Keine Unzulässigkeitsentscheidung gegenüber besonders vulnerabler Familie, der in Portugal internationaler Schutz zuerkannt wurde:
1. Einer international schutzberechtigten Familie mit drei Kindern zwischen 20 Monaten und sechs Jahren, eines davon schwerbehindert und auf einen Rollstuhl angewiesen, droht in Portugal eine Art. 4 GR-Charta, Art. 3 EMRK widersprechende, weil unmenschliche Behandlung. Eine Unzulässigkeitsentscheidung gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 Asyl aufgrund der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft scheidet deshalb aus.
2. Wegen der hohen Mieten auf dem privaten Immobilienmarkt und des extrem limitierten Zugangs zu Sozialwohnungen insbesondere im Hinblick auf die besonderen Bedürfnisse des auf einen Rollstuhl angewiesenen Kindes wird es der Familie nicht möglich sein, eine angemessene Unterkunft zu finden.
(Leitsätze der Redaktion)
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Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe steht Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2013/32/EU der Ablehnung der Asylanträge der Kläger als unzulässig entgegen. Aufgrund ihres hohen Schutzbedarfs ist im konkreten Einzelfall davon auszugehen, dass die Kläger im Falle einer Abschiebung nach Portugal mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in eine Situation extremer materieller Not geraten werden und ihre elementarsten Bedürfnisse ("Bett, Brot, Seife") für einen längeren Zeitraum nicht werden befriedigen können. Den Klägern droht insbesondere die Obdachlosigkeit. [...]
Bei den Klägern einschließlich der jüngsten Tochter handelt es sich bis auf die Klägerin zu 1. um vulnerable Personen. Allein die Klägerin zu 1. ist erwachsen, gesund und arbeitsfähig. Vor allem die drei minderjährigen, 20 Monate, fünf und sechs Jahre alten Kinder sind extrem verwundbar und bedürfen daher eines besonderen Schutzes. Für Minderjährige müssen im Aufnahmestaat beispielsweise an ihr Alter angepasste Aufnahmebedingungen gewährleistet sein, um sicherzustellen, dass keine Situation von Anspannung und Angst mit besonders dramatisierenden Wirkungen für die Psyche der Kinder entsteht. [...]
Der Kläger zu 4. ist als Schwerbehinderter ebenfalls besonders schutzbedürftig. Er ist aufgrund der bei ihm vorgenommenen Oberschenkelamputation ausweislich der vorgelegten ärztlichen Bescheinigung von ... 2021 auf einen Rollstuhl angewiesen. [...]
Die Kläger bedürfen insofern eines besonderen Schutzes in einer angemessenen, auch für den Kläger zu 4. im Rollstuhl geeigneten Unterkunft, die sie in Portugal aller Wahrscheinlichkeit nicht finden werden.
Zwar erhalten anerkannte Schutzberechtigte in Portugal nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnissen sowohl eine Unterbringung als auch Zugang zum Arbeitsmarkt. Neben dem ebenfalls gewährleisteten Zugang zu freier medizinischer Versorgung sieht das Gesetz zudem eine auf Vulnerable besonders zugeschnittene medizinische Versorgung vor. [...]
Jedoch stellen die hohen Mieten auf dem privaten Immobilienmarkt, insbesondere in den Städten wie etwa Lissabon, für international Schutzberechtigte eine Herausforderung dar. Gleichzeitig ist der Zugang zu Sozialwohnungen extrem limitiert. [...]
Auch wenn Anhaltspunkte für systematische Obdachlosigkeit unter den internationalen Schutzberechtigten nicht vorliegen, gibt es gleichwohl Berichte, wonach vulnerable Personen im Jahr 2020 in zunehmendem Maße über den Mangel an geeigneten Unterkünften in Portugal geklagt haben. [...]
Die Kläger waren bei ihrem ersten Aufenthalt in Portugal in einem Haus einer arabischen Hilfsorganisation untergebracht. Während international Schutzberechtigte üblicherweise die private Unterkunft behalten, die sie während des Verfahrens gemietet haben, [...] werden die Kläger aller Voraussicht nach aufgrund ihrer Ausreise nicht wieder auf die - für den Kläger zu 4. wegen der Lage der Wohnung im zweiten Stock ohnehin ungeeigneten - Unterkunft der Hilfsorganisation zurückgreifen können, sondern werden angesichts des extremen Mangels an Sozialwohnungen eine private Unterkunft anmieten müssen.
Die Anmietung von privatem Wohnraum wird voraussichtlich daran scheitern, dass die Kläger nicht in der Lage sein werden, die Miete zu zahlen und auf Dauer zu tragen.
Dafür, dass die Kläger über eigene finanzielle Mittel verfügen, die ihnen die Anmietung von privatem Wohnraum ermöglichen würden, gibt es keinen Anhalt. Ebenso wenig können die Kläger auf ein (familiäres) Netzwerk zurückgreifen, über das sie zeitnah eine Unterkunft erhalten könnten. Allein mit den Mitteln der Sozialhilfe, auf die die Kläger Anspruch haben, werden sie unter Berücksichtigung der hohen Mietpreise in den Städten eine geeignete Wohnung nicht anmieten können, sodass sie auf die Möglichkeit der Arbeitsaufnahme angewiesen sind. [...]