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VG Freiburg

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Zitieren als:
VG Freiburg, Beschluss vom 26.07.2022 - A 1 K 1805/22 - asyl.net: M30915
https://www.asyl.net/rsdb/m30915
Leitsatz:

Eilrechtsschutz gegen Dublin-Überstellung wegen systemischer Mängel in Kroatien:

"Es ist ernsthaft zu befürchten, dass (auch) Antragsteller, die von Deutschland aus im Rahmen des Dublin-Systems nach Kroatien überstellt werden, von dort aus ohne Durchführung eines Asylverfahrens nach Bosnien-Herzegowina bzw. nach Serbien abgeschoben werden (Anschluss an VG Braunschweig, Urteil vom 24.05.2022 - 2 A 26/22 - [asyl.net: M30527])."

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Kroatien, Dublinverfahren, systemische Mängel, Zurückschiebung, Zurückweisung, Non-Refoulement, Dublin III-Verordnung, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung, Europäische Menschenrechtskonvention, Refoulement,
Normen: VO 604/2013 Art. 3 Abs. 2, EMRK Art. 3, GR-Charta Art. 4, GR-Charta Art. 19, GFK Art. 33 Abs. 1, AsylG § 34a Abs. 1, AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1,
Auszüge:

[...]

7 Die Abschiebungsanordnung erweist sich hier bei summarischer Prüfung im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung voraussichtlich als rechtswidrig.

8 [...] Denn aus Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 Dublin-III-VO folgt, dass ein Antragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat nicht überstellt werden darf, wenn es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 GR-Charta mit sich bringen. [...]

12 Nach diesen Grundsätzen und der derzeit vorhandenen Erkenntnislage ist es geboten, wegen eines drohenden Verstoßes gegen den Non-Refoulement-Grundsatz von einer Überstellung nach Kroatien abzusehen.

13 Nach Lage der Akten ist ernsthaft zu befürchten, dass der Antragsteller von Kroatien aus ohne Durchführung eines Asylverfahrens nach Bosnien-Herzegowina und von dort aus weiter nach Serbien abgeschoben wird. Dies ist umso bedenklicher, als Zweifel daran bestehen, dass Serbien die aus der GFK folgenden Verpflichtungen einhält (vgl. hierzu nur VG Berlin, Urteil vom 25.04.2016 - 23 K 26/16 -, juris, Rn. 19 m.w.N.).

14 Die Kammer schließt sich nunmehr der Beurteilung des Verwaltungsgerichts Braunschweig an, das in seinem Urteil vom 24.05.2022 – 2 A 26/22 – (juris, Rn. 34) unter Auswertung aktueller Erkenntnismittel festgestellt hat, dass es in Kroatien nicht nur an der EU-Außengrenze seit Langem und in erheblichem Umfang zu gewaltsamen "Push-backs", dem Abdrängen von Asylbewerbern nach Serbien oder Bosnien-Herzegowina, kommt. Vielmehr sind auch Kettenabschiebungen nach Bosnien-Herzegowina von Österreich, Italien oder Slowenien hinreichend belegt. Folglich ist nicht sichergestellt, dass im Wege des Dublin-Verfahrens von Deutschland an Kroatien rücküberstellte Asylsuchende nicht ebenfalls Opfer von Kettenabschiebungen nach Bosnien-Herzegowina oder Serbien werden könnten und ihr Recht auf Asylantragstellung dadurch vereitelt würde (vgl. zuvor bereits VG Saarland, Beschluss vom 29.10.2020 - 5 L 762/20 -, juris, Rn. 53, das unter Abrücken von seiner vormaligen Rechtsprechung die Überstellung nach Kroatien nur bei Vorliegen einer Zusicherung für zulässig erachtet, in der die Achtung des Non-Refoulement-Grundsatzes versichert wird). [...]

38 Dass es sich hierbei nicht um eine rein theoretische Gefahr handelt, sondern es tatsächlich zu Kettenabschiebungen aus dem Gebiet der Mitgliedstaaten hinaus gekommen ist, wird durch Entscheidungen des Landesverwaltungsgerichts Steiermark (Erkenntnis vom 01.07.2021 - LVwG 20.3-2725/202) und des slowenischen Verwaltungsgerichts (vgl. Council of Europe Commissioner for Human Rights, Third party intervention, EGMR No. 18810/19 u. a., 22.12.2020, Rn. 16 mit Fn. 13) belegt, die feststellen mussten, dass die von den slowenischen Behörden nach Kroatien überstellten Betroffenen von dort weiter bis nach Bosnien-Herzegowina abgeschoben worden sind. [...]