OLG Hamm

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Zitieren als:
OLG Hamm, Beschluss vom 27.05.2021 - III-4 RVs 50/21 - asyl.net: M30735
https://www.asyl.net/rsdb/m30735
Leitsatz:

Verurteilung wegen Verschaffens falscher Ausweise bedarf eigenständiger Beweiserhebung und -würdigung des Gerichts:

Die Verurteilung wegen Verschaffens falscher Ausweise gemäß § 276, 276a StGB war aufzuheben, weil das Urteil keine Ausführungen zu Beweisen und Beweiswürdigung hinsichtlich der Unechtheit bzw. der Verfälschung der vom Angeklagten bei sich geführten Ausweise enthielt. Das Amtsgericht stützte sich nur auf Einlassungen des Angeklagten, einen Auslesebericht seines Mobiltelefons, sowie einen polizeilichen Ermittlungsbericht. Die Ausweisdokumente wurden weder hinsichtlich ihrer Echtheit durch eine*n Sachverständige*n untersucht, noch wurde ein*e sachverständige*r Zeug*in gehört oder die Tatmittel in Augenschein genommen. 

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: unerlaubte Einreise, Verschaffen falscher Ausweise, Urkundenfälschung, Fälschung, Ausweispapiere, gefälschter Führerschein, gefälschter Reisepass, Sachverständigengutachten, Ermittlungsbericht,
Normen: StGB § 276 Abs. 1, StGB § 276a
Auszüge:

[...]

Das Amtsgericht Münster hat den Angeklagten mit Urteil vom 01.02.2021 wegen "Verschaffens von falschen Ausweisen" zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 30,00 € verurteilt. Der Angeklagte war am 22.03.2018 von Athen nach Düsseldorf geflogen. Aufgrund des Verdachts der unerlaubten Einreise zur Arbeitsaufnahme war er bei der Einreisekontrolle am Düsseldorfer Flughafen durchsucht worden. Dabei waren in seinem Gepäck zwei pakistanische Reisepässe und ein griechischer Führerschein gefunden worden.

Nach den Feststellungen des Amtsgerichts war bei dem ersten pakistanischen Reisepass Nr. ... (ausgestellt für ...) die Nummer der Identitätskarte mittels mechanischer Rasur verändert worden. Bei dem weiteren pakistanischen Reisepass Nr. ... (ausgestellt für ...) waren die Lichtbilddatenseite und die hintere Einbandinnenseite entfernt und ausgetauscht sowie die Seiten 9 und 10 entfernt worden; ferner enthielt der zweite Reisepass zwei gefälschte griechische Grenzkontrollstempel und ein gefälschtes griechisches Visum. Bei dem griechischen Führerschein mit der Nr. ... handelte es sich laut den Feststellungen um eine Totalfälschung; dieser entsprach in druck- und sicherungstechnischer Hinsicht, in Druckbild und Druckbildverfahren und der Reaktion des Dokumentes unter UV-Licht nicht dem Referenzmaterial.

Das Amtsgericht hat aufgrund dieser Feststellungen angenommen, der Angeklagte habe den Tatbestand des Verschaffens von falschen amtlichen Ausweisen "gem. §§ 276, 276 a StGB in drei gem. § 52 StGB" tateinheitlich begangenen Fällen erfüllt. [...]

Die zulässige (Sprung-) Revision hat auf die Sachrüge hin Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht (§§ 354 Abs. 2, 349 Abs. 4 StPO). [...]

Grundsätzlich ist die Beweiswürdigung zwar Sache des Tatrichters. Das Revisionsgericht kann aber eingreifen, wenn diese rechtsfehlerhaft ist, insbesondere wenn sie Widersprüche oder erhebliche Lücken aufweist oder mit Denkgesetzen oder gesicherten Erfahrungssätzen nicht vereinbar ist. [...].

Vorliegend lässt das Urteil Beweisgründe und Beweiswürdigung zu den getroffenen Feststellungen hinsichtlich der Unechtheit bzw. der Verfälschung der drei vom Angeklagten bei sich geführten Ausweise (§ 276 Abs. 1 StGB) vollständig vermissen; dieser Mangel ist auf die Sachrüge hin zu beachten (BGH, Beschluss vom 24.06.2010, - 4 StR 260/10 -, m.w.N., - juris).

Aus der Beweiswürdigung des amtsgerichtlichen Urteils ergibt sich lediglich, dass der Sachverhalt aufgrund der geständigen Einlassung des Angeklagten sowie aufgrund der erhobenen Beweise, "insbesondere des in der Hauptverhandlung auszugsweise verlesenen Ermittlungsberichts (Bl. 99 ff.) sowie des auszugsweise verlesenen und dem Angeklagten vorgehaltenen Ausleseberichts des vom Angeklagten mit sich geführten Mobiltelefons (Bl. 298 ff.)" feststehe [...]

Nähere Angaben dazu, wie überhaupt vom Amtsgericht festgestellt worden ist, das es sich bei den verfahrensgegenständlichen Ausweispapieren tatsächlich um Fälschungen handelte bzw. an diesen Dokumenten nachträglich Manipulationen vorgenommen worden waren, fehlen indes. So bleibt insbesondere offen, wie das Amtsgericht zu dem Ergebnis gekommen ist, dass der griechische Führerschein in druck- und sicherungstechnischer Hinsicht, in Druckbild und Druckbildverfahren und der Reaktion des Dokumentes unter UV-Licht nicht dem Referenzmaterial entsprach und um welches "Referenzmaterial" es sich dabei handelte. Die drei Dokumente wurden hinsichtlich ihrer Echtheit offensichtlich weder durch einen Sachverständigen begutachtet noch wird zumindest eine Inaugenscheinnahme der Tatmittel durch das Gericht oder die Einvernahme eines entsprechend sachverständigen Zeugen erwähnt; es bleibt nach dem Urteil sogar unklar, ob die Ausweise überhaupt asserviert worden waren und dem Gericht bei der Hauptverhandlung vorlagen. [...]