Auslegung des Wortes "Aufenthaltserlaubnis" bei zustimmungsfreier Beschäftigung wegen Voraufenthalt ist schwierige Rechtsfrage:
1. Wegen offener Erfolgsaussichten des Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Beschäftigung nach § 19c Abs. 1 AufenthG in Verbindung mit § 9 BeschV wird die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs angeordnet.
2. § 9 Abs. 1 BeschV regelt, dass die Ausübung einer Beschäftigung keiner Zustimmung der Arbeitsagentur bedarf, wenn (längere) Vorbeschäftigungs- oder Aufenthaltszeiten gegeben sind. Fraglich ist, ob "Aufenthaltserlaubnis" im Sinne dieser Norm auch Aufenthaltserlaubnisse umfasst, die kraft Gesetzes zur Ausübung einer Beschäftigung berechtigen. Das BVerwG hatte das hinsichtlich der alten Rechtslage verneint. Offen ist jedoch, ob dies auch für § 9 Abs. 1 BeschV in seiner aktuellen, seit 15. August 2019 geltenden Fassung gilt.
3. Dabei handelt es sich um eine schwierige Rechtsfrage, für deren abschließende Klärung im Eilrechtsschutzverfahren kein Raum ist.
(Leitsätze der Redaktion)
[...]
a) Nach Aktenlage dürfte es für die Klärung der Frage, ob der Antragstellerin der geltend gemachte Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Erwerbstätigkeit nach § 19c Abs. 1 AufenthG in Verbindung mit § 9 Abs. 1 BeschV zusteht, von entscheidender Bedeutung sein, ob unter dem Begriff "Aufenthaltserlaubnis" in § 9 Abs. 1 BeschV auch eine Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG beziehungsweise eine an den früheren Besitz einer solchen Erlaubnis anknüpfende Fiktion nach § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG zu verstehen ist. Sollte diese Frage zu bejahen sein, wäre die - ohne Ausübung behördlichen Ermessens erfolgte - Ablehnung des Antrags der Antragstellerin auf Erteilung einer solchen Erlaubnis voraussichtlich rechtswidrig. Dieser Mangel wäre auch bei der rechtlichen Würdigung der mit einer Abschiebungsandrohung verknüpften Aufforderung der Antragstellerin zu berücksichtigen, das Bundesgebiet zu verlassen.
Die oben angesprochene Rechtsfrage weist einen Schwierigkeitsgrad auf, der eine sachgerechte Bewältigung in einem Eilrechtsschutzverfahren ausschließt.
Das Bundesverwaltungsgericht hat zwar mit seinem Urteil vom 21. August 2018 - 1 C 22.17 - (juris Rn. 19 ff.) geklärt, dass sich § 9 Abs. 1 BeschV in der damaligen Fassung dieser Vorschrift entgegen ihrem Wortlaut nicht auf Aufenthaltserlaubnisse bezieht, die kraft Gesetzes zur Ausübung einer Beschäftigung berechtigen. Offen ist jedoch, ob dies auch für § 9 Abs. 1 BeschV in seiner Fassung gilt, die er durch das Fachkräfteeinwanderungsgesetz vom 15. August 2019 (BGBl. I S. 1307) erhalten hat. Diese Rechtsfrage ist in der Rechtsprechung und Literatur umstritten. Zum Teil wird vertreten, dass angesichts des klaren Wortlauts des § 9 Abs. 1 BeschV ("Aufenthaltserlaubnis") und des mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz in Gestalt von § 4a AufenthG herbeigeführten Paradigmenwechsels hin zu einer gesetzlichen Verknüpfung der Erteilung von Aufenthaltstiteln mit der Eröffnung des Zugangs zur Erwerbstätigkeit die argumentative Grundlage für eine restriktive Interpretation von § 9 Abs. 1 BeschV entfallen sei (so etwa Breidenbach, in Kluth/Heusch, Ausländerrecht, 2. Aufl. 2021, § 9 BeschV Rn. 4; Marx, Das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz, 2020, Seite 122; Klaus/Mävers/Offer, Das neue Fachkräfteeinwanderungsrecht, 2020, Rn. 195; undeutlich Lehner, in: Hailbronner, Ausländerrecht, C 1.1 (BeschV), Stand Juni 2020, Rn. 17 und 71 ff.; zu Einzelheiten des Paradigmenwechsels