VG Wiesbaden

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Zitieren als:
VG Wiesbaden, Urteil vom 28.04.2022 - 7 K 2084/19.WI.A - asyl.net: M30721
https://www.asyl.net/rsdb/m30721
Leitsatz:

Flüchtlingsanerkennung für afghanischen Polizisten:

1. Die Talibanführung hat zwar erklärt, von Vergeltungsmaßnahmen gegen ehemalige Sicherheitskräfte abzusehen, jedoch gibt es Informationen über eine "Blacklist", anhand derer Personen, die für die Regierung oder das Militär gearbeitet haben, aufgespürt werden sollen. Berichte über Hausdurchsuchungen und Übergriffe unter Anwendung von Gewalt bis hin zum Mord haben sich vermehrt.

2. Als langjähriges und höherrangiges Mitglied der afghanischen Sicherheitskräfte drohen dem Kläger Festnahme durch die Taliban und Folter bis hin zur Tötung.

(Leitsätze der Redaktion, sich anschließend an: VG Arnsberg, Urteil vom 27.12.2021 - 6 K 5268/17A - asyl.net: M30281)

Schlagwörter: Afghanistan, Berufsgruppe, Polizei, Sicherheitskräfte, Folter, Verfolgungshandlung, Taliban,
Normen: AsylG § 3 Abs. 1, AsylG § 3a Abs. 1 Nr. 1, AsylG § 3b Abs. 1 Nr. 5, AsylG § 3e Abs. 1
Auszüge:

[...]

Zwar hat die Taliban-Führung in öffentlichen Presseerklärungen mehrfach versichert, Menschenrechte zu wahren und von Vergeltungsmaßnahmen gegenüber Angehörigen der ehemaligen Regierung und Sicherheitskräften abzusehen, solange diese sich ihnen nicht widersetzen und die Autorität der Taliban akzeptieren ("Generalamnesty", vgl. EASO, Afghanistan Country Focus, Country of Origin Information Report January 2022, S. 45). Jedoch gibt es Informationen über eine seitens der Taliban erstellte "Blacklist", anhand derer Personen, die dem Verdacht unterliegen, für die Regierung oder das Militär gearbeitet zu haben, aufgespürt werden (vgl. EASO, a.a.O.). [...]

Insgesamt haben sich Berichte zu Hausdurchsuchungen und Übergriffen - auch unter Anwendung von Gewalt bis hin zur Ermordung – vermehrt (vgl. VG Arnsberg, Urteil vom 27.12.2021 - 6 K 5268/17 - m.w.N.; VG Freiburg (Breisgau), Urteil vom 21.09.2021 - A 14 K 9391/17; VG München, Urteil vom 13.04.2022 - M 15 K 20.31916 -; EASO, a.a.O.).

Der Kläger fällt unter die soeben beschriebene gefährdete Personengruppe, da er viele Jahre bei der afghanischen Polizei in verschiedenen Provinzen tätig war. Er war Angehöriger der afghanischen Sicherheitskräfte zuletzt im Offiziersrang eines Majors. Dies ist den Taliban auch bekannt. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan unterliegt der Kläger daher einer rechtserheblichen Verfolgung durch die Taliban, die ihm zumindest unterstellen, dass er als langjähriger Angehöriger der afghanischen Polizei das politische Programm der Taliban ablehnt. Der Kläger musste daher bei seiner Rückkehr nach Afghanistan wegen einer ihm durch die Taliban zumindest zugeschriebenen politischen Anschauung im Sinne des § 3 AsylG mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit Erfolg rechnen. Die drohenden Maßnahmen - insbesondere Festnahme durch die Taliban und Folter bis hin zu einer Tötung, sind als Verfolgungshandlungen im Sinne des § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG zu qualifizieren. Diese Verfolgungshandlungen werden zudem auf eine dem Kläger durch die Taliban zumindest zugeschriebene politische Anschauung im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG i.V.m. § 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG gestützt. [...]