VG Augsburg

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Zitieren als:
VG Augsburg, Beschluss vom 21.04.2022 - Au 8 S 22.50098 - asyl.net: M30681
https://www.asyl.net/rsdb/m30681
Leitsatz:

Kein Eilrechtsschutz gegen Dublin-Überstellung nach Polen:

1. Dass die polnischen Behörden erklärt haben, keine Überstellungen im Rahmen der Dublin-III-VO mehr entgegenzunehmen, beeinflusst die Rechtmäßigkeit des Bescheids nicht. Insbesondere steht dieser Umstand der Annahme des BAMF, dass gemäß § 34a Abs. 1 AsylG feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann, nicht entgegen. Dem BAMF ist insofern ein weiter behördlicher Prognose-Spielraum einzuräumen und der Grundsatz gegenseitigen Vertrauens zu beachten.

2. Es sind keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass in Polen wegen systemischer Schwachstellen im Asylverfahren oder in den Aufnahmebedingungen eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung drohen würde.

(Leitsätze der Redaktion; andere Ansicht: VG Aachen, Beschluss vom 18.03.2022 - 6 L 156/22.A - asyl.net: M30526)

Siehe auch:

Schlagwörter: Dublinverfahren, Polen, Abschiebungsanordnung, Ukraine-Flüchtlinge, Ukraine,
Normen: AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1, AsylG § 34a Abs. 1, VO 604/2013 Art. 3 Abs. 2,
Auszüge:

[...]

Soweit die polnischen Behörden, wie aus anderen Verfahren bekannt, mit Schreiben vom 25. Februar 2022 vorsorglich erklärt haben, dass Überstellungen im Rahmen der Dublin-III-Verordnung ab sofort zunächst nicht mehr entgegengenommen würden, um den aus dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine am 24. Februar 2022 resultierenden erheblichen Flüchtlingsbewegungen gerecht zu werden, ändert dies an der Prognose des Bundesamtes nichts. Es ist nicht davon auszugehen, dass sich die Aufnahme- und Lebensbedingungen in Polen innerhalb der Überstellungsfrist von sechs Monaten (die wegen der Stellung des Eilantrags nach - negativer - gerichtlicher Entscheidung wieder neu zu laufen beginnt) so weitreichend verändern und verschlechtern, dass von einer ernsthaften Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GRC bzw. im Sinne von § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK auszugehen wäre. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass in Anbetracht der erheblichen Anzahl von etwa zwei Millionen bereits in Polen lebender Ukrainer nach Polen geflüchtete Ukrainer zunächst auf private Kontakte zurückgreifen oder private Unterstützungsleistungen erhalten. Im Übrigen hat Polen zusätzliche Aufnahmezentren zur Aufnahme von Kriegsflüchtlingen eingerichtet (vgl. tagesschau.de vom 24.2.2022: Polen richtet Zentren für Flüchtlinge ein, www.tagesschau.de/ausland/europa/polen-reaktionen-ukrainekrieg101.html; Aleksandra Syty, Tausende Polen helfen Ukrainern auf der Flucht, 1.3.2022, www.mdr.de/nachrichten/welt/osteuropa/politik/ukraine-polen-fluechtlinge-hilfe100.html). Hinzu kommt, dass von europäischer Seite Hilfen für von dem Flüchtlingsstrom besonders betroffene Länder wie Polen erwartet werden (vgl. tagesschau.de vom 3.3.2022: EU einig bei Schutzstatus für Flüchtlinge, www.tagesschau.de/ausland/europa/eu-schutzstatus-fluechtlinge-ukraine101.html ). Vor diesem Hintergrund ist die Prognose des Bundesamtes, dass weiterhin mit großer Wahrscheinlichkeit feststehe, dass Polen seine Verpflichtung zur Aufnahme des Antragstellers innerhalb der Überstellungsfrist erfüllen werde, bei summarischer Prüfung unter Zugeständnis eines weiten behördlichen Prognosespielraums und der Beachtung des Grundsatzes gegenseitigen Vertrauens nicht zu beanstanden (ebenso: VG Braunschweig, B.v. 1.4.2022 - 6 B 48/22 - juris; VG Osnabrück, B.v. 31.3.2022 - 5 B 38/22 - juris; VG München, B.v. 21.3 2022 - M 5 S 22.50140 - juris VG Lüneburg, B.v. 8.3.2022 - 5 B 23/22 - juris; a.A. VG Aachen, B. v. 18.3.2022 - 6 L 156/22.A - juris). [...]

bb) Ausgehend von den vorstehend dargestellten Grundsätzen sind für das Gericht unter Berücksichtigung der aktuellen Erkenntnislage keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Antragsteller bei einer Überstellung nach Polen wegen dort bestehender systemischer Schwachstellen im Asylverfahren oder in den Aufnahmebedingungen eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art 3 EMRK bzw. Art. 4 GRC drohen würde. Es wird insoweit gemäß § 77 Abs. 2 AsylG auf die Gründe des Bescheids vom 17. März 2022 Bezug genommen, welche sich in vertiefter Weise mit dem Nichtvorliegen systemischer Mängel im polnischen Asylverfahren auseinandersetzen. Auch in der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit wird diese Einschätzung überwiegend geteilt (VG Frankfurt (Oder), Gb. v. 16.3.2021 - 2 K 885/19.A - juris VG Ansbach, B.v. 20.7.2021 - AN 18 S 20.50221 - juris: VG Augsburg. B.v. 21.5.2019 - Au 6 S 19.50444 - juris). [...]