VG Hannover

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Zitieren als:
VG Hannover, Beschluss vom 01.07.2022 - 10 B 2348/22 - asyl.net: M30833
https://www.asyl.net/rsdb/m30833
Leitsatz:

Eilrechtsschutz gegen Dublin-Überstellung nach Frankreich:

Es bestehen Anhaltspunkte dafür, dass zumindest vulnerablen Dublin-Rückkehrenden in Frankreich eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung entgegen Art. 3 EMRK, Art. 4 GR-Charta droht. Es gibt Hinweise darauf, dass Dublin-Rückkehrende keine Unterkunft finden können und gezwungen sind, auf der Straße zu leben.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Dublinverfahren, Frankreich, Dublin-III-VO, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung, Aufnahmebedingungen, besonders Schutzbedürftige, Kinder, Kleinkinder, Kindeswohl,
Normen: AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1, EMRK Art. 3, GR-Charta Art. 4, VO 604/2013 Art. 3 Abs. 2, VO 604/2013 Art. 17 Abs. 2,
Auszüge:

[...]

Um das Prinzip gegenseitigen Vertrauens entkräften zu können, muss ernsthaft zu befürchten sein, dass dem Asylbewerber aufgrund genereller defizitärer Mängel im Asylsystem des eigentlich zuständigen Mitgliedstaats mit beachtlicher, d.h. mit überwiegender Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 der EU-Grundrechtecharta droht. [...]

Es gibt aus Sicht des erkennenden Gerichts Anhaltspunkte dafür, dass solche zwingenden humanitären Gründe zumindest für vulnerable Personengruppen, zu der die minderjährige Antragstellerin mit ihrer Mutter gehört, vorliegen könnten. So weisen eine Reihe von Erkenntnismitteln darauf hin, dass Dublin-Rockkehrer nicht in der Lage sind, eine Unterkunft in Frankreich zu finden und deshalb gezwungen sind, auf der Straße zu leben. [...]

Dürfte sich diese Lage bereits für nicht vulnerable Personengruppen als schwierig gestalten, so gilt dies erst Recht für solche Menschen, die als vulnerabel anzusehen sind.[...] Zwar gibt es Initiativen seitens des französischen Staates, stärker auf die Bedürfnisse von vulnerablen Personen im Asylverfahren einzugehen. Es gibt aber nach wie vor erhebliche Probleme bei der Umsetzung dieser Initiativen (aida, country report 2021, a.a.O., S. 78 ff.), so dass gegenwärtig trotz der sicher gegebenen (punktuellen) Unterstützung von Nichtregierungsorganisationen und von sonstigen gesellschaftlichen Akteuren nicht unwahrscheinlich ist, dass die Mutter der Antragstellerin in Frankreich ihre Grundbedürfnisse (Brot, Bett, Seife) sowie die Grundbedürfnisse der Antragstellerin nicht wird decken können und mithin gemeinsam mit der Antragstellerin in Frankreich einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 der EU-Grundrechtecharta ausgesetzt wäre. [...]