OLG Düsseldorf

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Zitieren als:
OLG Düsseldorf, Beschluss vom 09.04.2020 - I-3 Wx 47/19 - asyl.net: M30581
https://www.asyl.net/rsdb/m30581
Leitsatz:

Anweisung zur Beurkundung der Geburt:

1. Lassen sich die bei der Beurkundung der Geburt einzutragenden Angaben nicht zweifelsfrei aufklären, so kann nach § 35 Abs. 1 PStV bei der Beurkundung ein Zusatz beigefügt werden, der das Fehlen des Merkmals erläutert.

2. Entsprechend ist zur Beurkundung der Geburt nicht zwingend notwendig, dass alle Personenstandsmerkmale vollständig festgestellt wurden. Vielmehr ist es ausreichend, dass die Identität des betroffenen Kindes feststeht.

3. Nach Art. 7 der UN-Kinderrechtskonvention haben Kinder das Recht auf eine unverzügliche Eintragung ihrer Geburt in ein Register. Eine pauschale Frist zur Eintragung ist nicht zu bestimmen. Vorliegend ist der zulässige Zeitraum in jedem Fall deutlich überschritten, da seit der Anzeige der Geburt bereits mehr als anderthalb Jahre vergangen sind.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Geburtsurkunde, Geburtsregistereintrag, Beurkundung, Anweisungsverfahren, Identitätsfeststellung, Identität, Reisepass, Standesamt, Personenstandsrecht, Kinderrechtskonvention,
Normen: PStG § 55 Abs. 1 Nr. 4, PStG § 59, PStG § 62, UN-KRK Art.7, PStG § 10, PStG § 9, PStV § 35,
Auszüge:

[...]

Das Standesamt hat die Beurkundung der Geburt des Beteiligten zu 1 zu Unrecht nicht vorgenommen; den hierauf gerichteten Antrag hat das Amtsgericht ebenfalls zu Unrecht zurückgewiesen.

Soweit die Beteiligte zu 2 für den Beteiligten zu 1 die Anweisung des Standesamtes begehrt, eine Geburtsurkunde, hilfsweise einen Ausdruck aus dem Geburtenregister auszustellen, ist dieses Begehren auszulegen.

Die Ausstellung einer Geburtsurkunde ist nach § 55 Abs. 1 Nr. 4 und § 59 PStG ein nachgelagerter Vorgang. Sie ist an keine weiteren Voraussetzungen geknüpft, nur der Kreis der Antragsberechtigten ist gem. § 62 Abs. 1 PStG eingeschränkt (vgl. Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste, WD 3 – 3000 – 277/19, Ausstellung von Geburtsurkunden, Zweifel an der Identität der Eltern). Gleiches gilt für den beglaubigten Registerausdruck gem. § 35 PStV. [...]

Zu befinden ist daher über die Frage, ob das beteiligte Standesamt die Geburt des Beteiligten zu 1 zu beurkunden hat. Diese Frage bejaht der Senat.

Nach Art. 7 Abs. 1 UN-Kinderrechtskonvention vom 20. Nov. 1989 (BGBl. 1992 II S. 121) haben Kinder das Recht auf Eintragung in ein Geburtenregister. Danach ist das Kind unverzüglich nach seiner Geburt in ein Register einzutragen. Nach Abs. 2 dieser Regelung stellen die Vertragsstaaten die Verwirklichung dieses Rechts im Einklang mit ihrem innerstaatlichen Recht sicher. [...]

