VG Gelsenkirchen

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Zitieren als:
VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 28.02.2022 - 2a L 245/22.A - asyl.net: M30747
https://www.asyl.net/rsdb/m30747
Leitsatz:

Einstweiliger Rechtsschutz gegen Dublin-Bescheid wegen Eheschließung mit international Schutzberechtigten:

1. Die Wirksamkeit der Eheschließung syrischer Staatsangehöriger hängt nicht davon ab, ob sie nach deutschem Recht von Standesbeamt*innen anerkannt wurde. Aufgrund der syrischen Staatsangehörigkeit der Eheschließenden ist hinsichtlich der sachlichen Voraussetzungen das syrische Recht maßgeblich, Art. 13 Abs. 1 EGBGB.

2. Grundsätzlich lässt das syrische Recht eine Vertretung bei der Eheschließung zu.

3. Gemäß Art. 9 Dublin-III-VO muss die international schutzberechtigte Person schriftlich den Wunsch äußern, dass ihr*e Ehepartner*in das Asylverfahren in Deutschland betreibt. Das Fehlen einer solchen Erklärung ist dann unschädlich, wenn das BAMF nicht auf die Notwendigkeit dieser Erklärung hingewiesen hat und sich aus anderen Umständen ergibt, dass die international schutzberechtigte Person die Familienzusammenführung ebenfalls begehrt. Die Erklärung kann jederzeit nachgereicht werden, sobald auf die Notwendigkeit dieser Erklärung hingewiesen worden ist.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Dublinverfahren, Familieneinheit, Familienzusammenführung, Schutz von Ehe und Familie, Stellvertreterehe
Normen: VO 604/2013 Art. 9, AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1, AsylG § 34 Abs. 1, EGBGB Art. 13 Abs. 1,
Auszüge:

[...]

Zweifel an der Wirksamkeit der am 2021 erfolgten Heirat bestehen nach summarischer Prüfung nicht. Für die Frage, ob eine wirksame Eheschließung vorliegt, ist nicht maßgeblich, ob die Ehe nach deutschem Recht von einem Standesbeamten anerkannt wurde. Aufgrund der syrischen Staatsangehörigkeit der Eheschließenden ist hinsichtlich der sachlichen Voraussetzungen das syrische Recht maßgeblich, Art. 13 Abs. 1 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch (EGBGB). Hinsichtlich der Form ist bei einer Eheschließung im Ausland Art. 11 EGBGB zu beachten, wobei hier sowohl das Orts- als auch das Geschäftsrecht das syrische Recht ist, Art. 11 Abs. 1 EGBGB. Grundsätzlich lässt das syrische Recht eine Vertretung bei der Eheschließung zu, Art. 8 Abs. 1 syrisches PSG. Anhaltspunkte dafür, dass die am 2021 geschlossene Ehe unwirksam wäre, hat auch die Antragsgegnerin nicht vorgetragen. [...]

Das - derzeitige - Nichtvorliegen der weiteren Voraussetzung des Art. 9 Dublin III-VO, nämlich das Fehlen der schriftlichen Kundgabe des Ehemanns der Antragstellerin, dass auch er die Zuständigkeit Deutschlands für den Asylantrag der Antragstellerin wünscht, steht einer Annahme der Zuständigkeit Deutschlands - noch - nicht entgegen. Die Einzelrichterin geht davon aus, dass eine solche Erklärung durch die Antragstellerin jederzeit nachgereicht werden kann, sobald sie auf die Notwendigkeit ihrer Vorlage hingewiesen worden ist. Dass sie diese Erklärung bisher nicht vorgelegt hat, ist der Antragstellerin nicht vorwerfbar - und schließt die Zuständigkeit Deutschlands deshalb derzeit nicht aus -, weil die Antragstellerin entgegen Art. 4 Abs. 1 Buchst. b) Dublin III-VO vom Bundesamt als zuständiger Behörde nicht über die Kriterien für die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates nach Art. 9 Dublin III-VO unterrichtet worden ist. Weder ist die Antragstellerin zu irgendeinem Zeitpunkt während des Verfahrens aufgefordert worden, eine entsprechende Erklärung ihres Ehemanns vorzulegen, noch wurde sie nachweislich auf die Notwendigkeit einer solchen Erklärung hingewiesen. [...] Es bestehen hingegen hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass der Ehemann der Antragstellerin die Familienzusammenführung ebenfalls begehrt, da er seiner Ehefrau zum Zwecke des Asylverfahrens offensichtlich eine Kopie seiner Aufenthaltsgestattung ausgehändigt hat. [...]