VG Dresden

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Zitieren als:
VG Dresden, Beschluss vom 25.02.2022 - 13 L 100/22.A (Asylmagazin 7-8/2022, S. 256 f.) - asyl.net: M30656
https://www.asyl.net/rsdb/m30656
Leitsatz:

Zuständigkeit der Bundespolizei bei Asylgesuch nur im grenznahen Raum und bei Zurückschiebung in angrenzenden Mitgliedstaat:

1. Die Zuständigkeit der Bundespolizei ist im Falle eines Asylgesuchs nur gegeben, wenn Drittstaatsangehörige im grenznahen Raum in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit einer unerlaubten Einreise angetroffen werden (wenn also zu prüfen ist, ob eine Zurückschiebung in Betracht kommt) und Anhaltspunkte dafür bestehen, dass ein an das Bundesgebiet angrenzender Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist. Andernfalls ist allein das BAMF für den Erlass der Überstellungsentscheidung zuständig.

2. Die Regelung, dass die Grenzbehörde für Zurückweisungen und Zurückschiebungen wie auch für Überstellungen aufgrund der Dublin III-Verordnung zuständig ist, wenn Drittstaatsangehörige im grenznahen Raum in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit einer unerlaubten Einreise angetroffen werden (§ 71 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG), bezieht sich nur auf Fälle, in denen bei der Grenzbehörde nicht um Asyl nachgesucht wurde.

(Leitsätze der Redaktion; unter Bezug auf VG München, Beschluss vom 04.05.2021 - M 22 E 21.30294 (Asylmagazin 7-8/2021, S. 292 ff.) - asyl.net: M29620)

Schlagwörter: Lettland, Polen, unerlaubte Einreise, Asylantrag, Zurückschiebung, Zuständigkeit, Bundespolizei, grenznaher Raum, Grenzbehörde, Zurückweisung, Grenzkontrolle, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Abschiebungsanordnung,
Normen: AsylG § 18 Abs. 3, AsylG § 18 Abs. 2, AsylZBV § 3 Abs. 1, AsylG § 34a, AufenthG § 71 Abs. 3,
Auszüge:

[...]

Beim Erlass der streitgegenständlichen Zurückschiebungsverfügung vom 27. Januar 2022 hat die Antragsgegnerin jedoch übersehen, dass eine Zuständigkeit der Grenzbehörden, zu denen die Bundespolizei gehört, nach § 18 Abs. 3 AsylG, gemäß § 3 Abs. 1 der Verordnung zur Neufassung der Asylzuständigkeitsbestimmungsverordnung (AsylZBV) vom 2. April 2008 (BGBl. I S. 645) nur für den Fall gegeben ist, dass ein Drittstaatsangehöriger im grenznahen Raum in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit einer unerlaubten Einreise angetroffen wurde (wenn also zu prüfen ist, ob eine Zurückschiebung in Betracht kommt) und Anhaltspunkte dafür bestehen, dass dieser oder ein anderer (an das Bundesgebiet) angrenzender Mitgliedstaat nach dem Dubliner Übereinkommen oder der einschlägigen Dublin-Verordnung zuständig ist (vgl. § 3 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 1 und 3 AsylZBV). Das bedeutet also, dass nach der in der Asylzuständigkeitsbestimmungsverordnung getroffenen Regelung – mit Ausnahme des (hier nicht gegebenen) Falles der beabsichtigten Überstellung in einen Nachbarstaat (hier wäre dies Polen gewesen) – allein das BAMF für den Erlass der Überstellungsentscheidung zuständig ist, wobei nach dem Regelungskonzept des Asylgesetzes die Funktion der Überstellungsentscheidung der Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylG zukommt, wenn die Grenzbehörde zuständig ist. Die Regelung des von der Antragsgegnerin in den Blick genommenen § 71 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG, nach der die Grenzbehörde für die Zurückweisungen und Zurückschiebungen, einschließlich der Überstellung aufgrund der Dublin III-Verordnung zuständig ist, wenn der Ausländer im grenznahen Raum in unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit einer unerlaubten Einreise angetroffen wird, bezieht sich dagegen nur auf die Fälle der §§ 15 und 57 AufenthG, wenn also der Betroffene bei der Grenzbehörde nicht um Asyl nachgesucht hat. Eine solche Fallgestaltung lag hier aber nicht vor, da der Antragsteller bei der Grenzbehörde unbestritten um Asyl nachgesucht hat und mithin nicht die §§ 15 Abs. 1 oder 57 Abs. 2 AufenthG einschlägig waren, sondern, wie das mit dem Erlass des Bescheides des BAMF vom 15. Februar 2022 auch erfolgt ist, für die Durchführung des Wiederaufnahmeverfahrens und den Erlass der Überstellungsentscheidung hier allein das BAMF zuständig ist (vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 1 und 3 AsylZBV) (vgl. hierzu insgesamt auch VG München, Beschl. v. 4. Mai 2021 – M 22 E 21.30294 -, juris, Rn. 41 ff. [60 bis 63, 83 f.). In diesem Zusammenhang hat die Antragsgegnerin auch die Vorschrift des § 15 Abs. 4 Satz 2 AufenthG übersehen, nach der ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat (wie es im vorliegenden Fall der Antragsteller), nicht zurückgewiesen werden darf, solange ihm der Aufenthalt im Bundesgebiet nach den Vorschriften des Asylgesetzes gestattet ist (vgl. § 55 Abs. 1 Satz 1 AsylG – Aufenthaltsgestattung). [...]