OVG Mecklenburg-Vorpommern

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Zitieren als:
OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 22.06.2022 - 4 LZ 139/22 - asyl.net: M30900
https://www.asyl.net/rsdb/m30900
Leitsatz:

Verletzung rechtlichen Gehörs durch Verhandlung bei krankheitsbedingter Abwesenheit:

1. Wurde nach telefonischer Ankündigung und unter umgehender Vorlage einer ärztlichen Bescheingung vorgetragen, dass die Klägerin am Tag der mündlichen Verhandlung reise- und verhandlungsunfähig war, ist nicht nachvollziehbar, dass ein Verwaltungsgericht den Antrag auf Verlegung des Termins ablehnt und in Abwesenheit der Klägerin verhandelt.

2. Ein Gehörsverstoß liegt bei anwaltlich vertretenen Beteiligten vor, wenn gewichtige Gründe substantiiert vorgetragen werden, die eine Anwesenheit in der mündlichen Verhandlung zur Aufklärung des Sachverhalts oder zur effektiven Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung erforderlich erscheinen lassen. Sofern ein Sachverhalt streitig und nicht ausermittelt ist (hier: die Möglichkeit staatlichen Schutzes vor Gewalt und die Zumutbarkeit internen Schutzes in der Ukraine), muss die Möglichkeit gegeben werden, dazu persönlich in der mündlichen Verhandlung vorzutragen.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Asylverfahren, Terminverlegung, mündliche Verhandlung, Verlegungsantrag, rechtliches Gehör, Erkrankung, Krankheit, interner Schutz, Schutzbereitschaft, Schutzfähigkeit, Ukraine,
Normen: ZPO § 227 Abs. 2, VwGO § 173 S. 1, GG Art. 103 Abs. 1,
Auszüge:

[...]

Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung ist begründet.

Das rechtliche Gehör der Kläger (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO) wurde dadurch verletzt, dass das Verwaltungsgericht den Antrag auf Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung abgelehnt und in Abwesenheit der Klägerin zu 1. verhandelt hat. Gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO kann ein Termin aus erheblichen Gründen verlegt werden. Die Vorschrift dient unter anderem dazu, den Beteiligten die sachgerechte Wahrnehmung ihrer Rechte im Prozess durch schriftsätzlichen und mündlichen Vortrag zu ermöglichen, so dass ihre Verletzung den Anspruch auf rechtliches Gehör berührt.

Es obliegt dabei dem Kläger, die Hinderungsgründe möglichst noch vor dem Termin schlüssig und substantiiert darzulegen, so dass das Gericht in die Lage versetzt wird, das Vorliegen eines erheblichen Grundes zu beurteilen und gegebenenfalls eine (weitere) Glaubhaftmachung gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 227 Abs. 2 ZPO zu verlangen (BVerwG, Beschl. v. 21.12.2009 - 6 B 32/09 -, juris Rn. 3 f.). Das ist geschehen. Die Kläger haben nach telefonischer Ankündigung und unter umgehender Vorlage von ärztlichen Bescheinigungen vorgetragen, dass die Klägerin zu 1. am Tag des Termins reise- und verhandlungsunfähig war. Wenn das Verwaltungsgericht diese ärztlichen Erklärungen, mit denen eine Erkrankung und deren Symptomatik bescheinigt worden war, für nicht ausreichend gehalten hat, ist das für den Senat nicht nachvollziehbar.

Die Kläger konnten auch nicht darauf verwiesen werden, dass sie anwaltlich vertreten und die Anwesenheit der Klägerin zu 1. in der mündlichen Verhandlung für einen sachgerechten Vortrag nicht erforderlich war. Allerdings trifft es zu, dass die Verhinderung eines anwaltlich vertretenen Asylklägers nur dann einen erheblichen Grund i.S.v. § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO darstellt, wenn das persönliche Erscheinen des Beteiligten zur Klärung des Sach- und Streitttoffs notwendig ist oder er ein berechtigtes Interesse an der Teilnahme hat. Ein Gehörsverstoß liegt bei einem anwaltlich vertretenen Beteiligten nur dann vor, wenn gewichtige Gründe substantiiert vorgetragen werden, die eine Anwesenheit in der mündlichen Verhandlung zur Aufklärung des Sachverhalts oder zur effektiven Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung erforderlich erscheinen lassen. Dies gilt grundsätzlich auch im Asylprozess. Das bloße Anwesenheitsinteresse eines anwaltlich ausreichend vertretenen Beteiligten wird durch den Gehörsanspruch nicht geschützt (vgl. OVG Schleswig, Beschl. v. 17.05.2022 - 4 LA 371/19 -, juris Rn. 11). Die Kläger haben im Antrag auf Terminverlegung aber entsprechende Gründe vorgetragen, solche ergeben sich auch aus dem Urteil des Verwaltungsgerichts. Das Verwaltungsgericht hat mehrfach angenommen, dass die Klägerin zu 1. ihrer Pflicht zur Darlegung und Substantiierung des Sachverhalts mit Blick auf die Möglichkeit, staatlichen Schutz gegen die Übergriffe ihres Ehemannes zu erlangen bzw. zumutbaren internen Schutz außerhalb ihres Wohnortes zu finden, nicht nachgekommen ist. Ein unstreitiger und ausermittelter Sachverhalt lag nicht vor. Das Verwaltungsgericht hätte unter diesen Umständen der Klägerin zu 1. die Möglichkeit geben müssen, zur Erreichbarkeit von staatlichem Schutz und zur Zumutbarkeit von internem Schutz in der mündlichen Verhandlung vorzutragen. [...]