Keine Einbürgerung unter Hinnahme der Mehrstaatigkeit wegen wirtschaftlicher Nachteile:
"1. Eine belastende Nebenbestimmung, die einem begünstigenden Verwaltungsakt beigefügt wird, darf im Anfechtungsprozess nur dann isoliert aufgehoben werden, wenn der verbleibende Verwaltungsakt für sich genommen rechtmäßig ist [...].
2. Hat die Entlassung aus der bisherigen Staatsangehörigkeit nach dem Recht des Herkunftsstaates zur Folge, dass der Einbürgerungsbewerber Rechte an einem dort gelegenen Grundstück veräußern muss, so entsteht ihm daraus nur dann ein erheblicher Nachteil im Sinn des § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 StAG, wenn der zu erwartende Erlös deutlich unter dem aktuellen Verkehrswert liegt[...].
3. Etwaige finanzielle Verluste, die auf Vermögensdispositionen beruhen, die der Einbürgerungsbewerber erst während des laufenden Einbürgerungsverfahrens oder nach Aushändigung der Einbürgerungsurkunde getroffen hat und auf die er in zumutbarer Weise hätte verzichten können, begründen keinen erheblichen Nachteil im Sinn des § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 StAG."
(Amtliche Leitsätze)
[...]
I. Die Anfechtungsklage ist zulässig. Der angegriffene Auflagenbescheid vom 30. Mai 2016, der den Eltern der Klägerinnen am 22. August 2016 mit den Einbürgerungsurkunden ausgehändigt wurde, ist selbständig anfechtbar. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung ist gegen belastende Nebenbestimmungen eines Verwaltungsakts, einschließlich der Auflage, die Anfechtungsklage gegeben. Ob diese zur isolierten Aufhebung der Nebenbestimmung führen kann, hängt davon ab, ob der begünstigende Verwaltungsakt ohne die Nebenbestimmung sinnvoller- und rechtmäßigerweise bestehen bleiben kann. Dies ist eine Frage der Begründetheit und nicht der Zulässigkeit des Anfechtungsbegehrens, sofern nicht eine isolierte Aufhebbarkeit offenkundig von vornherein ausscheidet (vgl. BVerwG, Beschluss vom 31. Januar 2019 - 8 B 10.18 -, juris, Rn. 5; Urteile vom 17. Oktober 2012 - 4 C 5.11 -, BVerwGE 144, 341, juris, Rn. 5, vom 19. November 2009 - 3 C 10.09 -, NVwZ-RR 2010, 320, juris, Rn. 12, vom 21. Juni 2007 - 3 C 39.06 -, NVwZ-RR 2007, 776, juris, Rn. 20, und vom 22. November 2000 - 11 C 2.00 -, BVerwGE 112, 221, juris, Rn. 25, jeweils m. w. N.).
Die isolierte Aufhebbarkeit des angefochtenen Auflagenbescheids vom 30. Mai 2016 scheidet nicht offenkundig von vornherein aus. Eine Einbürgerung kann nach dem Staatsangehörigkeitsgesetz grundsätzlich auch ohne Nebenbestimmungen ausgesprochen werden. Auch eine Einbürgerung unter dauerhafter Hinnahme von Mehrstaatigkeit ist unter den Voraussetzungen des § 12 StAG möglich. II. Die Klage ist unbegründet. Dabei kann dahinstehen, ob die Beklagte nach § 36 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 4 VwVfG NRW berechtigt war, die Einbürgerung der Klägerinnen mit der angefochtenen Auflage zu verbinden [...].
Der Auflagenbescheid vom 30. Mai 2016 kann unabhängig davon nicht isoliert aufgehoben werden, weil die Einbürgerung der Klägerinnen ohne die darin enthaltenen Auflagen nicht sinnvoller- und rechtmäßigerweise bestehen bleiben kann. [...]
Die Einbürgerung der Klägerinnen verstößt ohne die angefochtene Auflage, mit der die Hinnahme der Mehrstaatigkeit zeitlich begrenzt wird, gegen § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StAG, weil kein Grund für eine dauerhafte Hinnahme von Mehrstaatigkeit nach § 12 StAG vorliegt. {...]
3. Den Klägerinnen entstehen durch die Aufgabe der russischen Staatsangehörigkeit keine erheblichen Nachteile im Sinn von § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 StAG.
