VG Bremen

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Zitieren als:
VG Bremen, Urteil vom 05.09.2022 - 4 K 1320/20 - asyl.net: M30939
https://www.asyl.net/rsdb/m30939
Leitsatz:

Abschiebungsverbot hinsichtlich Nigerias wegen PTBS und drohender Verelendung:

1. Im Zuge der Corona-Pandemie wurde die nigerianische Wirtschaft schwer vom Verfall des Erdölpreises getroffen. Die wirtschaftliche Lage ist problematisch und die finanzielle Lage der breiten Bevölkerung schlecht. 40 Prozent der Bevölkerung leben in absoluter Armut.

2. Der an einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) und einer depressiven Symptomatik leidende Kläger ist derart in seiner Erwerbsfähigkeit gemindert, dass es ihm nicht möglich sein wird, auf dem hart umkämpften Arbeitsmarkt Nigerias Fuß zu fassen. Er würde deshalb in eine Situation extremer materieller Not geraten.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Nigeria, Krankheit, psychische Erkrankung, Posttraumatische Belastungsstörung, Existenzminimum, Existenzgrundlage, Depression, medizinische Versorgung, Attest, Erwerbstätigkeit, depressive Symptomatik,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 5, EMRK Art. 3, GR-Charta Art. 4,
Auszüge:

[...]

Ausgehend hiervon würde der Kläger bei einer Rückkehr nach Nigeria zur Überzeugung des Einzelrichters absehbar in eine Situation extremer materieller Not geraten.

Die allgemeine wirtschaftliche Lage in Nigeria ist nach den zur Verfügung stehenden Erkenntnismitteln problematisch. Im Zuge der Auswirkungen der Corona-Pandemie wurde die nigerianische Wirtschaft schwer vom Verfall des Erdölpreises als wichtigstes Wirtschaftsprodukt getroffen. Speziell für die breite Bevölkerung ist die finanzielle Lage in Nigeria schlecht. Die Einkommen sind stark ungleich verteilt, 40 Prozent der Bevölkerung leben in absoluter Armut. [...]

Ausgehend von dieser Erkenntnislage und angesichts des schlechten Gesundheitszustandes des Klägers ist zur Überzeugung des Einzelrichters davon auszugeben, dass der Kläger ganz erhebliche Schwierigkeiten hätte, auf dem bei hoher Arbeitslosigkeit hart umkämpften Arbeitsmarkt (wieder) Fuß zu fassen. Der Kläger leidet ausweislich der von ihm vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen an einer posttraumatischen Belastungsstörung, ausgeprägten Schlafstörungen, häufigen Alpträumen und tagsüber unter erhöhter Schreckhaftigkeit und dem Auftauchen intrusiver Bilder. Daneben bestehe noch eine depressive Kernsymptomatik mit allgemeiner Schwäche, Gefühlen von Perspektiv- und Hoffnungslosigkeit und erheblichen Defiziten in der Handlungsfähigkeit. Medikamentös behandelt werde er mit Amitriptylin sowie nach Verschlechterung der Symptomatik ergänzend mit Quetiapin. [...]

Er ist aufgrund der von ihm glaubhaft dargelegten psychischen Beschwerden fortwährend in ambulanter psychiatrischer Behandlung und wird deswegen gegenwärtig auch in Bremen therapiert. Obgleich er sich gegenwärtig in ärztlicher Behandlung befindet und eine Therapie absolviert, ist er beruflich nur in eingeschränktem Maße belastbar. Er hatte bereits vor seiner Ausreise Probleme, seinen Unterhalt in Nigeria zu bestreiten und war zeitweise obdachlos. Die von ihm dargelegten psychischen Beschwerden entstanden nach seinen glaubhaften Angaben in der mündlichen Verhandlung erst nach seiner Ausreise aus Nigeria. Der Kläger wäre in Nigeria nunmehr auf die Fortsetzung der ärztlichen Behandlung sowie der Therapie angewiesen. Diese dürften für den vermögenslosen Kläger angesichts der Erkenntnistage des Gerichts kaum erreichbar sein, so dass eine weitere Verschlechterung seines Gesundheitszustands zu befürchten wäre. Hiermit ginge absehbar eine weitere Minderung seiner Erwerbsfähigkeit einher. [...]