulässiger Folgeantrag gemäß Art. 33 Abs. 2 Bst. d AsylVerf-RL (RL 2013/32/EU) abgelehnt werden kann, wenn das vorherige Asylverfahren in einem anderen Mitgliedstaat durchgeführt wurde – ist nur insoweit zu prüfen, als sie den konkreten Fall des von dänischen Behörden abgelehnten Antrags auf internationalen Schutz betrifft. Es ist nicht erforderlich, den Fall zu berücksichtigen, dass Behörden eines anderen Mitgliedstaats einen entsprechenden Antrag abgelehnt hätten.

2. Ein Antrag auf internationalen Schutz bei den zuständigen Behörden des Königreichs Dänemark ist kein "Antrag auf internationalen Schutz" oder "Antrag" gemäß Art. 2 Bst. b AsylVerf-RL und eine Entscheidung über diesen Antrag keine "bestandskräftige Entscheidung" gemäß Art. 2 Bst. e AsylVerf-RL. Denn um solche handelt es sich nur, wenn sich Antrag und Entscheidung in ihrem Prüfungsmaßstab auf "internationalen Schutz" gemäß der Qualifikationsrichtlinie (QRL/RL 2011/95/EU) beziehen. Nach dem Protokoll über die Position Dänemarks sowie dem Erwägungsgrund 51 QRL findet die Qualifikationsrichtlinie auf das Königreich Dänemark jedoch keine Anwendung.

3. Ein "Folgeantrag" bezeichnet gemäß der Definition des Art. 2 Bst. q AsylVerf-RL einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz, der nach Erlass einer bestandskräftigen Entscheidung über einen früheren Antrag gestellt wird. Da weder ein früherer "Antrag" in diesem Sinne vorliegt, noch eine "bestandskräftige Entscheidung", kann ein in einem Mitgliedstaat gestellter Antrag auf internationalen Schutz nicht gemäß Art. 33 Abs. 2 Bst. d AsylVerf-RL als unzulässiger Folgeantrag abgelehnt werden, weil vorher ein Antrag in Dänemark abgelehnt worden ist.

(Leitsätze der Redaktion; Entscheidung erging auf Vorlage des VG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 16.08.2021 - 9 A 178/21 (Asylmagazin 3/2022, S. 97 ff.) - asyl.net: M29953)

Schlagwörter: Zweitantrag, Dänemark, Asylverfahrensrichtlinie, Qualifikationsrichtlinie, Asylfolgeantrag,
Normen: AsylG § 71a Abs. 1, RL 2013/32/EU Art. 33 Abs. 2 Bst. d, RL 2013/32/EU Art. 2 Bst. q, RL 2013/32/EU Art. 2 Bst. b, RL 2013/32/EU Art. 2 Bst. e, RL 2011/95/EU Art. 13, RL 2011/95/EU Art. 13, RL 2011/95/EU Art. 18,
Auszüge:

[...]

1. Ist eine nationale Regelung, nach der ein Antrag auf internationalen Schutz als unzulässiger Folgeantrag abgelehnt werden kann, mit Art. 33 Abs. 2 Buchst. d und Art. 2 Buchst. q der Richtlinie 2013/32 vereinbar, wenn das erfolglose erste Asylverfahren in einem anderen Mitgliedstaat der Union durchgeführt wurde?

2. Wenn die erste Frage bejaht wird: Ist eine nationale Regelung, nach der ein Antrag auf internationalen Schutz als unzulässiger Folgeantrag abgelehnt werden kann, mit Art. 33 Abs. 2 Buchst. d und Art. 2 Buchst. q der Richtlinie 2013/32 auch dann vereinbar, wenn das erfolglose erste Asylverfahren in Dänemark durchgeführt wurde?

3. Wenn die zweite Frage verneint wird: Ist eine nationale Regelung, nach der ein Asylantrag im Falle eines Folgeantrags unzulässig ist und die dabei nicht zwischen Flüchtlingseigenschaft und subsidiärem Schutzstatus unterscheidet, mit Art. 33 Abs. 2 Buchst. d der Richtlinie 2013/32 vereinbar? [...]

34 Vorab ist festzustellen, dass der Ausgangsrechtsstreit die Aufhebung von Bescheiden betrifft, mit denen Anträge georgischer Staatsangehöriger auf internationalen Schutz abgelehnt wurden, deren frühere Anträge auf internationalen Schutz vom Königreich Dänemark abgelehnt worden waren. [...]

36 Um dem vorlegenden Gericht eine sachdienliche Antwort zu geben, genügt es, die Vorlagefragen nur insoweit zu prüfen, als sie den Fall eines früheren, von den dänischen Behörden abgelehnten Antrags auf internationalen Schutz betreffen, ohne dass es erforderlich wäre, den Fall zu berücksichtigen, dass die Behörden eines anderen Mitgliedstaats einen entsprechenden Antrag abgelehnt haben (vgl. entsprechend Urteil vom 20. Mai 2021, L. R. [Von Norwegen abgelehnter Asylantrag], C-8/20, EU:C:2021:404, Rn. 30)

37 Daher ist davon auszugehen, dass das vorlegende Gericht mit seinen Fragen, die zusammen zu prüfen sind, im Wesentlichen wissen möchte, ob Art. 33 Abs. 2 Buchst. d der Richtlinie 2013/32 in Verbindung mit Art. 2 Buchst. q dieser Richtlinie sowie mit Art. 2 des Protokolls über die Position Dänemarks dahin auszulegen ist, dass er der Regelung eines anderen Mitgliedstaats als des Königreichs Dänemark entgegensteht, wonach ein Antrag auf internationalen Schutz im Sinne von Art. 2 Buchst. b der Richtlinie 2013/32 ganz oder teilweise als unzulässig abgelehnt werden kann, der in diesem Mitgliedstaat von einem Drittstaatsangehörigen oder einem Staatenlosen gestellt wird, dessen früherer, im Königreich Dänemark gestellter Antrag auf internationalen Schutz von letzterem Mitgliedstaat abgelehnt wurde. [...]

