OVG Sachsen-Anhalt

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Zitieren als:
OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 09.11.2021 - 2 M 79/21 - asyl.net: M30458
https://www.asyl.net/rsdb/m30458
Leitsatz:

Versagung der Arbeitserlaubnis nur bei andauernder Verletzung von Mitwirkungspflichten:

"1. Wenn der Ausländer im Laufe des Verfahrens wieder mitwirkt und z.B. aktuelle und authentische Dokumente zu seiner Identität vorlegt, liegen die Voraussetzungen für eine Versagungsentscheidung nach § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 AufenthG nicht (mehr) vor (Rn.17).

2. Die Verhinderung einer faktischen Integration des (geduldeten) Ausländers kann danach allenfalls dann noch eine zulässige Ermessenserwägung darstellen, wenn nach ausreichend verlässlichen Tatsachenfeststellungen eine tatsächliche Abschiebung des Ausländers in absehbarer Zeit möglich erscheint (Rn.24)."

(Amtliche Leitsätze; unter Bezug auf: VGH Bayern, Beschluss vom 09.05.2018 - 10 CE 18.738 - asyl.net: M26772)

Schlagwörter: Duldung, Erwerbstätigkeit, Arbeitserlaubnis, Beschäftigungserlaubnis, Identitätstäuschung, Mitwirkungspflicht, Passersatz
Normen: AufenthG § 60a Abs. 6 S. 1 Nr. 2,
Auszüge:

[...]

16,17 § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 AufenthG setzt voraus, dass die Abschiebung aus Gründen, die im Verantwortungsbereich des Ausländers liegen, nicht durchgeführt werden kann. Der Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis können nur solche Gründe entgegengehalten werden, die derzeit den Vollzug aufenthaltsbeendender Maßnahmen hindern. Gründe, die den Vollzug ausschließlich in der Vergangenheit verzögert oder behindert haben, sind im Rahmen des § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 AufenthG unbeachtlich [...]. Die Vorschrift des § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 AufenthG verlangt, dass ein aktueller Gegenwartsbezug besteht, d.h. die konkrete Verhaltensweise muss auch noch heute kausal für die Unmöglichkeit der Aufenthaltsbeendigung sein [...]. Das ist dann nicht der Fall, wenn der Ausländer eine in der Vergangenheit liegende Identitätstäuschung aufgegeben und seine Identität offenbart hat, so dass die Ausländerbehörde die Möglichkeit hat, Passersatzpapiere zu beschaffen [...]. Generell gilt: wenn der Ausländer im Laufe des Verfahrens wieder mitwirkt und z.B. aktuelle und authentische Dokumente zu seiner Identität vorlegt, liegen die Voraussetzungen für eine Versagungsentscheidung nach § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 AufenthG nicht (mehr) vor [...]. Zwar kann ein Versagungsgrund grundsätzlich auch dann (noch) vorliegen, wenn die Mitwirkungspflichtverletzungen des Ausländers in der Vergangenheit liegen, aber noch fortwirken und weiterhin aufenthaltsbeendende Maßnahmen hindern (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 18. Januar 2006 - 18 B 1772/05 - juris Rn. 66). Das gilt aber dann nicht, wenn der Ausländer seine Identität offenbart und alles ihm Mögliche und Zumutbare getan hat, um der Ausländerbehörde zu ermöglichen, die notwendigen Unterlagen, insbesondere Passersatzpapiere, zu beschaffen und es allein an der (langen) Dauer eines hierfür notwendigen Verfahrens bei einer anderen Stelle liegt, auf die der Ausländer keinen Einfluss hat, dass aufenthaltsbeendende Maßnahme derzeit (noch) nicht vollzogen werden können.

18 Gemessen daran hat der Antragsteller die fehlende Vollziehbarkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen im vorliegenden Fall nicht i.S.d. § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 AufenthG selbst zu vertreten. Die Abschiebung des Antragstellers und seiner Familie ist derzeit offenbar allein wegen der noch ausstehenden Entscheidung des Familiengerichts zur Korrektur des Namens des am ... 2014 geborenen Kindes ... (vgl. 2 M 81/21, BA F Bl. 62) nicht möglich. [...]

19 bb) Das Ermessen der Antragsgegnerin ist im vorliegenden Fall voraussichtlich zugunsten einer Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis "auf Null" reduziert.

20 Die Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis an geduldete Ausländer gemäß §§ 4a Abs. 4, 42 Abs. 2 Nr. 4 AufenthG i.V.m. § 32 BeschV steht im Ermessen der Ausländerbehörde [...] Einen Rechtsanspruch auf Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis hat der Gesetzgeber nur in § 60c Abs. 1 Satz 3 AufenthG für den Fall der Ausbildungsduldung vorgesehen. Eine dem § 60c Abs. 1 Satz 3 AufenthG vergleichbare Regelung fehlt in der Norm des § 60d AufenthG, die die Beschäftigungsduldung betrifft. Allerdings wird davon auszugehen sein, dass im Falle eines bestehenden Regelanspruchs auf Erteilung der Beschäftigungsduldung bezüglich der Beschäftigungserlaubnis ein sog. intendiertes Ermessen besteht. [...]

21 Im vorliegenden Fall spricht jedoch Überwiegendes dafür, dass sich das Ermessen der Antragsgegnerin zugunsten einer Erteilung "auf Null" reduziert hat mit der Folge, dass dem Antragsteller eine Beschäftigungserlaubnis erteilt werden muss. Ein Ablehnungsgrund, der nach Ausräumung des gesetzlichen Versagungsgrundes gemäß § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 AufenthG eine negative Ermessensentscheidung noch tragen könnte, ist nicht ersichtlich. Das ermöglicht hier ausnahmsweise eine zusprechende Eilentscheidung. [...]