vgl. Hornung, in: Kluth/ders./Koch, Handbuch Zuwanderungsrecht, 3. Aufl. 2020, § 4 Aufenthalt Rn. 245 ff.). Nach anderer Auffassung - auch derjenigen des Verwaltungsgerichts Karlsruhe im angegriffenen Beschluss - gebe die Einführung des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes keinen Anlass, § 9 Abs. 1 BeschV abweichend von der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auszulegen. Dies folge daraus, dass die Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug bereits vor Inkrafttreten des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes kraft Gesetzes den Zugang zur Erwerbstätigkeit eröffnet habe. Der mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz vorgenommene Paradigmenwechsel habe sich daher auf die Rechtsstellung der Inhaber von Aufenthaltserlaubnissen zum Familiennachzug nicht ausgewirkt (Sächs. OVG, Beschluss vom 03.03.2021 - 3 B 20/21 - juris Rn. 12; VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 23.08.2021 - 11 L 609/21 - juris Rn. 31 ff.; VG Leipzig, Beschluss vom 13.01.2021 - 3 L 581/20 - juris Rn. 27; VG München, Beschluss vom 19.05.2020 - M 25 S 20.1456 u.a. - juris Rn. 29; in diesem Sinne wohl auch Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, § 19c Rn. 5).
Beide Auffassungen erscheinen gut vertretbar; keine von ihnen lässt sich als zwingend einstufen. Allerdings fällt auf, dass der Bundesgesetzgeber mit der Einführung des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes nicht nur den oben angesprochenen Paradigmenwechsel durch Änderungen des Aufenthaltsgesetzes vorgenommen, sondern zugleich auch den Text des § 9 BeschV redaktionell an die neuen Vorschriften des Aufenthaltsgesetzes angepasst hat (vgl. Art. 51 Nr. 9 des Gesetzes). Hier hätte es angesichts des klar in eine andere Richtung deutenden Wortlauts von § 9 Abs. 1 BeschV nahe gelegen, eine vom Bundesgesetzgeber gewollte inhaltliche Beschränkung des Anwendungsbereichs dieser Vorschrift durch eine klarstellende Änderung ihres Wortlauts zu unterstreichen und sich dabei an der vom Bundesgesetzgeber selbst geschaffenen Terminologie des Aufenthaltsgesetzes auszurichten. [...]
Bei dieser Sachlage bedürfte die abschließende Klärung der richtigen Auslegung des Wortes "Aufenthaltserlaubnis" in § 9 Abs. 1 BeschV einer näheren Befassung mit den Gesetzgebungsmaterialien zum Fachkräfteeinwanderungsgesetz sowie - in gesetzessystematischer Hinsicht - mit möglicherweise relevanten Änderungen, die dieses Gesetz für das Zusammenspiel des Aufenthaltsgesetzes und der Beschäftigungsverordnung mit sich gebracht hat. Außerdem dürfte zu prüfen sein, ob im Rahmen von später erfolgten Änderungen der Beschäftigungsverordnung Überlegungen zu § 9 Abs. 1 BeschV angestellt wurden, die für Zwecke der Auslegung nutzbar gemacht werden können. Bei der Frage nach der richtigen Auslegung des Wortes "Aufenthaltserlaubnis" in § 9 Abs. 1 BeschV handelt es seit der Einführung des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes um eine schwierige Rechtsfrage, für deren abschließende Klärung in einem Eilrechtsschutzverfahren nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kein Raum ist.
b) Die bei somit offenen Erfolgsaussichten des Widerspruchs der Antragstellerin gegen den Bescheid des Landratsamts ... vom 26. November 2020 vorzunehmende Abwägung des öffentlichen Interesses an der Vollziehung dieses Bescheids mit dem Interesse der Antragstellerin, zumindest bis zum bestandskräftigen Abschluss des Verwaltungsverfahrens von den Vollzugsfolgen verschont zu bleiben, führt zu einem Überwiegen des Interesses der Antragstellerin. [...]