Rücknahme des subsidiären Schutzstatus wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln:
1. Bei der Auslegung des Begriffs "schwere Straftat" gemäß § 4 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AsylG, Art. 17 Abs. 1 Bst. b. QRL ist zu berücksichtigen, dass § 4 Abs. 2 S. 1 AsylG weitere Fälle benennt, die zum Ausschluss des subsidiären Schutzes bzw. gemäß § 73b Abs. 3 AsylG zu dessen Rücknahme führen (u.A. Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit). In Anbetracht dieser sehr gravierenden Taten und des Ausnahmecharakters der Ausschlussgründe ist ein erhebliches Gewicht sowohl der Straftaten als auch der schwerwiegenden Gründe für die Annahme, dass diese begangen worden sind, erforderlich.
2. Ob es sich bei einer Straftat nach § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG (Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge) um eine "schwere Straftat" in diesem Sinne handelt, ist anhand der Umstände des Einzelfalls zu beurteilen.
3. Der Einordnung des Handeltreibens mit Cannabis als "schwerer Straftat" steht weder entgegen, dass das Strafgericht den Strafrahmen (Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr) nur in geringem Maße ausgeschöpft hat (Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten auf Bewährung), noch, dass geplant ist, Cannabis zu legalisieren.
4. Dass im konkreten Fall das Schutzgut "Volksgesundheit" nicht verletzt wurde, da das Betäubungsmittel nicht in Umlauf gelangte, spielt bei der Einstufung der Tat als "schwer" keine Rolle. Denn bei der Feststellung der schweren Straftat geht es um die Unwürdigkeit des an sich Schutzberechtigten.
(Leitsätze der Redaktion)
[...]
21 Die Voraussetzungen für die Rücknahme des subsidiären Schutzes (Ziffer 1 des angefochtenen Bescheides) liegen vor. Nach § 73b Abs. 3 AsylG ist die Zuerkennung des subsidiären Schutzes unter anderem zurückzunehmen, wenn der Ausländer nach § 4 Abs. 2 AsylG von der Gewährung subsidiären Schutzes ausgeschlossen ist. Das gilt auch, wenn der Ausschlussgrund nachträglich eintritt.
22 Hier liegen Ausschlussgründe gemäß § 4 Abs. 2 AsylG vor.
23 1. Nach § 4 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AsylG ist ein Ausländer von der Zuerkennung subsidiären Schutzes ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er eine schwere Straftat begangen hat. Diese Vorschrift dient der Umsetzung von Art. 17 Abs. 1 lit. b) der Richtlinie 2011/95/EU (sog. Anerkennungs- oder Qualifikationsrichtlinie, im Folgenden: QRL). Eine Definition der "schweren Straftat" enthält die Qualifikationsrichtlinie indes nicht. Sie verweist zur Bestimmung des Sinnes und der Tragweite dieses Begriffs auch nicht ausdrücklich auf das nationale Recht (vgl. EuGH, Urt. v. 13.09.2018 - C-369/17 - <Ahmed>, juris Rn. 33). Insofern hat der Begriff der "schweren Straftat" eine autonome und einheitliche Auslegung zu erhalten, die unter Berücksichtigung ihres Kontextes und des mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgten Ziels gefunden werden muss (vgl. EuGH, a.a.O., Rn. 36). Zweck des Art. 17 Abs. 1 lit. b) QRL ist es, Personen auszuschließen, die als des subsidiären Schutzes unwürdig angesehen werden (vgl. EuGH, a.a.O., Rn. 51; vgl. zum inhaltsgleichen Begriff der "schweren Straftat" i.S.d. Art. 17 Abs. 1 lit. b) QRL in § 25 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 AufenthG auch: BVerwG, Urt. v. 25.03.2015 - 1 C 16.14 -, juris Rn. 22 ff.). Dieser Ausschlussgrund bildet eine Ausnahme von der in Art. 18 QRL aufgestellten allgemeinen Regel und ist daher restriktiv auszulegen (vgl. EuGH, a.a.O., Rn. 52). [...] Die Beurteilung hat sich an einer Vielzahl von Kriterien zu orientieren, wie unter anderem der Art der Straftat, der verursachten Schäden, der Form des zur Verfolgung herangezogenen Verfahrens, der Art der Strafmaßnahme und der Berücksichtigung der Frage, ob die fragliche Straftat in den anderen Rechtsordnungen ebenfalls überwiegend als schwere Straftat angesehen wird [...].
24 Außerdem kann zur Auslegung des Begriffs der "schweren Straftat" auf Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Begriff der "schweren nichtpolitischen Straftat" verwiesen werden (vgl. Urt. v. 16.02.2010 - 10 C 7.09 -, juris, zu § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG; Hailbronner, Ausländerrecht, 5. Update Dez. 2021, IV. Ausschlussgründe, Rn. 91). Es muss sich um ein Kapitalverbrechen oder eine sonstige Straftat handeln, die in den meisten Rechtsordnungen als besonders schwerwiegend qualifiziert ist und entsprechend strafrechtlich verfolgt wird (BVerwG, a.a.O.). [...] Ferner ist in systematischer Hinsicht zu berücksichtigen, dass § 4 Abs. 2 S. 1 AsylG weitere Fälle der Unwürdigkeit benennt und zwar Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylG) sowie Handlungen, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen verankert sind, zuwiderlaufen (§ 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylG). Im Hinblick auf diese sehr gravierenden Verhaltensweisen ist daher angesichts des vom Europäischen Gerichtshof betonten Ausnahmecharakters der Ausschlussgründe ein erhebliches Gewicht sowohl der Straftaten als auch der schwerwiegenden Gründe für die Annahme, dass diese begangen worden sind, zu fordern (vgl. VG F., Urt. v. 21.10.2020 - 7 K 2047/20 -, juris, Rn. 45).