Nach § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 StAG ist vom Erfordernis der Aufgabe der bisherigen Staatsangehörigkeit abzusehen, wenn dem Ausländer bei der Aufgabe der ausländischen Staatsangehörigkeit erhebliche Nachteile insbesondere wirtschaftlicher oder vermögensrechtlicher Art entstehen würden, die über den Verlust der staatsbürgerlichen Rechte hinausgehen. Diese Regelung schließt aus, vom Einbürgerungsbewerber zu verlangen, die Einbürgerung in den deutschen Staatsverband durch Hinnahme erheblicher Nachteile zu "erkaufen". Der Gesetzgeber hat dabei als Nachteile, die bei Erheblichkeit eine Einbürgerung unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit rechtfertigen, solche wirtschaftlicher oder vermögensrechtlicher Art hervorgehoben, ohne sie – wie aus dem Wort "insbesondere" erkennbar – der Art nach auf solche Einbußen zu beschränken. Für das Entstehen nach § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 StAG beachtlicher Nachteile ist der Einbürgerungsbewerber darlegungs- und materiell beweispflichtig. Dies gilt sowohl für die Bezeichnung der drohenden Nachteile nach Grund und voraussichtlicher Höhe als auch für die Wahrscheinlichkeit, mit der diese bei Aufgabe der Staatsangehörigkeit einzutreten drohen, und die Unmöglichkeit, das Entstehen der Nachteile durch zumutbare Maßnahmen abzuwenden oder zu begrenzen (BVerwG, Urteil vom 30. Juni 2010 - 5 C 9.10 -, BVerwGE 137, 237, juris, Rn. 30 f. m. w. N.).
Die Aufgabe der russischen Staatsangehörigkeit hindert die Klägerinnen nicht daran, als Einzelunternehmerinnen in der Russischen Föderation tätig zu sein (dazu a). Es liegen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass den Klägerinnen durch die Aufgabe der russischen Staatsangehörigkeit sonstige erhebliche Nachteile entstehen, die über den Verlust der staatsbürgerlichen Rechte hinausgehen (dazu b). a) Die Klägerinnen können auch nach Aufgabe der russischen Staatsangehörigkeit in der Russischen Föderation als Einzelunternehmerinnen tätig sein.
Die Klägerinnen stützen ihre gegenteilige Behauptung allein auf das im Verwaltungsverfahren vorgelegte Gutachten der in Moskau ansässigen Anwaltskanzlei G. und Partner vom 22. Dezember 2010. Darin wird festgestellt, dass der Status als Einzelunternehmer gemäß Art. 22.3 Abs. 6 des Gesetzes der Russischen Föderation Nr. 129-FZ "Über staatliche Registrierung von juristischen Personen und Einzelunternehmern" vom 8. August 2001 aufzuheben ist, wenn das Aufenthaltsrecht endet, und dies daher auch für den Fall des Verlusts der russischen Staatsangehörigkeit gilt, weil dann das mit der russischen Staatsangehörigkeit verbundene Aufenthaltsrecht erlischt. Dagegen lässt sich dem Gutachten nicht entnehmen, dass die Registrierung als Einzelunternehmer den Besitz der russischen Staatsangehörigkeit voraussetzt. Im Gegenteil folgt aus dem im Gutachten zitierten Gesetzeswortlaut, dass auch ausländische Staatsangehörige als Einzelunternehmer in der Russischen Föderation tätig sein können, wenn sie über ein Dokument verfügen, dass ihnen ein befristetes oder unbefristetes Aufenthaltsrecht vermittelt (vgl. auch die englische Übersetzung von Art. 22 des Gesetzes der Russischen Föderation Nr. 129-FZ "Über staatliche Registrierung von juristischen Personen und Einzelunternehmern" vom 8. August 2001 bei www.wto.org/english/thewto_e/acc_e/rus_e/WTACCRUS58_LEG_38.pdf (zuletzt abgerufen: 22. Juni 2021)).
Die Klägerinnen haben keine Anhaltspunkte dafür vorgetragen noch ist sonst ersichtlich, dass es ihnen als deutsche Staatsangehörige nicht möglich sein könnte, nach Aufgabe der russischen Staatsangehörigkeit das für die Tätigkeit als Einzelunternehmerin erforderliche Aufenthaltsrecht zu erhalten. [...]
bb) Unabhängig davon haben die Klägerinnen nicht dargelegt, dass es für sie mit erheblichen Nachteilen verbunden wäre, auf eine Tätigkeit als Einzelunternehmerinnen in der Russischen Föderation zu verzichten. Die Klägerin zu 2. ist bislang nicht als Einzelunternehmerin in der Russischen Föderation tätig, ohne dass dies für sie mit erheblichen Nachteilen verbunden wäre. Die Klägerin zu 1. könnte die in der Russischen Föderation gelegenen Immobilien zum aktuellen Marktwert veräußern oder an ihre Eltern zurückübertragen.
