Kein Visum im Eilverfahren für Familie mit Kindern aus Afghanistan zu Verwandten mit deutscher Staatsangehörigkeit:
1. Die persönliche Vorsprache ist für den Visumsantrag unverzichtbar, weil nur so die Identität überprüft werden kann und weil nur bei Original-Unterlagen eine Echtheitsprüfung möglich ist. Die Unzumutbarkeit der persönlichen Vorsprache bei einer zuständigen deutschen Auslandsvertretung außerhalb Afghanistans ist nicht ausreichend dargelegt worden.
2. Es besteht kein Anordnungsanspruch auf Aufnahme aus dem Ausland nach § 22 S. 2 AufenthG oder auf Bundesaufnahme nach § 23 Abs. 2 AufenthG. Die Betroffenen haben nicht für deutsche Einrichtungen in Afghanistan (sondern für US-amerikanische und afghanische Institutionen) gearbeitet und erfüllen damit nicht die Voraussetzungen einer Ortskraft oder von Familienangehörigen einer Ortskraft. Das zuständige Bundesinnenministerium hat bei den entsprechenden Aufnahmeentscheidungen einen breiten Beurteilungsspielraum. Die Tatsache, dass nahe Verwandte mit deutscher Staatsangehörigkeit (hier: Tochter und Schwiegersohn bzw. Schwester und Schwager) in gesicherten wirtschaftlichen Verhältnissen in Deutschland leben, begründet keinen Anordnungsanspruch.
3. Auch aus der Härtefallregelung zum Familiennachzug sonstiger Familienangehöriger nach § 36 Abs. 2 AufenthG ergibt sich kein Anordnungsanspruch. Diese Regelung ist auf seltene Ausnahmefälle beschränkt, in denen die Verweigerung des Visums schlechthin unvertretbar wäre. Dies ist nur der Fall, wenn Familienangehörige aufgrund unvorhersehbarer neuer Umstände auf die Gewährung von familiärer Lebenshilfe angewiesen sind, was hier nicht dargelegt wurde.
(Leitsätze der Redaktion; Bestätigung der vorangegangenen VG Entscheidung, Az.: VG 32 L 198/21)
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Gemessen daran haben die Antragsteller auch im Beschwerdeverfahren einen Anordnungsanspruch zur Erteilung der begehrten Visa nicht glaubhaft gemacht. [...]
Das Verwaltungsgericht hat insoweit ausgeführt, es fehlt bereits an der gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1a, § 49 Abs. 5 Nr. 5 AufenthG erforderlichen persönlichen Vorsprache der Antragsteller bei der Antragsgegnerin. [...]
Zum einen reicht es nicht aus, darauf hinzuweisen, dass die Schwierigkeiten einer Vorsprache infolge der eingetretenen Entwicklung in Afghanistan nicht den Antragstellern anzulasten seien. Denn dieser Umstand erlaubt nicht ohne weiteres den Schluss, auf das gesetzliche Erfordernis einer persönlichen Vorsprache zu verzichten, solange nicht dargetan ist, dass die Antragsgegnerin ihrerseits nicht zumutbare und ihr mögliche Organisationsentscheidungen getroffen hat, um unter den obwaltenden Umständen (die auch sie nicht zu vertreten hat) eine persönliche Vorsprache an anderen Auslandsvertretungen zu ermöglichen. Zum anderen reicht der allgemeine Hinweis auf die Sicherheitslage nicht aus, um die Annahme des Verwaltungsgerichts substantiell in Zweifel zu ziehen, wonach den Antragstellern eine Ausreise, die sie mit dem Visum ohnehin anstreben, schlechterdings und auch auf dem Landweg zum Zwecke der Vorsprache unmöglich sei.
Der Beschwerdevortrag der Antragsteller begründet unabhängig davon auch in Bezug auf die selbständig tragenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts zu Ansprüchen nach § 22 Satz 2 und § 23 Abs. 2 AufenthG keine hohe Wahrscheinlichkeit eines Anordnungsanspruchs.
Das Verwaltungsgericht hat insoweit zutreffend angenommen, dass nach § 22 Satz 2 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis aus völkerrechtlichen oder dringenden humanitären Gründen zu erteilen sei, wenn das zuständige Bundesministerium oder die von ihm bestimmte Stelle zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland die Aufnahme erklärt habe. [...]
Die dagegen angeführten Beschwerdegründe, wonach ein politisches Interesse der Antragsgegnerin bestehe bzw. bestehen müsse, die Antragsteller nach Deutschland kommen zu lassen, weil hier ihre Verwandten und deutschen Staatsangehörigen mit gesicherten wirtschaftlichen Verhältnissen wohnhaft seien, was das Ermessen auf Null reduziere, weil es politisch gewollt sei, dass Verwandte deutscher Staatsangehöriger nicht im Ausland verelendeten, geht an den zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts zu dem breiten Beurteilungsspielraum der Antragsgegnerin bei der Bestimmung und Identifizierung der politischen Interessen vorbei. [...]
Der Beschwerdevortrag der Antragsteller begründet unabhängig von der fehlenden persönlichen Vorsprache auch in Bezug auf die selbständig tragenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts zu Ansprüchen nach § 36 Abs. 2 AufenthG keine hohe Wahrscheinlichkeit eines Anordnungsanspruchs.
Das Verwaltungsgericht hat insoweit – zusammengefasst – ausgeführt, dass das Merkmal der außergewöhnlichen Härte die höchste tatbestandliche Hürde darstelle, die der Gesetzgeber aufstellen könne. Der Nachzug sonstiger Familienangehöriger sei auf seltene Ausnahmefälle beschränkt, in denen die Verweigerung des Visums und damit der Familieneinheit im Lichte von Art. 6 GG und Art. 8 EMRK grundlegenden Gerechtigkeitsvorstellungen widerspräche, also schlechthin unvertretbar wäre. [...]
Dem setzt die Beschwerde nichts Substantielles entgegen, sondern rekurriert auf die allgemeine Sicherheitslage in Afghanistan, die für alle Antragsteller, insbesondere die weiblichen, zwingend erforderlich mache, ein Visum für Deutschland zu erhalten, weil hier ihre Verwandten lebten. Dass familiäre Lebenshilfe in der Situation der Antragsteller durch die hier lebenden Verwandten unabweislich sei, nur im Bundesgebiet erbracht werden könne und die gelebte Familiengemeinschaft nur hier stattfinden könne, wird aber in Bezug auf die konkreten Umstände und die Bedeutung der Beziehung zu den beiden hier lebenden Verwandten der Antragsteller nicht näher belegt. Vor allem gehen die allgemein gehaltenen Ausführungen an der Erwägung des Verwaltungsgerichts vorbei, dass die Antragsteller ein handlungsfähiger Familienverband sind. Insgesamt kann mit der Beschwerdebegründung eine außergewöhnliche Härte im Sinne des § 36 Abs. 2 AufenthG nicht mit der notwendigen hohen Wahrscheinlichkeit begründet werden. [...]