Lässt sich der Sachverhalt trotz Ausschöpfung aller zu Gebote stehenden Ermittlungsmöglichkeiten nicht aufklären und liegen dem Standesamt bei der Beurkundung der Geburt keine geeigneten Nachweise zu Angaben über die Eltern des Kindes vor, sieht § 35 Abs. 1 PStV die Möglichkeit vor, einen Zusatz aufzunehmen, der das Fehlen des Merkmals erläutert. Die Regelung in § 35 Abs. 1 PStV ist Ausdruck des sogenannten Annäherungsgrundsatzes (Annäherungsmethode), der von der Rechtsprechung bereits vor der Neuregelung des Personenstandsrechts zum 1. Jan. 2009 angewendet worden ist OLG Schleswig, FGPrax 2014, 28). Danach wurden die erwiesenen Tatsachen eingetragen, während hinsichtlich der nicht belegten eintragungspflichtigen Tatsachen die Eigenangaben übernommen und mit einem Zusatz versehen wurden, der die Beweiskraft des Eintrags entsprechend einschränkte (BGH, a.a.O., Rdnr. 20 m.N.). Die Möglichkeit der Beurkundung trotz verbleibender Unklarheiten hat der Verordnungsgeber der besonderen Regelung für die Beurkundung von Geburten in § 35 PStV zugrunde gelegt. Die – bis dahin nur in der Verwaltungsvorschrift enthaltene – Regelung berücksichtigt das Recht auf zeitnahe Beurkundung des Kindes (entsprechend den in Art. 7 UN-Kinderrechtskonvention enthaltenen Grundsätzen) und soll eine einheitliche Handhabung gewährleisten (BR-Drucksache 713/08, S. 97f.; OLG Schleswig, a.a.O.). Damit verbunden ist die Beschränkung auf die ausschließliche Erteilung eines beglaubigten Registerausdrucks als Personenstandsurkunde, § 35 Abs. 1 Satz 2 PStV, damit der Empfänger der Urkunde erkennen kann, dass die Angaben zur Person der Eltern nicht auf gesicherten Erkenntnissen beruhen und die Personenstandsurkunde hinsichtlich dieser Angaben nicht an der hohen Beweiskraft personenstandsrechtlicher Beurkundungen teilhat (BR-Drucksache, a.a.O.). [...]

Die Regelung des § 35 PStV belegt damit auch, dass nicht alle Personenstandsmerkmale für eine Beurkundung der Geburt vollständig festgestellt sein müssen und eine Eintragung sogar ohne Nachweise zu den Angaben über die Eltern erfolgen kann (BGH, a.a.O., RdNR. 27). Folglich setzt eine Beurkundung nur voraus, dass der Personenstandsfall als solcher und mithin die Identität des Betroffenen – hier des Kindes – feststehen. Verbleibt bei feststehendem Personenstandsfall auch nach erschöpfender Aufklärung durch das Standesamt und ggf. durch das Gericht hinsichtlich einzelner einzutragender Umstände eine gewisse Ungewissheit, schließt dies eine Eintragung für sich genommen (noch) nicht aus (BGH, a.a.O., RdNr. 28).

Hier hat das Standesamt die Vorlage weiterer Urkunden, insbesondere des afghanischen Reisepasses der Beteiligten zu 2 angefordert und zunächst gem. § 7 Abs. 1 Satz 1 PStV die Beurkundung der Geburt zurückgestellt sowie der Beteiligten zu 2 als Anzeigender auf deren Antrag am 8. Aug. 2018 Bescheinigungen darüber ausgestellt, dass die Geburt angezeigt wurde, aber noch nicht beurkundet werden konnte, § 7 Abs. 2 PStV. Die Zurückstellung der Beurkundung ist jedoch gem. § 7 Abs. 1 Satz 2 PStV nur für einen angemessenen Zeitraum zulässig. Danach ist sie nachzuholen, so auch hier.

Hier ist die angemessene Frist – ohne dass deren Dauer allgemein festgelegt werden müsste – inzwischen sicher abgelaufen. Würde weiter zugewartet, würden sowohl das staatliche Ordnungsinteresse an der lückenlosen Registrierung feststehender Personenstandsfälle und auch der Anspruch des betroffenen Kindes auf unverzügliche, zumindest aber zeitnahe Beurkundung missachtet. Gerade für solche Fälle ist vom Gesetzgeber offensichtlich die Beurkundung und Eintragung im Geburtenregister in Verbindung mit dem erläuternden Zusatz bei der Beteiligten zu 2 als Mutter "Identität nicht nachgewiesen" vorgesehen und dessen Vollziehung ausdrücklich angeordnet. Hiermit ist die Beteiligte zu 2 nach eigener Erklärung schon aus Juli 2018 auch einverstanden. [...]