25 2. Nach diesen Grundsätzen erfüllt die durch Urteil des Amtsgerichts T. vom 25.06.2020 (Az. X) abgeurteilte Straftat des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge vom 09.01.2020 die genannten Kriterien.
26 a) Wegen dieser Tat wurde der Kläger rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt, so dass zweifellos "schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen", dass er die Straftat begangen hat. [...]
27 b) Die abgeurteilte Tat stellt auch eine "schwere Straftat" im Sinne des § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG dar. Hierbei verbietet sich zwar eine schematische Einstufung anhand des vom nationalen Gesetzgeber vorgesehen Strafrahmens, jedoch spielt dieser für die Einordnung gleichwohl – zumindest als Indiz – eine Rolle (vgl. VG Aachen, Urt. v. 14.08.2020 - 1 K 2872/19.A -, juris Rn. 18).
28 Der nationale Gesetzgeber hat den vom Kläger verwirklichten Tatbestand (unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gem. §§ 1 Abs. 1, 3 Abs. 1, 29a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 BtMG) als Verbrechen eingestuft. Der Strafrahmen reicht nach § 29a Abs. 1 BtmG, § 38 Abs. 1 StGB von einem Jahr bis zu 15 Jahren; bei – wie hier – Annahme eines minder schweren Falls nach § 29a Abs. 2 BtMG von Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren, wobei sich hierdurch an der vom Gesetzgeber vorgenommenen Einstufung des Delikts als Verbrechen nichts ändert (vgl. § 12 Abs. 3 StGB).
29 Des weiteren hat der Gesetzgeber – was ebenfalls für die Annahme einer "schweren" Straftat spricht – den Tatbestand als Katalogtat in den Katalog des § 100a StPO aufgenommen, der die eingriffsintensive verdeckte Ermittlungsmaßnahme der Telefonüberwachung zulässt (vgl. § 100a Abs. 2 Nr. 7b StPO). Auch im Katalog der (noch eingriffsintensiveren) verdeckten Ermittlungsmaßnahmen der Online-Durchsuchung (§ 110b StPO) sowie der akustischen Wohnraumüberwachung (§ 100c StPO) ist der Tatbestand enthalten – und zwar unabhängig davon, ob ggf. ein minder schwerer Fall vorliegt. [...]
30 Hinsichtlich der "Art der Straftat" ist zudem darauf abzustellen, dass mit dem strafbewehrten Verbot des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln verhindert werden soll, dass es zu "Opfern der Drogensucht" kommt. Von dem unerlaubten Handeltreiben mit einer größeren Menge von Cannabisprodukten gehen erheblich größere Gefahren aus als bspw. vom Erwerb kleinerer Mengen (zum Eigenkonsum). Den Händlern soll aus Sicht des Gesetzgebers entschieden entgegengetreten werden, da diese "die Nachfrage wecken und unterhalten", die "Schwäche und psychische Abhängigkeit anderer ausbeuten" und – "allein aus eigennützigen Gründen – zu einer unkontrollierten Verbreitung der Droge Cannabis beitragen" (vgl. BGH, Beschl. v. 20.12.1995 - 3 StR 245/95 -, juris Rn. 21). Dem geschützten Rechtsgut der "Volksgesundheit" kommt ein hoher Rang zu. [...]
31 Zwar ist im konkreten Fall eine Verletzung des Schutzgutes "Volksgesundheit" nicht erfolgt, da die Betäubungsmittel beim Kläger sichergestellt worden und nicht in Umlauf gelangt sind, mithin keinen Schaden angerichtet haben; jedoch spielt dies nach Auffassung des Gerichts bei der Frage, ob die Tat als "schwer" einzustufen ist, keine Rolle. Denn bei der Feststellung der "schweren Straftat" geht es um die "Unwürdigkeit" des an sich Schutzberechtigten. Der Umstand der Sicherstellung ist demgegenüber ein bloßer Zufall, der zwar die Folgen der Straftat abmildert (und damit strafmildernd zu berücksichtigen ist), aber nicht das Verhalten des Klägers in einem "milderen Licht" erscheinen lässt, an seiner "Unwürdigkeit" somit nichts ändert. [...]
32 Das Gericht teilt auch nicht die Ansicht, dass der Einordnung als "schwere Straftat" entgegensteht, dass der Strafrichter den Strafrahmen nur in geringem Maße ausgeschöpft hat (so aber OVG Bremen, Urt. v. 10.05.20211 - 1 A 306/10, 1 A 307/10 -, juris Rn. 112), denn – wie aufgezeigt – sind bei der Strafzumessung auch Umstände zu berücksichtigen, die vom Verhalten des Täters unabhängig sind und deswegen auf die Frage seiner "Unwürdigkeit" keinen Einfluss haben können. [...]
34 Der Annahme einer "schweren Straftat" steht schließlich nicht entgegen – worauf der Klägervertreter hingewiesen hat – dass derzeit die "Legalisierung von Cannabis" diskutiert wird. Zum einen sind zum maßgebenden Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung entsprechende Regelungen noch nicht erlassen, zum anderen dürfte die vom Kläger begangenen Straftat auch künftig eine Straftat bleiben. [...]