39b Nach Art. 33 Abs. 2 Buchst. d der Richtlinie 2013/32 können die Mitgliedstaaten einen Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig ablehnen, wenn es sich um einen Folgeantrag handelt, bei dem keine neuen Umstände oder Erkenntnisse zu der Frage, ob der Antragsteller nach Maßgabe der Richtlinie 2011/95 als Person mit Anspruch auf internationalen Schutz anzuerkennen ist, zutage getreten oder vom Antragsteller vorgebracht worden sind.

40 Der Begriff "Folgeantrag" bezeichnet gemäß der Definition in Art. 2 Buchst. q der Richtlinie 2013/32 einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz, der nach Erlass einer bestandskräftigen Entscheidung über einen früheren Antrag gestellt wird. [...]

42 Was erstens den Begriff "Antrag auf internationalen Schutz" bzw. "Antrag" anbelangt, so bezeichnet dieser gemäß der Definition in Art. 2 Buchst. b der Richtlinie 2013/32 das Ersuchen eines Drittstaats angehörigen oder Staatenlosen um Schutz durch einen Mitgliedstaat, bei dem davon ausgegangen werden kann, dass er die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder die Gewährung des subsidiären Schutzstatus im Sinne der Richtlinie 2011/95 anstrebt.

43 Zwar handelt es sich bei einem Antrag auf internationalen Schutz, der bei den zuständigen Behörden des Königreichs Dänemark nach den innerstaatlichen Bestimmungen dieses Mitgliedstaats gestellt wird, unbestreitbar um einen bei einem Mitgliedstaat gestellten Antrag, jedoch stellt er keinen Antrag dar, "[mit dem] die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder die Gewährung des subsidiären Schutzstatus [im Sinne der Richtlinie 2011/95 angestrebt wird]". Denn nach dem Protokoll über die Position Dänemarks findet diese Richtlinie auf das Königreich Dänemark keine Anwendung, wie im Übrigen im 51. Erwägungsgrund dieser Richtlinie ausgeführt wird.

44 Was zweitens den Begriff "bestandskräftige Entscheidung" betrifft, so bezeichnet dieser gemäß der Definition in Art. 2 Buchst. e der Richtlinie 2013/32 eine Entscheidung darüber, ob einem Drittstaats angehörigen oder Staatenlosen gemäß der Richtlinie 2011/95 die Flüchtlingseigenschaft oder der subsidiäre Schutzstatus zuzuerkennen ist, und gegen die kein Rechtsbehelf nach Kapitel V der Richtlinie 2013/32 mehr eingelegt werden kann.

44 Was zweitens den Begriff "bestandskräftige Entscheidung" betrifft, so bezeichnet dieser gemäß der
Definition in Art. 2 Buchst. e der Richtlinie 2013/32 eine Entscheidung darüber, ob einem Drittstaats
angehörigen oder Staatenlosen gemäß der Richtlinie 2011/95 die Flüchtlingseigenschaft oder der subsidiäre
Schutzstatus zuzuerkennen ist, und gegen die kein Rechtsbehelf nach Kapitel V der Richtlinie 2013/32 mehr
eingelegt werden kann.

45 Aus denselben Gründen wie den in Rn. 43 des vorliegenden Urteils dargelegten kann eine Entscheidung des Königreichs Dänemark über einen Antrag auf internationalen Schutz nicht unter diese Definition fallen.

46 In Anbetracht dessen ergibt sich – unbeschadet der davon zu unterscheidenden Frage, ob der Begriff "Folgeantrag" auf einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz anwendbar ist, der in einem Mitgliedstaat gestellt wird, nachdem ein anderer Mitgliedstaat als das Königreich Dänemark einen früheren Antrag durch eine bestandskräftige Entscheidung abgelehnt hat – aus der Gesamtbetrachtung der Buchst. b, e und q von Art. 2 der Richtlinie 2013/32, dass ein in einem Mitgliedstaat gestellter Antrag auf internationalen Schutz nicht als "Folgeantrag" eingestuft werden kann, wenn er gestellt wird, nachdem das Königreich Dänemark einen entsprechenden Antrag desselben Antragstellers abgelehnt hat. [...]

55 Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 33 Abs. 2 Buchst. d der Richtlinie 2013/32 in Verbindung mit Art. 2 Buchst. q dieser Richtlinie sowie mit Art. 2 des Protokolls über die Position Dänemarks dahin auszulegen ist, dass er der Regelung eines anderen Mitgliedstaats als des Königreichs Dänemark entgegensteht, wonach ein Antrag auf internationalen Schutz im Sinne von Art. 2 Buchst. b der Richtlinie 2013/32 ganz oder teilweise als unzulässig abgelehnt werden kann, der in diesem Mitgliedstaat von einem Drittstaatsangehörigen oder einem Staatenlosen gestellt wird, dessen früherer, im Königreich Dänemark gestellter Antrag auf internationalen Schutz von letzterem Mitgliedstaat abgelehnt wurde. [...]