Die von den Klägerinnen ohne nähere Substantiierung behauptete, einer etwaigen Veräußerung der Immobilien entgegenstehende ungünstige Entwicklung der Marktpreise und Wechselkurse führt nicht zu einem erheblichen wirtschaftlichen Nachteil, der eine dauerhafte Hinnahme von Mehrstaatigkeit rechtfertigt. Hat die Entlassung aus der bisherigen Staatsangehörigkeit nach dem Recht des Herkunftsstaates zur Folge, dass der Einbürgerungsbewerber Rechte an einem dort gelegenen Grundstück veräußern muss, so entsteht ihm daraus nur dann ein erheblicher Nachteil im Sinn des § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 StAG, wenn der zu erwartende Erlös deutlich unter dem aktuellen Verkehrswert liegt (OVG NRW, Urteil vom 26. November 2009 - 19 A 1448/07 -, NWVBl 2010, 279, juris, Rn. 55 m. w. N.).
Dies ist nach dem eigenen Vortrag der Klägerinnen nicht der Fall. Sie haben unabhängig davon nicht substantiiert vorgetragen, inwieweit der Klägerin zu 1. durch die Veräußerung der Immobilien zum jetzigen Zeitpunkt überhaupt ein wirtschaftlicher Verlust entstehen würde, den sie bei einer späteren Veräußerung oder einer dauerhaften Vermietung der Immobilien vermeiden könnte. So haben die Klägerinnen nicht dargelegt, dass die aktuelle Entwicklung der Marktlage ungewöhnlich oder Wertsteigerungen konkret zu erwarten wären. [...]
Unabhängig davon wäre es den Klägerinnen zuzumuten, das Risiko möglicher Vermögensnachteile schon bei ihren Vermögensdispositionen zu beachten und während des laufenden Klageverfahrens auf den Erwerb von Immobilien in der Russischen Föderation zu verzichten. Die Regelung des § 12 Abs. 1 Nr. 5 StAG, die die Hinnahme der vom Gesetzgeber grundsätzlich nicht gewollten Mehrstaatigkeit ermöglicht, wenn dem Einbürgerungsbewerber bei Aufgabe der ausländischen Staatsangehörigkeit erhebliche Nachteile insbesondere wirtschaftlicher oder vermögensrechtlicher Art entstehen würden, will mit der Aufgabe der ursprünglichen Staatsangehörigkeit zwingend verbundene Härten verhindern. Keine erheblichen Nachteile im Sinn dieser Vorschrift sind daher solche Folgen, die der Einbürgerungsbewerber vermeiden kann, wenn er alle ihm zumutbaren Anstrengungen zur Nachteilsabwehr oder -minderung unternimmt. Dementsprechend sind auch diejenigen wirtschaftlichen Nachteile unbeachtlich, die auf Vermögensdispositionen beruhen, die der Einbürgerungsbewerber erst während des laufenden Einbürgerungsverfahrens getroffen hat und auf die er in zumutbarer Weise hätte verzichten können [...].
Erst recht ist folglich ein wirtschaftlicher Nachteil unbeachtlich, der auf einer Vermögensdisposition beruht, die nach Aushändigung der Einbürgerungsurkunde, aber während der Geltung einer hierzu ergangenen Auflage zur Aufgabe der bisherigen Staatsangehörigkeit getroffen wurde. Die Klägerin zu 1. hätte einen etwaigen Verlust bei einer etwaigen Veräußerung der von ihren Eltern übereigneten Immobilien durch einen Verzicht auf diesen Eigentumserwerb vermeiden können. Dass ihr dieser Verzicht nicht zumutbar gewesen wäre, ist bereits mit Blick darauf nicht erkennbar, dass sie auch ohne Eigentümerin zu werden von ihren Eltern die Vermietungserlöse erhalten könnte. Vor diesem Hintergrund kann offen bleiben, ob ein wirtschaftlicher Verlust im Zusammenhang mit einer Schenkung überhaupt als erheblicher Nachteil qualifiziert werden kann. [...]