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VG Hamburg

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Zitieren als:
VG Hamburg, Beschluss vom 06.04.2022 - 15 K 3103/21 - asyl.net: M30617
https://www.asyl.net/rsdb/m30617
Leitsatz:

Prozesskostenhilfe für Feststellungsklage wegen Eindringens in die Wohnung zum Zweck der Abschiebung:

1. Ob es Fälle des Eindringens in eine Wohnung zum Zweck des Auffindens und Ergreifens einer Person gibt, die nicht als eine unter Richtervorbehalt stehende Durchsuchung gemäß Art. 13 Abs. 2 GG anzusehen sind oder zumindest so in die Nähe einer Durchsuchung gelangen, dass Art. 13 Abs. 2 GG - im Wege der verfassungskonformen Auslegung - Anwendung finden muss, wird unterschiedlich beurteilt.

2. Es stellt sich die Frage, ob eine verfassungskonforme Auslegung der Betretensbefugnis nach § 58 Abs. 5 AufenthG möglich ist oder ob die Norm als verfassungswidrig anzusehen ist.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Wohnungsdurchsuchung, Abschiebung, Aufnahmeeinrichtung, Prozesskostenhilfe, Durchsuchung, Betreten,
Normen: GG Art. 13 Abs. 2, GG Art. 13 Abs. 1, GG Art. 13 Abs. 7, AufenthG § 58 Abs. 5, AufenthG § 58 Abs. 6,
Auszüge:

[...]

Nach diesen Grundsätzen hat die Klage hinreichende Erfolgsaussichten. [...]

Nach dem neu geschaffenen § 58 Abs. 5 AufenthG kann, soweit der Zweck der Durchführung der Abschiebung es erfordert, die die Abschiebung durchführende Behörde die Wohnung des abzuschiebenden Ausländers zu dem Zweck seiner Ergreifung betreten, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass sich der Ausländer dort befindet. Der Richtervorbehalt aus § 58 Abs. 8 AufenthG gilt nach seinem Wortlaut für Maßnahmen nach § 58 Abs. 5 AufenthG gerade nicht, sondern nur für Durchsuchungen i.S.d. § 58 Abs. 6 AufenthG.

Auch auf Basis dieser aktuellen Rechtslage unter Geltung der § 58 Abs. 5 bis 10 AufenthG stellen sich jedoch weiterhin schwierige Rechtsfragen, die nicht bereits im Prozesskostenhilfeverfahren zu behandeln sind, sondern dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.

Ob es überhaupt Fälle des Eindringens in eine Wohnung gegen den Willen des Wohnungsinhabers zum Zweck des Auffindens und Ergreifens einer Person gibt, die nicht als Durchsuchung im Sinne von Art. 13 Abs. 2 GG mit der Folge eines verfassungsrechtlich angeordneten Richtervorbehalts anzusehen sind oder zumindest so in die Nähe einer Durchsuchung gelangen, dass Art. 13 Abs. 2 GG - im Wege der verfassungskonformen Auslegung - Anwendung finden muss, wird in Rechtsprechung und Literatur unterschiedlich beurteilt (zu den unterschiedlichen Auffassungen mit ausführlichen Nachweisen: VG Düsseldorf, Beschluss vom 4.3.2021, 27 I 11/21, juris Rn. 16 ff.).

Auch stellt sich die Frage, ob insoweit noch eine verfassungskonforme Auslegung in Gestalt der direkten Anwendung des verfassungsrechtlichen Richtervorbehalts des Art. 13 Abs. 2 GG in Betracht kommt, obwohl nach dem Willen des Gesetzgebers ausdrücklich für Fälle von § 58 Abs. 5 AufenthG kein Richtervorbehalt gelten soll, oder ob die Norm als verfassungswidrig anzusehen ist (VG Düsseldorf, ebenda, mit Verweis auf Franke/Kerkemeyer, Zum verfassungsrechtlichen Durchsuchungsbegriff und der "Betretenserfaubnis" in § 58 V AufenthG, NVwZ 2020, 760, 765). [...]